Abgasskandal:Diesel-Nachrüster vor dem Aus?

SCR-Katalysator von der Firma Baumot. Copyright: Baumot

Preziose im Abgasstrang: Der nachgerüstete SCR-Katalysator ist zwar relativ teuer, dafür senkt er die Stickoxid-Emissionen von Euro-5-Dieseln erheblich.

(Foto: Baumot)

Das Thema Nachrüstkatalysatoren sollte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein. Doch wenige Autofahrer nutzen das Angebot. Das liegt nicht nur an den Corona-Beschränkungen.

Von Joachim Becker

Blauer Himmel über dem Ruhrgebiet, fast leere Autobahnen und Städte ohne Dunstglocken: Das Verkehrsaufkommen ist durch die Corona-Maßnahmen vielerorts um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Nicht nur die Staubbelastung durch Autos lässt nach, auch der Ausstoß von unsichtbaren Stickoxiden (NOx) vor allem aus dem Auspuff von Euro-5-Dieselfahrzeugen ist insgesamt geringer geworden. Selbst Intensivstädte wie Stuttgart halten neuerdings die NOx-Grenzwerte ein, verschärfte Maßnahmen zur Luftreinhaltung scheinen derzeit kaum nötig. In Mainz wurde das streckenbezogene Dieselfahrverbot auf der Rheinachse bereits um drei Monate auf Oktober verschoben. Also viel Lärm um nichts?

Ohne die unmittelbar drohenden Fahrverbote lässt der Druck nach, Euro-5-Diesel mit SCR-Katalysatoren sauberer zu machen. Am Ende könnte sich die Verzögerungstaktik der Autohersteller auszahlen. Um hohe Nachrüstkosten zu vermeiden, hatten sie für Software-Updates plädiert und die wirksamere Katalysator-Lösung torpediert, so gut es ging. Auf der anderen Seite hatte das Umweltbundesamt mit Modellrechnungen 2017 ermittelt, dass Software-Updates nicht ausreichen, um die Luft in den Städten sauber zu machen: "Die beschlossenen Maßnahmen führen zu einer Senkung der Stickstoffdioxidbelastung in den deutschen Städten von bis zu sechs Prozent. Diese Senkung reicht in den meisten betroffenen Städten nicht aus, um den Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter einzuhalten, der in der EU zum Schutz der menschlichen Gesundheit gilt."

Die Autohersteller haben auf Zeit gespielt, damit sich das Problem von selbst löst

Nach langem Zögern propagiert auch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) unter seinem neuen Präsidenten Richard Damm nun die Hardware-Nachrüstungen: "Neben neuen, emissionsärmeren Fahrzeugen und emissionsmindernden Software-Lösungen, bieten Hardware-Nachrüstungen eine weitere Möglichkeit, den festgelegten Emissionswert von 270 mg NOx pro Kilometer im realen Fahrbetrieb zu unterschreiten", ließ sich Damm in der vergangenen Woche in einer KBA-Pressemitteilung zitieren. "Fahrzeughalterinnen und Fahrzeughalter, die ihr Fahrzeug umrüsten lassen, leisten nicht nur einen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität, sie erhalten in besonders belasteten Regionen auch ihre Mobilität." Sieben Nachrüstsystemen für Pkw hat das KBA bisher die Betriebserlaubnis (ABE) erteilt. Das klingt nach wenig, damit lassen sich jedoch viele verschiedene Modelle der Marken Audi, BMW, Mercedes, Seat, Skoda, Volkswagen und Volvo nachrüsten.

Eigentlich sollte das Thema Hardware-Nachrüstung bis Ende dieses Jahres durch sein. Bis dahin läuft das "Sofortprogramm Saubere Luft" des Bundes. Doch die Bilanz ist ernüchternd, obwohl Mercedes und Volkswagen mit einem Zuschuss von 3000 Euro den größten Teil des Kostenrisikos tragen. Zumindest für die Halter von Euro-5-Dieselmodellen in den Intensivstädten: "Es liegen uns bisher keine Anträge von Kunden für die Bezuschussung einer Hardware-Nachrüstung vor, dementsprechend haben wir bisher auch keine Bezuschussung an Kunden geleistet", erklärt ein Volkswagen-Sprecher. Ähnlich sieht es bei Mercedes aus: "Wir haben mittlerweile rund 5000 Vorprüfungen für einen Zuschuss zu einer Hardware-Nachrüstung eines Drittanbieters über unsere Webseite erhalten", heißt es aus Stuttgart. Bisher hätten aber nur rund 170 Kunden den Zuschuss auch beantragt, lediglich drei Anträge seien abgelehnt worden.

Für die Entwicklungsdienstleister, die solche Systeme ohne Unterstützung der Autohersteller zur Marktreife gebracht haben, könnte die Initiative zum existenzbedrohenden Debakel werden. Von ihrem Ziel, jeweils mehr als 100 000 Fahrzeuge in diesem Jahr umzurüsten, sind sie weit entfernt. "Momentan haben alle Hersteller von Nachrüst-Katalysatoren mit der Corona-Krise zu kämpfen, weil viele Werkstätten geschlossen waren", sagt Martin Pley, Chef der Dr Pley SCR Technology GmbH. Im ersten Quartal hätten die Umsätze immerhin ausgereicht, um die Fixkosten des Unternehmens mit vier Mitarbeitern zu bezahlen. "Vor sechs Wochen hat unser Partner Bosal die zweite Produktions-Charge angestoßen. Zusammen kommen wir auf 3500 Systeme, die wir produziert haben oder gerade in der Produktion sind", fügt Pley hinzu. Bei Volvo würden kaum Systeme rausgehen, weil der Hersteller die Kosten nicht übernehme. "Bei Mercedes läuft es hingegen ganz gut, weil die Stuttgarter Zuschuss zahlen."

In der Kunden-Hotline von VW ist Nachrüstung kein Thema - trotz 3000 Euro Zuschuss

Kommt die Nachrüstwelle also mit nochmaliger Verzögerung? Auch die mittelständische Baumot Group mit insgesamt 80 Mitarbeitern versucht Zuversicht zu verbreiten: "Wenngleich der Shutdown Baumot natürlich in der denkbar ungünstigsten Zeit erwischt hat, konnte das Händlernetz auf mittlerweile rund 50 Händler ausgebaut werden", sagt Stefan Beinkämpen, der als Baumot-Vorstandsmitglied für den Bereich Pkw-Nachrüstung verantwortlich ist. Bei den Partnern seien rund 760 konkrete Terminanfragen für die Umrüstung eingegangen. "Daher sieht sich Baumot in der Strategie bestätigt, die Systeme zunächst für die volumenstärksten VW-Fahrzeugmodelle anzubieten", so Beinkämpen. Doch Terminanfragen sind noch lange keine ausgeführten Aufträge, wie die eingangs genannte Zuschuss-Bilanz von Volkswagen zeigt.

Die Prognosen waren ganz andere: Daimler hatte in verschiedenen Szenarien mit 20 000 bis 40 000 Nachrüstungen gerechnet, auch Volkswagen erwartete eine hohe Nachfrage und stellte zusätzliche Mitarbeiter an der Kunden-Hotline bereit. Zudem richteten beide Hersteller eigene Webseiten ein, die Fragen rund um die Nachrüstung beantworten sollten. Doch die Kunden sind durch den Dieselbetrug misstrauisch geworden, das hatte schon das Zögern bei Software-Updates gezeigt. Eine Studie des Ifa-Instituts für Automobilwirtschaft bestätigte Ende des vergangenen Jahres die große Skepsis unter den Besitzern der betroffenen Diesel. Rein rechnerisch ergebe sich zwar ein Umsatzpotenzial von knapp zehn Milliarden Euro, wenn alle Autos, Lastwagen und Busse in den Werkstätten landeten, für die eine Nachrüstung in Betracht käme. Das realistische Marktpotenzial liege aber nur bei einem Drittel davon. Und selbst die maximale Nachrüstungsrate würde die Stickoxidwerte bundesweit nur um 15 Prozent senken.

In der Krise stehen viele Kunden erst recht vor der Frage: nachrüsten oder auf Zuschüsse für den Neuwagenkauf warten? "Mittelfristig müsste uns die Shutdown-Situation helfen, weil weniger Neuwagen verkauft werden", erwartet Martin Pley: "Viele Menschen sind in Kurzarbeit und investieren erst einmal nicht in neue Autos." Das werde sich seiner Meinung nach in den nächsten zwei Jahren kaum ändern, weshalb die Euro-5-Flotte länger auf der Straße bleibe. "Ich gehe daher davon aus, dass in vielen Intensivstädten eher das Motto nachrüsten, statt neu kaufen gilt." Doch es kann auch ganz anders kommen. Für Anfang Mai ist der nächste Autogipfel bei der Kanzlerin geplant. Statt der Nachrüstung werden dort die Arbeitsplätze in den Autofabriken auf der Agenda stehen. Mit starken Kaufanreizen für abgasarme Neuwagen wäre zwar den Autoherstellern geholfen, doch den Werkstätten entgingen dringend benötigte Einnahmen. Und das Thema Nachrüstung wäre aufgrund des verjüngten (Diesel-)Fahrzeugbestandes endgültig tot.

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