Digitale Geschäftsmodelle:Angriff aus der Wolke

Illustration Apple und Google Car

Apple und Google werden bald Mobilitätsdienstleister sein. Für die traditionellen Autohersteller ist es schwer, mit beiden Schritt zu halten.

(Foto: Illustration: Sead Mujić)

Die deutschen Hersteller müssen beim vernetzten Auto die Kurve kriegen - sonst werden sie zum namenlosen Hardware-Lieferanten. Was sie tun müssen, um sich gegen Apple und Google zu behaupten.

Von Joachim Becker

Gerüchte über Apple iCar prallen auf eine Mauer des Schweigens. Seit Tim Cook samt Entourage im vergangenen Sommer bei BMW war, sind nicht nur die Münchner alarmiert. BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer rechnet fest damit, dass Apple ein Auto entwickelt. Allein schon wegen der Experten, die das Unternehmen aus Cupertino in den vergangenen Monaten eingestellt habe.

VW will Apples Aufstieg zum neuen Auto-Giganten nicht tatenlos zuschauen. Der neue Markenchef Herbert Diess war nicht zufällig vorher BMW-Entwicklungsvorstand: Er hat aus dem Apple-Besuch seine Schlüsse gezogen und Johann Jungwirth an Bord geholt. Der 42-Jährige leitete bis 2014 das Mercedes-Technologiezentrum im Silicon Valley. Dann ging Jungwirth als Direktor für Special Projects zu Apple - und war dort entscheidend am Autoprojekt Titan beteiligt. Als Leiter der Digitalisierungsstrategie von Volkswagen berichtet Jungwirth nun direkt an Konzernboss Matthias Müller. Mehr Gewicht kann man dem vernetzten Auto 2.0 nicht einräumen.

Der Zahnbürsten-Test

Niemand weiß genau, wie die individuelle Mobilität von morgen funktioniert, auch Larry Page nicht. Der Google-Gründer vertraut auf den Zahnbürsten-Test: "Ihr müsst die grundlegenden Probleme lösen, mit denen die Menschen mindestens zweimal täglich konfrontiert sind", predigt er seinen Mitarbeitern. Bei jeder Gelegenheit beteuern die Kalifornier, dass sie keine Autos bauen werden. Aber das bedeutet nicht, dass sie den individuellen Transport nicht komfortabler, sicherer und preisgünstiger machen wollen. Alles dreht sich um die Urbanisierung: 2050 werden 70 Prozent der Weltbevölkerung in Ballungszentren leben. Wenn sich statt einer Milliarde zwei bis 2,5 Milliarden Autos über die Straße quälen, dann geht ohne intelligente Technik gar nichts mehr.

"Mit dem selbstfahrenden Auto wird es ähnlich sein wie mit der Suchmaschine: Es ist ein Produkt, das Einfluss auf fast die gesamte Menschheit haben wird", sagt Larry Page, "und deswegen wird es auch ein riesiges Geschäft werden. Ich bin mir absolut sicher, dass wir damit ordentlich Geld verdienen werden, auf welche Art auch immer." So denken viele im Silicon Valley. Jedes zweite Start-up-Unternehmen beschäftige sich dort mit Fragen der Mobilität, weiß BMW-Vorstand Peter Schwarzenbauer. Wer sagt denn, dass sich junge Leute nicht für Autos interessieren?

Zeitalter des vierten Bildschirms

Menschen, die auf Mattscheiben starren: Fernseher, PC, Smartphone - die elektronische Evolution hangelt sich von Screen zu Screen. Zuletzt hat das mobile Internet fast das gesamte intelligente Leben auf dem Planeten verändert: In den USA verbringen die Menschen bereits mehr als die Hälfte ihrer Freizeit damit, auf ihre Smartphones zu schauen. Dabei kam das erste iPhone von Apple erst 2007 auf den Markt. Ein Jahr später lancierte Google sein Betriebssystem Android, das heute auf mehr als drei Viertel aller Smartphones in Deutschland läuft. Bis 2020 werden 80 Prozent der Menschheit mit so einem persönlichen Assistenten ausgerüstet sein. Blöd, dass man dessen Funktionen auf dem Fahrersitz so schlecht nutzen kann.

"Wir wollen die Daten und Funktionen der Smartphone-Apps nahtlos mit unseren Infotainmentsystemen als dem vierten Bildschirm im Leben unserer Kunden verbinden", so Audis leitender Elektrik-/Elektronik-Entwickler Ricky Hudi. Das Auto als letzte internetfreie Zone öffnet sich also dem permanenten Datenverkehr. Fragt sich nur, wer die digitalen Bedienelemente und die ganze Interaktion mit dem Nutzer gestaltet. Schließlich geht es um markentypische Erlebniswelten im nahtlosen Wechsel von Arbeit, Auto und Sofa. Klar ist, dass die Plattformen für solche Bildschirm-Nomaden in der Cloud liegt und nicht mehr lokal im Auto. Nicht ganz so klar ist aber, wer von dem Datenstrom letztlich profitiert. Denn im Internet der Dinge zahlt der Nutzer auch mit seinem Datenbeitrag. Was liegt näher, als Dutzende von Sensoren im Auto als zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen?

BMW und Mercedes wehren sich noch

"Wir haben uns intensiv mit Google beschäftigt und sind nicht bereit, die Daten unserer Kunden zur Verfügung zu stellen. Eine Geschäftsgrundlage mit Firmen, die Daten verwenden, ohne die genaue Nutzung zu beschreiben, ist für uns nicht möglich", sagt BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich. Die Münchner gehören mit Mercedes zu einer kleinen Gruppe der Standhaften. Anders als fast alle namhaften Autohersteller zögern sie, der Open Automotive Alliance Tür und Tor zu öffnen. Was sich als Technologie-Partnerschaft tarnt, ist in Wirklichkeit die Eroberung des Infotainment-Systems durch Google. Ende des Jahres kommen die ersten Autos mit einer Android-Sprachsteuerung und Google Maps mit Echtzeit-Verkehrsdaten auf dem Zentralbildschirm. Gegen die Power dieses globalen Betriebssystems haben Eigenentwicklungen der Autohersteller auf Dauer keine Chance.

Mehr als eine Design-Ikone

Es geht den IT-Piraten nicht ums Blechbiegen. Im Zentrum steht vielmehr das maschinelle Lernen. Also die Fähigkeit aus unzähligen Datenquellen einen Wow-Effekt zu zaubern. Zum Beispiel genau die passenden Suchergebnisse im Heuhafen des Internet zu finden oder einen Datenpfad durch den chaotischen Stadtverkehr. Mehr noch: Wer die persönlichen Bewegungsprofile und Zieldaten abertausender Personen kennt, der kann den Berufsverkehr besser steuern. Zumindest smarter als die vermeintlichen Smart Cities mit ihren spärlichen Echtzeit-Informationen.

Apple, Google und & Co stehen in den Startlöchern, um den Datenstrom in und aus dem Auto zu kontrollieren - genau wie bei den Smartphones. Von einzelnen Kleinprogramme (Apps) redet niemand mehr. Längst stehen sämtliche Mensch-Maschine-Schnittstellen im Fokus. Mindestens. Apple-Chef Tim Cook hat sich für den Elektro-Flitzer BMW i3 und die Fertigung der Karbon-Karosserie in Leipzig interessiert. Letztlich scheiterte eine Kooperation an den harschen Bedingungen der Kalifornier: BMW wäre zum margenschwachen No-Name-Lieferanten geworden.

Auf Augenhöhe mit anderen zu kooperieren, passt nicht in das Weltbild von Apple oder Google. Grund ist ihr direkter Draht zum Kunden: "Apple hat das Faustpfand der Apple ID - durch diese persönliche Interaktionsmöglichkeit mit jedem Kunden ist uns Apple viele Jahre voraus", bekannte Volkmar Tanneberger auf dem CarIT-Kongress der IAA: "Alles, was nah am Kunden ist, versteht Apple besser als jeder Autohersteller", so der oberste E/E-Entwickler bei Volkswagen. Ob Apple iTunes, Apple TV oder andere Medien: Der IT-Gigant versucht, Inhalte so in seine Dienste zu integrieren, dass die Nutzer dieses digitale Ökosystem gar nicht mehr verlassen müssen. Der Datenraum aus Terminkalender, Kontakten, Mail und Mobilitätsprofilen kennt die Vorlieben, Wünsche und Gewohnheiten - und sagt die nächsten Bedienschritte voraus.

Neue Plattformen für Mobilität

Noch streiten Experten, wie disruptiv die neuen Geschäftsmodelle aus der Cloud sind. "Ein überzeugendes Angebot schafft lawinenartig eine neue Nachfrage", warnt Robert Henrich. "Automarken wissen erstaunlich wenig über ihre Kunden. "Sobald das Fahrzeug vom Hof ist, herrscht oft Funkstille", sagt der Chef von Daimlers Mobilitätsplattform Moovel. Henrich hat car2go in wenigen Jahren zum weltweit führenden Carsharing-Dienst aufgebaut. Daher weiß er, wie durchschlagend die Verbindung von Smartphone, Cloud-basierten Diensten und einer (finanz-)starken, Marke sein kann: "Wenn es uns nicht gelingt, solche digitalen Ökosysteme für die klassischen Automarken aufzubauen, werden wir zu bloßen Hardware-Lieferanten."

Der Moment, auf den Google, Uber und Co. hinarbeiten, sei absehbar: "Wir haben Studien, die zeigen, dass der Preis für Sharing-Fahrzeuge durch automatisiertes Fahren sinken wird." Wer will ein veraltetes Auto besitzen, wenn er jederzeit und überall eines brandneues nutzen kann? In Großstädten mit knappem Parkraum sind Autos, die per Tipp auf das Smartphone selbstständig zum Kunden kommen, viel komfortabler und preiswerter als Privat-Pkws, die 23 Stunden pro Tag ungenutzt herumstehen. Daimler-Chef Dieter Zetsche weiß um die Gefahr für das angestammte Automobilgeschäft: "Der entscheidende Punkt ist es, ob wir die direkte Schnittstelle zum Kunden in der Hand behalten können."

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