Dieselautos:Verzweifelte Charmeoffensive gegen Diesel-Fahrverbote

DEU Deutschland Stuttgart 16 01 2017 Feinstaubalarm in Stuttgart Die Messungen der Landesanstal

In Stuttgart drohen Fahrverbote für schmutzige Diesel bereits 2018. Dort wird derzeit auch über etwaige Nachrüst-Lösungen verhandelt.

(Foto: Arnulf Hettrich/imago)
  • Um von Fahrverboten bedrohte Euro-5-Diesel sauberer zu machen, planen die deutschen Autobauer gemeinsam, Nachrüst-Lösungen anzubieten.
  • Doch die Hersteller verfolgen unterschiedliche Ziele. Im Gespräch sind Software-Updates oder Nachrüst-Katalysatoren.
  • Doch die Politik, allen voran die baden-württembergische Landesregierung, fürchtet einen schmutzigen Deal - genau wie die Umweltverbände.

Von Markus Balser, Joachim Becker und Max Hägler

Ausgerechnet Stuttgart. Im Stadtteil Cannstatt steht die Geschichte des Verbrennungsmotors, vom ersten Dreirad von Carl Benz bis zum modernsten Dieselmotor, im Auto-Museum. Stuttgart gilt als die Autohauptstadt des Landes. Porsche, Daimler, der Zulieferer Bosch und viele andere haben hier ihre Zentrale. Auf der Straße fahren schwere, große Wagen mit Dieselmotoren. Und ausgerechnet hier soll nun auch dessen Schicksal besiegelt werden? Als erste deutsche Stadt plant Stuttgart an Tagen mit hoher Luftverschmutzung ein Fahrverbot. "Für die, die es nicht wissen", sagt VW-Chef Matthias Müller: "Stuttgart hat beschlossen, ab 1. Januar 2018 alle Diesel vor Euro-6 nicht mehr in die Stadt lassen zu wollen." Hintergrund sind die enorm hohen Messwerte in Stuttgart.

Müller weiß, was das bedeutet. Fast 400 000 Diesel-Halter könnten allein in und um Stuttgart dazu verdonnert sein, ihr Auto stehen zu lassen. In seiner Zeit als Porsche-Chef nach Stuttgart gezogen, wohnt Müller noch immer dort. Viele Diesel würden nicht nur als urbanes Transportmittel nutzlos, auch der Wiederverkaufswert dürfte mit einem Schlag sinken. "Ich bin mal gespannt, wie die Bürger darauf reagieren, die am Sonntag zum Spaziergang an den Bärensee fahren, wo es keinen Bus, keine U-Bahn und keine S-Bahn gibt", sagt Müller.

Und Stuttgart ist nur der Anfang. Fahrverbote sind ein Thema im ganzen Land. Wegen der Abgastricksereien bei VW. Aber auch weil viele Modelle anderer Hersteller im realen Betrieb zu viele Schadstoffe ausstoßen. In 80 deutschen Städten übersteigt die Schadstoffbelastung der Atemluft die gesetzlichen Grenzwerte teilweise um das Doppelte. Nicht hin und wieder, sondern im Durchschnitt. Auch in München, Düsseldorf und Hamburg drohen Fahrverbote. Die Branche ist deshalb in Aufruhr. Würden die Autos plötzlich nicht mehr in die Innenstädte gelassen - das Vertrauen der Käufer wäre dahin, die wirtschaftlichen Folgen wären riesig. Dem Diesel, Verkaufsschlager der Branche, wäre wohl kaum noch zu helfen.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung will die Industrie nun gerade in Stuttgart in Geheimgesprächen mit der Politik erreichen, dass Fahrverbote abgeblasen werden - wenigstens für einen Großteil der deutschen Dieselflotte. Vor vier Wochen fand nach Angaben aus Branchenkreisen ein erstes Treffen von Landesbehörden mit den obersten Dieselentwicklern der deutschen Automobilhersteller statt. Geladen waren außerdem die Zulieferer für Abgasnachbehandlungssysteme und einige Wissenschaftler.

Entscheidende Sitzung einer diskreten Runde

Ein kleiner Kreis von 15 Fachleuten versucht seither, das deutsche Diesel-Desaster aufzuhalten. Der Plan der Industrie: Die Hersteller präsentieren eine Nachrüstlösung für ältere Diesel-Modelle. Das Kalkül: Würde man wenigstens die Abgaswerte von Euro-5-Fahrzeugen, die für 40 Prozent der Dieselautos stehen, deutlich verbessern, könnten Gerichte von Fahrverboten absehen.

In der kommenden Woche trifft sich die diskrete Runde in Stuttgart wieder. Dann ist die entscheidende Sitzung anberaumt. Die Hersteller sollen der Landesregierung, allen voran dem Landesverkehrsministerium, den Vorschlag für sauberere Diesel-Fahrzeuge mit Euro-5-Motor präsentieren.

Noch wird hinter den Kulissen heftig verhandelt. Denn die Hersteller verfolgen unterschiedliche Ziele. Gerungen wird um die Details, aber auch um die Kosten einer Nachrüstlösung. VW-Chef Müller bestätigt einen Vorstoß: Man sei in Überlegungen, "auch mit unseren deutschen Wettbewerbern", inwieweit es Sinn habe, Lösungen anzubieten, um EU-5-Motoren so umzurüsten, dass sie gegebenenfalls mit einer blauen Plakette ausgestattet werden können. Fahrverbote hätten sie dann nicht mehr zu befürchten. Auch der Daimler-Vorstand verweist auf "laufende Gespräche mit der Landesregierung".

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