Diesel-Technik:Der Diesel ist totgesagt, aber noch lebt er

Mercedes beim TÜV

Eine Mercedes C-Klasse beim TÜV. Die Daimler-Mitarbeiter sind enttäuscht, dass der Diesel-Motor so an gutem Ruf eingebüßt hat.

(Foto: dpa)

Trotz Dreckschleuder-Ruf zeigen mehrere neue Diesel-Modelle: Es geht auch anders. Die Technik hat noch immer ihre Stärken.

Von Max Hägler

Die Bilder, die Überschriften, sie tun ihnen schon sehr weh hier in der Daimler-Motorenentwicklung in Stuttgart-Untertürkheim. Autos mit rußenden Auspuffen sind da abgebildet, Wörter wie "Diesel-Verbot" sind zu lesen oder "Diesel-Betrüger". Man kann es so auf den Punkt bringen: Der Diesel ist gerade dem Tod geweiht, nach überwiegender Meinung.

Wie geht man unter diesen Umständen in die Arbeit, dorthin, wo sie am Dieselantrieb forschen? Die Ingenieure in ihrem Labor blicken betrübt drein. "Früher hat der Kunde viel mehr auf den Motor geschaut", sagt einer von ihnen. Das stehe bei vielen heute nicht mehr so im Fokus, was schade sei, ja beinahe schmerze. "Denn wir haben hier schon ein schönes Stück Hightech entwickelt." Einen recht sauberen Diesel nämlich. Auch wenn es schwer zu glauben ist: Diese neuen Motoren funktionieren, ohne allzu große Wolken des gesundheitsschädlichen Stickoxids auszustoßen. Oder anders ausgedrückt: Es gibt durchaus Argumente dafür, dass der Diesel noch lange am Leben bleibt. Wobei das übrigens nicht nur die Damen und Herren Verbrennungstechniker sagen und ihre Konzernchefs bei Daimler, BMW oder Volkswagen. Sondern das räumen auch scharfe Kritiker ein. Die Lage beim Diesel ist komplizierter, als es oft den Anschein hat.

Aber die Debatte ist aufgeheizt. Und so zeigen die Daimler-Ingenieure ihre Arbeit, "das Schöne", wie sie sagen, nur zurückhaltend. Keiner will mit Namen in der Zeitung stehen, schon das ist bezeichnend für die Stimmung. Denn so gut sie ihre Arbeit auch finden mögen, der Diesel hat einen miserablen Ruf. Wer genannt wird, muss Schmäh und Spott der Nachbarn fürchten und vielleicht den Staatsanwalt.

Auch Daimler ist an der Misere beteiligt. Die Polizei war mit einem Großaufgebot hier, wegen des Verdachts auf Abgasbetrügereien. Selbst wenn sich noch alles als legal herausstellen sollte, bleibt der Vorwurf, sich nicht genug um eine saubere Luft gekümmert zu haben. Wer all die Missstände in der Branche betrachtet, die Ausflüchte der Manager, das Tricksen auf Kosten von Käufern und Stadtbewohnern, dem scheint das Totenglöckchen für diese Technik zu Recht zu läuten.

Überhaupt: Verbrennungsmotoren. Sich treiben lassen von der Wucht kleiner Explosionen, das wirkt schon sehr archaisch. Allerdings: Diese Explosionen sind mittlerweile sehr genau steuerbar, und die Abgase kann man in sehr hohem Maße filtern. Wenn man es richtig macht, kann der Diesel seine Stärken ausspielen. Der Verbrauch liegt bis zu 30 Prozent unter dem eines Benziners, entsprechend geringer ist der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid. Werden zudem mehrere Katalysatoren genutzt, reduzieren sie auch Stickoxide und Rußpartikel deutlich.

Zum Beweis fahren die Daimler-Techniker mit einer E-Klasse im Neckartal umher, vom Auspuff führt ein Schlauch zu einem Messgerät, das aus dem Kofferraum ragt. Ein Straßentest, wie so oft angemahnt. Die Werte, die vorne ans Notebook gesendet werden, sind im Durchschnitt klar unter der gesetzlichen Grenze, die als waagrechter Strich auf dem Bildschirm erscheint. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die lautesten Diesel-Kritiker, zumal ihr Chef Jürgen Resch, haben solche Messungen selbst durchgeführt. Sie kamen bei mehreren Modellen zu ähnlich guten Ergebnissen. "Das zeigt", sagte Resch im Frühjahr bei einer Gerichtsverhandlung zu Fahrverboten: "Sie haben nicht einen Fanatiker vor sich, der da draußen immer nur den Teufel sieht."

Geht schon - aber wieso erst jetzt?

Auch der grüne Ministerpräsident des Bundeslandes, Winfried Kretschmann, sieht die Technik nicht als Teufelszeug. "Es gibt den sauberen Diesel", sagte er, nachdem er das Triebwerk, genannt "OM 654", selbst inspiziert hatte. Kretschmann erzählt dazu gerne, dass er sich privat zuletzt einen Diesel gekauft habe: Er brauche ein zuverlässiges Auto, um zum Enkel ins Allgäu zu kommen. Selbst bei einem neuen Audi sind die Ergebnisse laut DUH sehr gut. Das mutet beinahe kurios an angesichts der immer neuen Facetten der Ermittlungen, die zeigen, wie Audi bisher bei der Abgasreinigung an der Grenze zur Legalität agierte. Fachleute des Magazins Auto, Motor, Sport haben zuletzt auch einen 5er BMW und einen Opel Zafira einer intensiven Inspektion unterzogen. Auch diese beiden unterbieten nun bei praxisnahen Straßentests die Grenzwerte deutlich.

Geht doch. Aber wieso erst jetzt? Zum Teil, das kann man wohl sagen, weil die Harnstoff-Technik zum Reinigen der Abgase noch nicht so erprobt war. Tatsächlich erschien es anfangs noch nachvollziehbar, etwa bei niedrigen Temperaturen die Filterleistung zurückzufahren, weil sonst die zähflüssigen Ingredienzien, der Harnstoff, das ganze System verkleben. Bei Daimler etwa haben sie nun eine zweite Heizung eingebaut und die Abgasreinigung insgesamt näher an den warmen Motorblock gelegt. Vieles spielt zusammen, sagen sie im Daimler-Labor.

Ein OM 654 ist in den Teststand gespannt: Hier die Rohre für die Abgasrückführung, dort der Harnstoffkatalysator, das sogenannte SCR-System, von dem gerade alle Experten reden. Dazwischen ein Partikelfilter. Es ist eine Art Chemiefabrik, mit Sensoren und Steuerung. Sie hängt wiederum an einem Motor, der den Diesel besser als früher verbrennt, weil sie ein Metallteil verändert, den Kolben in einer neuen Form gebaut haben. So mühsam kann der Fortschritt sein. Drei Milliarden Euro hat Daimler in die Entwicklung des Motors und die Anlagen für seine Serienfertigung gesteckt. Diesmal haben sie das Reinigen der Abgase von vornherein konsequent mitbedacht. Das macht es teuer, das macht es effektiv.

Das war nicht immer so, sagt einer, der sich ebenfalls seit vielen Jahren damit beschäftigt, wenn auch meist auf der anderen Seite. Reinhard Kolke arbeitete früher im Umweltbundesamt im Fachgebiet Luftreinhaltung, seit zehn Jahren ist er Testleiter beim Autofahrerverein ADAC. "Die meisten Motorentechniker haben gesagt: Wir kriegen die Stickoxide durch Maßnahmen am Motor runter." Lange habe das gegolten, auch deswegen hätten die Konzerne zumeist wenig Augenmerk darauf gelegt, dann auch noch das Abgas zu behandeln. Er deutet aus dem Fenster, direkt vor dem ADAC-Hochhaus in München parken gerade zwei Autos. Das eine ist eine Dreckschleuder, erklärt Kolke, und der dort drüben, der halte die Grenzwerte ein. Über einen Kamm scheren lässt sich die Branche nicht, noch nicht mal, siehe Daimler, alle Autos eines Herstellers.

Die Überlebenschance ist da

Es ist eine Preisfrage und eine der Prioritäten, die zu lange falsch gesetzt waren. "Ein anständiges SCR-System, bei allen Fahrzeugen", hätten die Autobauer einbauen können, einbauen müssen, sagt der Umwelttechniker. "Aber sie steckten leider zumeist mehr Energie in das Ausreizen von Richtlinien." Gerade bei Audi lässt sich dieses Ausreizen inzwischen immer deutlicher nachzeichnen. Doch am Lobbying war die ganze Branche beteiligt war.

"Es gibt nicht einen saubersten Hersteller", sagt Kolke. "Aber es gibt Modelle, die zeigen, dass der Diesel sehr sauber sein kann." Also, eine Technik mit Zukunft? Völlig überzeugt ist der Fachmann da nicht. "Solche Fahrzeuge kann man wahrscheinlich ohne Bedenken kaufen." Aber am wenigsten Risiko habe sicher ein sparsamer Benziner - solange es noch keine Diesel gebe, die nach der allerneusten Emissionsrichtline, genannt Euro 6d, zugelassen worden sind, also recht sauber sind im Straßenbetrieb. Das klingt kompliziert, nach noch einem Aufkleber mehr. Aber man kann es auch so sehen: Ziffer 6d steht für die Überlebenschance des Diesel.

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