Süddeutsche Zeitung

Dieselautos:Verzweifelte Charmeoffensive gegen Diesel-Fahrverbote

Lesezeit: 4 min

Von Markus Balser, Joachim Becker und Max Hägler

Ausgerechnet Stuttgart. Im Stadtteil Cannstatt steht die Geschichte des Verbrennungsmotors, vom ersten Dreirad von Carl Benz bis zum modernsten Dieselmotor, im Auto-Museum. Stuttgart gilt als die Autohauptstadt des Landes. Porsche, Daimler, der Zulieferer Bosch und viele andere haben hier ihre Zentrale. Auf der Straße fahren schwere, große Wagen mit Dieselmotoren. Und ausgerechnet hier soll nun auch dessen Schicksal besiegelt werden? Als erste deutsche Stadt plant Stuttgart an Tagen mit hoher Luftverschmutzung ein Fahrverbot. "Für die, die es nicht wissen", sagt VW-Chef Matthias Müller: "Stuttgart hat beschlossen, ab 1. Januar 2018 alle Diesel vor Euro-6 nicht mehr in die Stadt lassen zu wollen." Hintergrund sind die enorm hohen Messwerte in Stuttgart.

Müller weiß, was das bedeutet. Fast 400 000 Diesel-Halter könnten allein in und um Stuttgart dazu verdonnert sein, ihr Auto stehen zu lassen. In seiner Zeit als Porsche-Chef nach Stuttgart gezogen, wohnt Müller noch immer dort. Viele Diesel würden nicht nur als urbanes Transportmittel nutzlos, auch der Wiederverkaufswert dürfte mit einem Schlag sinken. "Ich bin mal gespannt, wie die Bürger darauf reagieren, die am Sonntag zum Spaziergang an den Bärensee fahren, wo es keinen Bus, keine U-Bahn und keine S-Bahn gibt", sagt Müller.

Und Stuttgart ist nur der Anfang. Fahrverbote sind ein Thema im ganzen Land. Wegen der Abgastricksereien bei VW. Aber auch weil viele Modelle anderer Hersteller im realen Betrieb zu viele Schadstoffe ausstoßen. In 80 deutschen Städten übersteigt die Schadstoffbelastung der Atemluft die gesetzlichen Grenzwerte teilweise um das Doppelte. Nicht hin und wieder, sondern im Durchschnitt. Auch in München, Düsseldorf und Hamburg drohen Fahrverbote. Die Branche ist deshalb in Aufruhr. Würden die Autos plötzlich nicht mehr in die Innenstädte gelassen - das Vertrauen der Käufer wäre dahin, die wirtschaftlichen Folgen wären riesig. Dem Diesel, Verkaufsschlager der Branche, wäre wohl kaum noch zu helfen.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung will die Industrie nun gerade in Stuttgart in Geheimgesprächen mit der Politik erreichen, dass Fahrverbote abgeblasen werden - wenigstens für einen Großteil der deutschen Dieselflotte. Vor vier Wochen fand nach Angaben aus Branchenkreisen ein erstes Treffen von Landesbehörden mit den obersten Dieselentwicklern der deutschen Automobilhersteller statt. Geladen waren außerdem die Zulieferer für Abgasnachbehandlungssysteme und einige Wissenschaftler.

Entscheidende Sitzung einer diskreten Runde

Ein kleiner Kreis von 15 Fachleuten versucht seither, das deutsche Diesel-Desaster aufzuhalten. Der Plan der Industrie: Die Hersteller präsentieren eine Nachrüstlösung für ältere Diesel-Modelle. Das Kalkül: Würde man wenigstens die Abgaswerte von Euro-5-Fahrzeugen, die für 40 Prozent der Dieselautos stehen, deutlich verbessern, könnten Gerichte von Fahrverboten absehen.

In der kommenden Woche trifft sich die diskrete Runde in Stuttgart wieder. Dann ist die entscheidende Sitzung anberaumt. Die Hersteller sollen der Landesregierung, allen voran dem Landesverkehrsministerium, den Vorschlag für sauberere Diesel-Fahrzeuge mit Euro-5-Motor präsentieren.

Noch wird hinter den Kulissen heftig verhandelt. Denn die Hersteller verfolgen unterschiedliche Ziele. Gerungen wird um die Details, aber auch um die Kosten einer Nachrüstlösung. VW-Chef Müller bestätigt einen Vorstoß: Man sei in Überlegungen, "auch mit unseren deutschen Wettbewerbern", inwieweit es Sinn habe, Lösungen anzubieten, um EU-5-Motoren so umzurüsten, dass sie gegebenenfalls mit einer blauen Plakette ausgestattet werden können. Fahrverbote hätten sie dann nicht mehr zu befürchten. Auch der Daimler-Vorstand verweist auf "laufende Gespräche mit der Landesregierung".

Die Frage ist, für wen die Umrüstung überhaupt in Betracht kommt: Allen Beteiligten ist klar, dass die Aktion keine 4500 Euro pro Fahrzeug kosten darf. Dieser Betrag, den das Umweltbundesamt in seinem internen Arbeitspapier genannt hatte, würde den absehbaren Wertverlust durch Fahrverbote wahrscheinlich übersteigen. Deshalb hoffen die Technik-Experten auf günstige Software-Updates.

Vorbild für den Vorstoß ist die Reparaturlösung für die Volkswagen-Diesel, die ursprünglich mit betrügerischer Software fuhren: Nach dem Update messen diese Autos die angesaugte Luft genauer und können so die Verbrennung genauer steuern. Eine Lösung mit Nachrüst-Katalysatoren wäre wirksamer, aber auch weit teurer, weil nicht einfach mehr Technik in ein Auto gesteckt werden kann. Das Ziel ist klar: Die jungen Gebrauchten müssten ihre Stickoxid-Emissionen durch eine Nachrüstung etwa halbieren, um auf den Standard der neuesten Diesel zu kommen und einem Fahrverbot zu entgehen. Das gilt als kaum zu schaffen.

Zweifel, ob man sich auf den Deal einlassen sollte

Die Hersteller wollen nun dafür sorgen, dass die Autos beim WLTP-Prüfverfahren, das ab dem Herbst dieses Jahres vorgeschrieben ist, wenigstens die Testabschnitte in der Stadt und dem urbanen Umfeld erfüllen. Geprüft werde auch, ob man Euro- 5-Diesel-Autos in Ballungsräumen etwa dreimal so viel Stickoxid-Emissionen pro Kilometer erlauben kann wie modernsten Diesel-Autos, heißt es aus Verhandlungskreisen, genauer gesagt 250 Milligramm.

Ein neuer schmutziger Deal, oder ein guter Kompromiss? In der Politik mehren sich die Zweifel, ob man sich darauf einlassen sollte. Aus Kreisen der Landesregierung in Stuttgart verlautet, die verzweifelte Charmeoffensive der Industrie könnte scheitern. Man habe Zweifel, ob die Industrie per Nachrüstung den Ausstoß so stark senken könne, dass sich die Messwerte in den Städten deutlich verbessern und Fahrverbote obsolet werden. Denn Teil des Deals wäre es wohl auch, dass die Grenzwerte nur unter bestimmten Bedingungen eingehalten würden - Temperaturfenster etwa. Wieder könnten damit die realen Emissionen größer ausfallen, die gesundheitsgefährdenden Emissionen so hoch ausfallen wie bisher.

Ein runder Tisch soll Lösungen erarbeiten

Umweltverbände warnen deshalb eindringlich vor einer solchen Einigung von Politik und Wirtschaft: Anstelle wirksamer Fahrverbote für alle schmutzigen Diesel prüfe die baden-württembergische Landesregierung nun eine Fortsetzung des Diesel-Abgasbetruges mit amtlichem Segen, warnt Jürgen Resch, der Chef der Deutschen Umwelthilfe. "Bis zu sechs Millionen schmutzige Euro- 5-Diesel-Pkw sollen durch eine bloße Softwareänderung und das Bestehen eines "Micky-Maus-Abgastests" freie Einfahrt in die Innenstädte erhalten. Resch fordert von der Branche eine ganz andere Lösung: Autokonzern-Vorstände sollten alle ausgelieferten Euro-5- und Euro-6-Diesel-Pkw zurückrufen und auf eigene Kosten so nachbessern, dass sie ganzjährig die Euro-6-Grenzwerte auf der Straße einhalten.

Eine Nachrüstung könnte für die Halter Folgen haben. Noch ist unklar, ob die Hersteller die Kosten übernehmen. Und auch das Erfolgsrezept des Dieselmotors - sparsam und leistungsstark - könnte leiden, warnen Experten. Wo die Abgasreinigung Vorrang hat, wird die Fahrdynamik der nachgerüsteten Fahrzeuge gedämpft. Als mögliche Folge gilt auch ein höherer Verbrauch.

Dass sich etwas tun muss, haben die Verkehrsminister der Bundesländer am Freitag schon mal beschlossen. Noch in diesem Jahr sollten Maßnahmen zur Reduzierung von Stickoxid-Emissionen kommen. Dazu müssten die Kosten und der Nutzen eines Nachrüstprogramms ermittelt werden, heißt es in einem Beschluss, den die Minister nach ihrer Frühjahrskonferenz in Hamburg veröffentlichten. Nur wie? Mit einem runden Tisch von Politik, Industrie und Umweltschützern. Der soll bis Jahresende Lösungen nennen - für "umsetzbare und wirksame Maßnahmen". Auf dass die Menschen weiter ungehindert zum Sonntagsspaziergang fahren können.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2017
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