Digitale Revolution im Auto:Das Netz in seinem Lauf

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Von der Schreibmaschine zum Computer, vom Festnetz zum Mobilfunk - jetzt ist das Auto dran. Mobile Datendienste revolutionieren momentan den Automobilbau. Erst langsam begreift die Branche, welche tiefgreifenden Konsequenzen das haben wird.

Joachim Becker

Stets und überall vernetzt: Mobiles Internet ist das Medium der Zukunft schlechthin. Das Smartphone in der Hosentasche hält per Daten-Flatrate stets die Verbindung zur Welt. Mit Miniprogrammen (Apps) lässt sich der Funktionsumfang dieser Empfangsgeräte jederzeit erweitern. 420 Millionen verkaufte Mobilfunkgeräte allein im ersten Quartal 2012 und Milliarden von App-Downloads zeigen die Marktmacht der kleinen Alleskönner. Auch bei der Routenführung sind Apps bereits in Führung gegangen: 2011 wurden weltweit 130 Millionen Navigations-Apps für Smartphones heruntergeladen, während nur 33 Millionen mobile Navigationsgeräte verkauft werden konnten. "In der Web-2.0-Welt sind Smartphones und Tablet-PCs die neuen Statussymbole. Für die Kunden von heute und von morgen ist die digitale Welt ein ständiger Begleiter. Und das Auto darf hier nicht der Bruch in der Kommunikationskette sein", sagt Audi-Chef Rupert Stadler.

Die Zukunft gehört den mobilen, allseits verfügbaren und personalisierten Datendiensten. Wenn das Auto zeitgemäß bleiben will, muss es zum Mini-PC auf Rädern werden. Selbst Volumenmodelle können per Bluetooth-Verbindung drahtlos mit den elektronischen Zwergen in Verbindung treten. Der VW-Konzern hat allein für die Entwicklung des Marken- und Baureihen-übergreifenden Modularen Infotainment Baukastens (MIB) mehr als 700 Millionen Euro ausgegeben. Die weitgehend vereinheitlichten Prozessoren und Laufwerke liegen versteckt im Bereich des Handschuhkastens, während die Benutzeroberflächen je nach Modell und Ausstattung variieren. VW bleibt dem berührungssensiblen Touchscreen treu, während Audi zur Auswahl der Bildschirminhalte einen zentralen Dreh- und Drücksteller einsetzt.

Auf dem Pariser Autosalon werden die Neuheiten im Infotainmentsystem mindestens so wichtig sein wie neue Antriebskonzepte: Neben dem VW Golf VII will auch der neue Renault Clio mit hochmodernen Bedienoberflächen samt App-Integration punkten. Der digitale Lifestyle ist selbst unter den Volumenmodellen für rund 13.000 Euro Einstiegspreis angekommen. Renaults neues Online-Multimediasystem R-Link sieht wie ein Tablet-Computer aus, der fest in die Armaturentafel integriert ist. Neben den üblichen Fahrzeugfunktionen und einem Navigationssystem lassen sich schon mehr als 20 Zusatzprogramme nutzen. Aus dem Renault R-Link Store können etwa Apps zur E-Mail-Verwaltung, Kalender, Parkplatz- und Tankstellensuche heruntergeladen werden. Bedient wird das System per Touchscreen, Fernbedienung am Lenkrad oder Sprachsteuerung. Gerade Letztere kann die Ablenkung des Fahrers deutlich vermindern.

Noch vor ein paar Jahren war im Auto kaum jemand online. Doch bald wird sich die vernetzte Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologie in Fahrzeugen zu einem zentralen Schrittmacher der Autobranche entwickeln. Daten und Informationen zu sammeln, die sich aus dem Fahr- und Mobilitätsverhalten ergeben, wird zu einem neuen Geschäftsmodell, sagt eine neue Studie von Roland Berger voraus. Unternehmen, die erfolgreich den Wert dieser Anwenderdaten erschließen, werden den Autofahrer mit innovativen und teils kostenlosen Services und Apps bedienen können. Genau das ist freilich eine Stärke von Datenkraken wie Google und Konsorten, die derzeit in den Automarkt drängen. "Angesichts dieser Dynamik wird nur erfolgreich sein, wer bereit ist, sich permanent zu ändern", sagt Norbert Reithofer: "Es könnte Unternehmen geben, die sehr viel Geld in Start-ups stecken, die wir heute noch gar nicht auf dem Radar haben", warnt der Vorstandschef von BMW.

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Das Autofahren wird so schnell nicht aussterben. Aber die Branche steht vor einem Systemwechsel, der dem Übergang von der Schreibmaschine zum Computer oder vom Festnetztelefon zum Mobilfunk gleicht: Autoentwickler sind daran gewöhnt, in Innovationszyklen von mehreren Jahren zu denken. Computer- und Smartphone-Nutzer erwarten dagegen alle 18 Monate neue Modelle und Software-Updates. Durch das App-Konzept lassen sich permanent neue Funktionen ins Auto bringen, ohne dass Veränderungen an der Hardware vorgenommen werden müssen.

Dabei versuchen die Fahrzeughersteller allerdings, ihren bislang exklusiven Zugang zu Wagen und Fahrer zu verteidigen. Zwar werden mit Webradio, Google lokale Suche oder Facebook die Dienste Dritter in aktuellen BMW- und Mini-Modellen mit der entsprechenden Sonderausstattung angeboten. Doch die Schnittstellen zum Auto und der Funktionsumfang der Apps werden in eigenen App-Entwicklungszentren in München, Mountain View (USA) und Shanghai definiert.

Richtig in Fahrt kommen die mobilen Datendienste aber erst mit dem neuen Breitband-Netz LTE. Das vielfach höhere Sende- und Empfangsvolumen erlaubt eine noch schnellere Kommunikation zwischen Autos und der Welt um sie herum. Damit wäre auch Videostreaming im Fahrzeug möglich - also der Live-Empfang von Filmen für die Beifahrer. Schon heute lässt sich der Wagen zum Hotspot für mehrere mobile Empfänger machen. Künftig, so unken einige Experten, könnte die Nachfrage nach Übertragungskapazitäten schneller wachsen, als sie durch LTE befriedigt werden könne. Dann würde www wieder wie in den Anfangszeiten des Internets bedeuten: warten, warten, warten.

© SZ vom 10.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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