Diesel-Urteil:Was Sie über die drohenden Fahrverbote wissen müssen

Hamburg könnte schon im Frühjahr Straßen für Dieselautos sperren. Welche Städte folgen? Und welche Autos sind betroffen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Josef Kelnberger

Millionen Dieselfahrer und Bürger in Städten mit belasteter Luft haben die Entscheidung teils gefürchtet, teils herbeigesehnt. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden: Diesel-Fahrverbote sind nach geltendem Recht grundsätzlich zulässig. Die Richter schaffen damit einen Rechtsrahmen für Städte wie Stuttgart und Düsseldorf, Fahrverbote für Dieselautos zu verhängen - nicht sofort, aber in absehbarer Zukunft. Was es damit auf sich hat:

Wie schnell kommen nun die Fahrverbote für alte Diesel in deutschen Städten?

Die ersten Verbote wird es wohl schon im Frühjahr 2018 in Hamburg geben. Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan kündigte am Dienstag nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts an, im Stadtteil Altona-Nord würden zwei viel befahrene Straßen für alte Dieselautos und Lastwagen gesperrt. "Die Schilder können noch heute bestellt und binnen weniger Wochen aufgestellt werden", sagte Kerstan. Die beiden Maßnahmen sind bereits im Luftreinhalteplan vorgesehen. Doch Verbote sind auch in vielen anderen Kommunen möglich: Gerissen werden die Grenzwerte laut Umweltbundesamt in 70 Städten.

Wann folgen Stuttgart und Düsseldorf?

Die beiden Städte und ihre Landesregierungen stehen nach Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in der Pflicht, Fahrverbote zu verhängen oder ernsthaft zu prüfen. In Düsseldorf geht es nur um Straßenzüge, in Stuttgart dagegen um die ganze Stadt. Mit der Sprungrevision versuchten sie vergeblich, die Verantwortung an den Bund abzugeben. Nun müssen die Regierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erst einmal ihre Luftreinhaltepläne fortschreiben, um die Modalitäten von Verkehrsbeschränkungen festzulegen. Die schwarz-gelbe NRW-Koalition will allerdings keine Verbote. "Dies kann nur die Ultima Ratio sein", sagte Umweltministerin Christina Schulze Föcking (CDU). Das baden-württembergische Verkehrsministerium dagegen kündigte in Leipzig "im Verlauf des Jahres" einen neuen Luftreinhalteplan an, der dann auch Fahrverbote enthält.

Die Leipziger Richter haben eine phasenweise Einführung angeregt, mit dem Termin 1. September 2019 für die jüngeren Modelle unter den veralteten Diesel. Andere lassen sich früher aussperren, doch die Politik dürfte auf Zeit spielen. Unwahrscheinlich ist, dass es vor 2020 umfassende Verbote gibt.

Welche Städte könnten nachziehen?

Auch wenn das Bundesgericht nur über Stuttgart und Düsseldorf verhandelt hat - die Entscheidung hat deutschlandweit Signalwirkung. Jede andere Stadt, in der die Grenzwerte für Stickoxide (NOx) überschritten werden, könnte Fahrverbote verhängen. Das Ziel der künftigen großen Koalition, Stillstand für Dieselfahrer zu vermeiden, ist damit ernsthaft in Gefahr. Allerdings ergibt sich aus dem Urteil keine Verpflichtung dazu. Die meisten Kommunen dürften vielmehr von den Klagen der DUH vor den Verwaltungsgerichten dazu getrieben werden.

Gerissen werden die Grenzwerte laut Umweltbundesamt in 70 Städten - am deutlichsten in München, Stuttgart und Köln. Zu den Problemstädten gehören auch Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Frankfurt, Hamburg, Mainz, Mannheim und Nürnberg.

Welche Autos sind betroffen? Und dürfen Handwerker-Autos künftig noch in die Innenstädte?

Soll eine Stickoxid-Umweltzone wirken, müsste sie laut Experten alle Dieselfahrzeuge unterhalb der aktuellen Euro-6-Norm aussperren. Von 15 Millionen Dieselautos wären dann gut zehn Millionen betroffen. Es handelt sich um Autos, die oft erst drei Jahre alt sind. Sie müssten nachgerüstet werden, um in Städte mit Verboten einfahren zu dürfen. Handwerker fahren zu 80 Prozent Diesel, für sie soll es nach dem Willen der Leipziger Richter Ausnahmeregelungen geben, ebenso für "bestimmte Anwohnergruppen". Konkreter wurde das Gericht aber nicht. Solche Regelungen wird man wohl auch für Polizei, Feuerwehr oder Pflegedienste erlassen. Hart treffen könnte ein Fahrverbot dagegen Millionen Pendler.

Mit welchen Schildern können die Städte überhaupt Straßen sperren?

Ein eigenes Straßenschild gibt es bisher nicht. Die Städte müssten sich also aus den Schildern bedienen, die bisher in der Straßenverkehrsordnung vorgesehen sind, etwa Verkehrszeichen Nr. 250: rund mit rotem Rand. Welche Fahrzeuge sie ab wann aussperren, ist Sache der jeweiligen Luftreinhaltepläne. Allerdings gab das Gericht den Städten eine Empfehlung mit. "Soweit die Beklagten einen Flickenteppich befürchten", sagte der Vorsitzende Richter, könnten auch Landesregierungen Regelungen aufstellen. Zudem wurde am Wochenende bekannt, dass der Bund an einem neuen Schild arbeitet: Werden Grenzwerte überschritten, lassen sich damit betroffene Streckenabschnitte absperren. Noch dieses Jahr soll es kommen.

Wie sollen die Fahrverbote wirksam durchgesetzt werden?

Die Frage kann derzeit niemand beantworten. Denn ohne erkennbares Zeichen auf der Windschutzscheibe müsste die Polizei die Papiere jedes einzelnen Autos prüfen. "Wir haben keine Hundertschaften im Keller, die nur auf neue Aufgaben warten", sagt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Solche Verbotszonen seien nicht kontrollierbar. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) prophezeite wegen der Diesel-Kontrollen in Stuttgart "Staus von Heilbronn bis Tübingen".

Das Bundesverwaltungsgericht sagt: Verbote sind auch möglich ohne Mitwirkung des Bundes. Aber wird der Bund den Städten nicht doch helfen?

Mit der Leipziger Entscheidung wächst der Druck auf die Bundesregierung, eine sogenannte blaue Plakette für saubere Autos einzuführen. Damit würden bundesweit einheitliche Vorgaben für Dieselverbote geschaffen, außerdem gäbe es mit der Plakette ein sichtbares Signal am Auto. Analog zur Regelung bei Feinstaub ließen sich so beispielsweise die Umweltzonen deutscher Städte für Autos sperren, die bestimmte Normen nicht erfüllen. Doch dafür gibt es bislang keine politischen Mehrheiten. Das von der CSU geführte Bundesverkehrsministerium weigert sich strikt, eine solche Plakette einzuführen. Man setzt auf andere Maßnahmen: Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, Modernisierung der Fahrzeugflotten, intelligente Verkehrsleitsysteme.

Zudem steigt der Druck auf die Auto-Industrie, den Kunden neben den Software-Updates auch eine Hardware-Nachrüstung ältererer Modelle anzubieten, um Verbote zu umgehen. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) plädierte wiederholt dafür, jetzt die Nachrüstung zu forcieren. In der Vergangenheit war sie auch für Fahrverbote eingetreten. So kurz vor dem SPD-Mitgliederentscheid über eine neue große Koalition gilt das allerdings als unpopulär.

Warum wird überhaupt vor Gericht über Fahrverbote gestritten?

Stickstoffdioxid gilt als gesundheitsschädlich. Die Gase reizen in höherer Konzentration Atemwege und Augen, verursachen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenprobleme. Belastend sind sie vor allem für Menschen mit Vorerkrankungen, zum Beispiel Asthmatiker. Etwa 6000 Menschen in Deutschland sterben einer Studie des Umweltbundesamts zufolge pro Jahr vorzeitig an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die von den Stickoxiden ausgelöst werden. Während die Politik beim Feinstaubproblem mit Umweltzonen reagiert hat, gibt es dies bei Stickoxiden bislang nicht. Dabei tragen Dieselfahrzeuge nach Angaben des Umweltbundesamts mit 60 Prozent zur Stickoxid-Belastung in den Städten bei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: