Dieselabgase:Das Abgasversprechen der Autoindustrie gilt nur im Sommer

Auspuff eines Dieselautos

Der qualmende Auspuff eines Diesels. Dieselautos gelten als einer der Hauptverursacher für die hohe Stockoxid-Belastung in Städten.

(Foto: dpa)
  • Das Umweltbundesamt hat das Abgasverhalten von Dieselautos getestet - mit teils verheerenden Ergebnissen.
  • "Der Diesel-Pkw ist der Hauptverursacher für hohe Stickoxid-Belastungen in den Städten", sagt Behördenchefin Behördenchefin Maria Krautzberger.
  • Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will die Diskrepanz zwischen Labor- und Realwerten nicht mehr akzeptieren. Umweltverbände fordern gar Verkaufsstopps für Dieselautos.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Die deutsche Autoindustrie hat ein Versprechen abgegeben, das nur im Sommer gilt: Dann läuft die Abgasreinigung, sie senkt auch die gesundheitsschädlichen Stickoxid-Emissionen. Doch wenn es kälter wird im Land, schaltet sich die Reinigung ab. Dann schnellen die Emissionen in die Höhe. Und wie.

Das belegen Daten, die das Umweltbundesamt erhoben hat. 80 Milligramm pro Kilometer, so viel Stickoxid darf ein Auto der neuesten Euro-6-Norm pro Kilometer ausstoßen. Doch anders als offizielle Prüflabors testete die Umweltbehörde nicht nur bei Sonnenschein, sondern auch bei üblichen Temperaturen im Land. Ergebnis: Im Schnitt stießen selbst neueste Diesel-Fahrzeuge übers Jahr gesehen 507 Milligramm Stickoxid pro Kilometer aus - Norm um das sechsfache verfehlt. Bei der laxeren Euro-5-Norm kamen Prüfer auf mehr als 900 Milligramm des Gases, eine Überschreitung um das fünffache. Der schlimme Verdacht vieler Umweltgruppen ist amtlich. "Die Zahlen zeigen sehr klar", sagt Behördenchefin Maria Krautzberger, "der Diesel-Pkw ist der Hauptverursacher für hohe Stickoxid-Belastungen in den Städten."

Doch nicht nur die Städter haben das Nachsehen, auch die Besitzer der Pkw. Sie haben Autos in dem Vertrauen erworben, dass sie Grenzwerte einhalten. Zwar muss niemand fürchten, dass Genehmigungen entzogen werden, erteilt ist erteilt. Nur erfüllen offensichtlich selbst modernste Dieselautos nicht einmal die Uralt-Norm Euro-3. Sie gilt seit 2000, erstmals wurde seinerzeit ein Stickoxid-Grenzwert eingeführt.

"Die Autoindustrie muss den Diesel in Ordnung bringen", sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). "Das ist unternehmerische Verantwortung für die Gesundheit der Menschen." Fahrzeuge müssten nachgerüstet werden, damit sie die vorgeschriebenen Werte auch auf der Straße einhalten. Und zwar auf Kosten der Verursacher. "Die Situation ist nicht mehr akzeptabel", sagt Hendricks.

Überschreitungen teils um das 17-fache

Zuletzt hatte unter anderem die Deutsche Umwelthilfe darauf hingewiesen, dass zahlreiche Fahrzeuge die Grenzwerte seltsamerweise nur bei Temperaturen jenseits der 17 Grad einhalten - und damit bei Temperaturen, wie sie in den Labors üblich sind. Ist es kälter, wird die Abgasreinigung deaktiviert. Ergebnis: Bei einem "Wintertest" der Emissionen überschritten die Fahrzeuge die Grenzwerte teils um das 17-fache. Dennoch hatten Prüflabors ihnen die Einhaltung der Norm attestiert.

Auch das Umweltbundesamt hatte bei seinen Tests reale Bedingungen herangezogen, mit dem gleichen Ergebnis: Bei kühlen Temperaturen stiegen die Messungen sprunghaft an. Welche Fahrzeuge konkret gemessen wurden, teilte die Dessauer Behörde nicht mit. Man habe 25 Diesel-Pkw der Euro-6-Norm und 27 Euro-5-Modellen untersucht, darunter Kleinwagen ebenso wie SUVs. "Wir wollten ein möglichst realistisches Bild", sagt Krautzberger.

Die Hersteller kommen bislang straflos davon

Aber Konsequenzen? Umweltverbände fordern seit langem Verkaufsverbote für Autos, die den Grenzwert brechen. "Immer noch kommen täglich 3500 neue Euro-6-Diesel-Pkw auf die Straße, die erhebliche Gesundheits- und Umweltprobleme verursachen und die Luft in den Städten auf Jahre verschmutzen", sagt Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte beim BUND. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) müsse dringend Verkaufsverbote für neue Euro-6-Pkw verhängen, die den Grenzwert "nicht auch auf der Straße einhalten".

Doch die Hersteller kommen bislang straflos davon. Denn laut Gesetz reicht es bislang, wenn die Diesel die EU-Vorgaben ausschließlich bei Labortests erfüllen - also unter teils geschönten Bedingungen.

Das Verkehrsministerium will strengere Regeln verhindern

Statt auf härtere Gesetze zu drängen, müht sich das Verkehrsministerium nun auch noch, strengere europäische Standards in Brüssel zu verhindern. Eine Überwachung der nationalen Prüfbehörden? Davon will das Ministerium wenig wissen - und stößt damit auch auf Widerstand aus dem Umweltministerium. "Ich werde keiner Positionierung zustimmen, die nicht die Einhaltung von Umweltvorgaben sicherstellt", sagte Hendricks am Dienstag.

Doch längst wittert die Opposition Kungeleien zwischen Regierung und Industrie. "Wir erleben einen Deal zwischen der Bundesregierung und den Abzockern bei den Autokonzernen. Das kann nicht so weitergehen", warnte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Auch Verbraucherschützer sind auf den Barrikaden: Der Bund wolle offenbar die Autoindustrie vor Sanktionen schützen, nicht aber die Verbraucher vor Schaden, kritisierte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Einzig die Autoindustrie lobte die deutsche Intervention in Brüssel. Die Bundesregierung habe die "Pflicht, übermäßige Bürokratie und europäischen Zentralismus zu verhindern", sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. Deutschland sei schließlich nicht alleine: "Auch viele andere Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten wenden sich an dieser Stelle gegen europäischen Zentralismus."

Andere plagen sich derweil mit den Folgen. In Leipzig trat am Dienstag das Präsidium des Städtetags zusammen, Hauptthema: hohe Stickoxid-Konzentrationen. Nach diversen Gerichtsurteilen sei zu befürchten, "dass einzelne Städte in absehbarer Zeit begrenzte Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verhängen müssen", sagte Städtetags-Präsidentin Eva Lohse. Der Bund müsse rasch eine "blaue Plakette" einführen. Mit ihr ließen sich so schmutzige Diesel-Fahrzeuge aus den Umweltzonen aussperren. An einem allerdings ändern auch neue Plaketten nichts: Grundlage dafür sind jene Normen, die bisher trickreich unterlaufen werden.

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