Süddeutsche Zeitung

Digitale Zukunft im Auto:Automat auf Abwegen

  • Es wird nicht mehr lange dauern, bis teil- und hochautomatisertes Fahren Realität ist.
  • Um den Fahrer bei einem Unfall zu entlasten, fordern Juristen Datenschreiber im Auto. In den USA ist dieser bereits vorgeschrieben.
  • Doch viele Autofahrer haben Angst, dass ihr Wagen im Zweifelsfall gegen sie aussagt. Steckt in jedem Auto künftig ein perfekter Spion?

Von Joachim Becker

Sie sind längst unter uns. Wie von Geisterhand drehen Stau- und Parkassistenten am Steuer. Ein unsichtbarer Chauffeur hält den neuen BMW Siebener sogar bis zu 210 km/h in der Fahrbahnmitte und weicht anderen Fahrzeugen beim Spurwechsel aus. Vom Herbst dieses Jahres an muss der Fahrer nicht einmal hinter dem Lenkrad sitzen: Aussteigen und auf den Funkschlüssel drücken - schon fädelt sich das BMW-Topmodell vollautomatisch in enge Parklücken ein.

Zugegeben, der Spuk funktioniert nur bei Schritttempo und der Autobahnassistent braucht (noch) die beruhigende Hand des Fahrers auf dem Lenkradkranz. Doch die deutschen Autohersteller liefern sich längst ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Entwicklung des Roboterautos. Je mehr Kollege Computer ins Steuer greift, desto deutlicher werden die Risiken und Nebenwirkungen.

Tiefe Gesetzeslücken auf dem Weg zum automatisierten Fahren

"Wir werden das teilautomatisierte Fahren schon bald auf unseren Straßen erleben, das vollautomatisierte Fahren ist keine zehn Jahre mehr entfernt", jubelt Alexander Dobrindt. Allerdings weiß der Bundesverkehrsminister, dass der Weg dahin mit tiefen Gesetzeslücken gepflastert ist. Vor einem Jahr hat er Wissenschaftler, Juristen und Vertreter der Industrie an den runden Tisch "Automatisiertes Fahren" geholt. In Arbeitsgruppen werden zum Beispiel die haftungsrechtlichen Bedingungen geklärt, unter denen der Fahrzeugführer das Steuer an die Maschine abgeben darf.

Noch wird in dem Expertenkreis heftig diskutiert, aber bereits jetzt zeichnet sich ab, dass es ohne Datenschreiber im Auto nicht gehen wird. "Beim hoch automatisierten Fahren dürfen nicht unverhältnismäßig viele Daten gesammelt werden", sagt eine ADAC-Juristin, "aber klar ist auch, dass der Fahrer die Möglichkeit haben muss, sich zu entlasten, wenn die Technik versagt."

Datenschreiber im Auto? Das klingt nach dem "Großen Bruder" auf dem Beifahrersitz. Viele Autofahrer haben Angst, dass ihr Wagen im Zweifelsfall gegen sie aussagt: Ein Fahrzeugdatenspeicher könnte bei Polizei und Ordnungsbehörden Begehrlichkeiten wecken, diese Daten nicht nur bei einem Unfall, sondern auch bei Fahrzeugkontrollen auszuwerten und gegen den Fahrer zu verwenden.

Wie einfach eine solche Überwachung technisch wäre, zeigt das Herzstück der künftigen Audi-Bordnetzarchitektur. Im zentralen Fahrerassistenzsteuergerät (zFAS), das kaum so groß ist wie ein Tablet-PC, laufen alle verfügbaren Sensorinformationen zusammen. Der Supercomputer unter dem Beifahrersitz ist dabei ständig mit einem Backend-Server vernetzt, der die Fahrzeugdaten fast in Echtzeit weiterverarbeitet. Funktionen wie das automatisierte Fahren werden so zum lernenden System, das sich unabhängig von der Auto-Hardware und ihren Modellzyklen ständig weiterentwickeln kann.

Steckt in jedem Auto künftig ein perfekter Spion? Wie dünn das Eis im Datenschutz ist, zeigen die juristischen Querelen um die sogenannten Dashcams: Die heimliche Videoüberwachung durch die Kameras an der Windschutzscheibe ist in Deutschland verboten. Trotzdem wurde eine solche Videoaufzeichnung jüngst als Beweismittel beim Verwaltungsgericht Ansbach zugelassen.

Für das automatisierte Fahren sind aber nicht nur Kameras, sondern wesentlich mehr Sensoren im Einsatz, die das Umfeld komplett überwachen. Das Auto wird in dieser Hinsicht einem Flugzeug immer ähnlicher - was zusätzliche Fragen in Sachen Datenschutz aufwirft. Seit mehr als einem halben Jahrhundert wird jeder Flugverlauf akribisch von einer sogenannten Blackbox überwacht, die alle Daten aufzeichnet. Wer den Fahrer zum Piloten stilisiert, kann daher leicht missverstanden werden: "Der neue A8 wird das erste Modell sein, mit dem Audi vom assistierten zum pilotierten Fahren übergeht", kündigt Entwicklungschef Ulrich Hackenberg an. Aber welcher Fahrer wünscht sich eine Totalüberwachung per Blackbox im Auto?

Die USA schreiben bereits Datenrekorder vor

Bis vor wenigen Jahrzehnten waren Autos isolierte Blechbüchsen, deren Bordnetz sich hauptsächlich um Licht und Zündung kümmerte. Mit dem Antiblockiersystem ABS, den Airbags und dem Schleuderschutz ESP wurden elektronische Systeme zum Standard, die unabhängig vom Fahrer agieren.

Weil es in den USA immer wieder Prozesse wegen Fehlauslösungen von Airbags gab (häufig mit fatalen Folgen, weil die Passagiere nicht angeschnallt waren), haben Hersteller wie Ford und General Motors dort seit Mitte der Neunzigerjahre einen Großteil ihrer Fahrzeuge mit Unfalldatenspeichern ausgerüstet. Seit dieser Zeit wird auch in europäischen Gremien intensiv über solche Event Data Recorder (EDR) diskutiert, bisher scheiterte die Einführung allerdings an den Kosten. In den USA sind solche EDR-Systeme seit dem Herbst letzten Jahres vorgeschrieben, um die Schuld- und Haftungsfragen nach Unfällen zu klären.

Was die wenigsten Fahrzeughalter wissen: In modernen Autos genügt ein Mikrochip im Airbag-Steuergerät, um wesentliche Daten vor und während eines Unfalls aufzuzeichnen. Solche Sensing Diagnostic Modules sammeln kontinuierlich Informationen wie Tempo, Bremseingriffe, Drehrate und Sitzbelegung, um die Airbags im Falle eines Falles richtig auslösen zu können.

Opel, Ford und andere Hersteller verbauen solche Unfalldatenspeicher deshalb auch bei den meisten Modellen in Deutschland. Sie legen allerdings Wert auf die Feststellung, dass derartige Daten nur nach einer gerichtlichen Verfügung bereitgestellt werden. Etwa drei Prozent der Unfälle haben einen unklaren Hergang. Doch die Anzahl steigt, weil Bremsspuren als klassisches Beweismittel durch moderne Antiblockiersysteme verhindert werden. "Bislang gibt es eine polizeiliche Nutzung der Fahrzeugdaten nur in Einzelfällen", sagt Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer Thilo Weichert. "Aber das wird noch zunehmen."

Je stärker Fahrerassistenzsysteme ins Geschehen eingreifen, desto relevanter wird die Haftungsfrage. Wenn das Fahrzeug ohne menschliches Fehlverhalten einen Schaden verursacht, dann liegt die Beweislast bisher beim Fahrer. In der juristischen Praxis scheitern viele solcher Verfahren daran, dass der Nutzer kaum an die entsprechenden Daten im Fahrzeug herankommt, um Produktfehler schlüssig aufzudecken.

Das automatische Kurzzeitgedächtnis kann dem Fahrer helfen

Beim automatisierten Fahren wird das Problem noch kritischer. Unfälle mit Personenschäden im Straßenverkehr sind immer Straftaten, die gravierende rechtliche Folgen für den Fahrer haben können. Deshalb muss der Fahrer seine Unschuld mit einem automatischen Kurzzeitgedächtnis nachweisen können, das Systemfehler aufzeichnet. Dazu sind herstellerübergreifende Standards notwendig, um die Daten objektiv auslesen zu können - und verbindliche Datenschutzstandards, um einen gläsernen Autofahrer zu verhindern.

Die Datenschützer sind hellhörig geworden: "Technische Innovationen sollten nur noch dann akzeptiert werden, wenn der Austausch von Daten und Informationen gesetzlich geregelt ist", fordert Thilo Weichert. Die IT-Branche hält dagegen: "Sollte das Realität und jeder neue Datendienst erst gesetzlich geregelt werden, bevor er angeboten werden darf, koppeln wir uns von der digitalen Entwicklung ab", konterte Bitkom-Präsident Dieter Kempf auf dem "Safer Internet Day 2015" zum Thema Datenschutz und Datensicherheit im vernetzten Auto.

Wohin geht also die Fahrt? Die IAA im September hat einen eigenen Ausstellungsbereich für das vernetzte Fahren. Mit Hochdruck wird an den Messeständen der "New Mobility World" in Frankfurt/Main gezimmert. Auch am runden Tisch in Berlin wird die Zeit knapp: Bis zum Beginn der IAA soll ein neuer Gesetzesrahmen für die Roboterautos zumindest als Grobgerüst stehen.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2015/harl
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