Die Zukunft von Premium (1): MercedesWolken vor dem Stern

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Drum prüfe, wer sich ewig bindet: Warum die Daimler-Allianz mit Renault und Nissan keines der drängenden Mercedes-Probleme löst.

Georg Kacher

Daimler und seine Partner - das Thema könnte Bücher füllen. Nicht geklappt hat es mit VW, BMW, Fiat und Toyota. Geschieden wurden die Verbindungen mit Hyundai, Mitsubishi und Chrysler. Und jetzt, frisch unterschrieben, der Deal mit Renault, Nissan, Infiniti. Das Ziel aller Arrangements war und ist ein Wettbewerbsvorteil durch Synergieeffekte - gemeinsam stark, gemeinsam groß, gemeinsam profitabel. So jedenfalls sehen die Schwaben durch ihre rosarote Brille die Autowelt, deren einzige Konstante ein immer rascherer Wandel ist.

Trotzdem: Der Grundgedanke der Kooperation hat in den letzten 20 Jahren nichts an Attraktivität verloren. Statt parallel zu entwickeln, einzukaufen und zu produzieren, will man Geld, Anlagen und Ingenieursleistungen nach Möglichkeit zusammenlegen. Das hat Sinn - aber nur, wenn es jene Marken nicht beschädigt, die ihren Premiumanspruch und ihre Premiumpreise durch Premiuminhalte absichern müssen.

Und bei Mercedes hapert es hier an beiden Enden der Produktskala. So funktioniert Smart nicht, weil für solch eine Ein-Auto-Marke selbst der Weltmarkt zu klein ist. Und Maybach funktioniert nicht, weil zu wenige Superreiche auf eine veraltete S-Klasse-Metamorphose im König-Ludwig-Design hereinfallen. Allzu oft hat sich die Konzernmutter Mercedes den Schneid abkaufen lassen. Bei Smart hat man Roadster und Coupé zu früh die Luft abgedreht, den Forfour als bunten Colt fehlprogrammiert, den Formore lebendig begraben; bei Maybach wurde die geplante Evolution vorschnell gestoppt.

Und bei Mercedes läuft das Sandwichkonzept für die A- und B-Klasse just zu jenem Zeitpunkt aus, wo man den für Batterien, Range Extender und Wasserstofftanks geeigneten Hohlraum endlich nicht mehr nur mit Luft füllen müsste. Zu wenig Geduld, zu wenige Visionen, zu wenig Verständnis für die eigenen Marken - das sind nur drei Gründe dafür, warum Daimler 2009 mit mehr als drei Milliarden Euro ins Minus gerutscht ist.

Mercedes hat sich und seine Modulare Frontantriebsarchitektur (MFA) für den A-/B-Klasse-Nachfolger an der internationalen Kooperationsbörse angeboten wie Sauerbier. Erst als die Wunschpartner VW/Golf und BMW/Mini abwinkten, zog man das Programm in Eigenregie hoch; wohl wissend, dass teure Motoren, künftig vier Karosserievarianten und ein relativ flaches Stückzahlgerüst auch dieses Projekt nicht tief genug in den schwarzen Zahlen verankern würden. Jetzt hat Daimler den Pakt mit Renault/Nissan in der Tasche und wartet auf neue leichte Drei- und Vierzylinder, die "an die Mercedes-typischen Charakteristika angepasst werden".

Besser lässt sich die große Gefahr für die Premiummarke kaum in Worte fassen. Wie viel fremde Gene verträgt der Stern und was darf abfließen vom teuer erarbeiteten Know-how aus Germany? Wie sinnvoll ist eine Gleichteilestrategie, wenn sie zwei kaum kompatiblen Markenwelten dienen soll? Was nützt ein Fünf-Jahres-Abkommen, das - wie im Falle von MFA - erst 2018 mit der Nachfolgegeneration einen echten gemeinsamen Nenner definieren kann. Nein, mit dem Timing seiner Deals hat Mercedes kein glückliches Händchen.

Für Smart ist die Kooperation dagegen eine Art Überlebensgarantie. Gemeinsam mit dem Twingo wird aus dem Nachfolger des Fortwo wieder eine Familie. Zwar teuer, aber immerhin so modular, um genug Zweisitzer, Dreisitzer, Viersitzer, Lieferwagen, Stadtautos und Spaßautos auf die Räder zu stellen. Wie bei den leichten Nutzfahrzeugen, wo der Kangoo-Nachfolger in die Vito/VaneoRolle schlüpfen soll und Sprinter/Viano mit Trafic/Master anbandeln dürfen, tun die Markenwerte von Smart und Renault einander nicht weh.

Auch Nissan als Dritter im Kleinwagenbund wäre durchaus eine unkritische Größe, und bei den Aggregaten darf ebenfalls hemmungslos getauscht und gekreuzt werden. Doch schon beim Füllen der Lücke zwischen dem Bonsai-Viersitzer von Smart und der billigsten A-Klasse gerät der kooperative Genfluss ins Stocken, denn Mercedes kann es sich nicht leisten, ein Renault-Nissan-Derivat mit dem Stern zu adeln. Auch eine Programmerweiterung nach unten gilt als durchaus problematisch, da dem Downsizing-Potential der MFA-Matrix enge technische und auch finanzielle Grenzen gesetzt sind.

Das Kerngeschäft der Stuttgarter ist von der neuen Gemengelage zunächst kaum betroffen. Klar: Infiniti hätte gerne einen B-Klasse-Ableger für Europa, eine moderne Heck-/Allradantriebsmatrix für die nächste G/M/EX/FX-Generation sowie den einen oder anderen Vier- und Sechszylinderdiesel. Doch Mercedes ist diesbezüglich nicht im Zugzwang und kann taktieren; vielleicht auch im Tausch mit Elektronikbauteilen, Batterien und alternativen Antriebselementen. Schließlich ist Renault-Nissan gerade dabei, sich als neue starke Kraft im Nullemissionsbereich zu positionieren.

Für den deutschen Partner stellen sich ganz andere Probleme. Besonders prekär sind die sinkende Nachfrage in der Oberklasse, die immer härter umkämpfte Mittelklasse und der für Premiumhersteller potentiell fatale Trend zu kleinen Autos mit entsprechend schmalen Margen.

Um den Kostendruck zu lindern, muss auch Mercedes einen Modulbaukasten für Hecktriebler (MRA) zusammenstellen, der mittelfristig nicht nur alle Modelle von der C- bis zur S-Klasse einschließt, sondern auch die schlankeren Crossovertypen ML und GL. Ob diese Strategie Begehrlichkeiten in Paris und Tokio weckt? Aber sicher doch. Mit dem neuen Renault-Topmodell auf Basis Samsung SG5/alter Nissan Maxima lässt sich nämlich nirgendwo auf der Welt mehr ein Blumentopf gewinnen.

Die nächste S-Klasse startet 2012 als grün eingefärbte Luxuslimousine mit einer Mischung aus Mild-Hybrid (Serie) und Plug-in-Hybrid (Option). Auch ein großes Coupé gilt wieder als gesetzt, doch vom SEC Cabrio und von besagtem Maybach-Nachfolger hat man schon lange nichts mehr gehört. Zwischen S und E debütiert noch in diesem Jahr die zweite Generation des CLS, von dem es 2011 sogar einen Shooting Brake geben wird.

Die E-Klasse-Palette wird mittelfristig noch breiter aufgefächert, um Platz zu machen für einen deutlich leichteren ML-Nachfolger, für ein noch zu definierendes Raumkonzept (R-Nachfolger) und für das eine halbe Stufe höher positionierte Coupé und Cabrio. Die betriebswirtschaftlich wichtigste Baureihe ist in Zukunft die C-Klasse. Auch auf Basis des kleinsten Hecktrieblers ist eine Art CLR-Sportvan angedacht, der als geräumige und fahraktive Ergänzung zum Kombi und zum GLK-Nachfolger Erfolg haben könnte. Das Angebot abrunden soll eine jüngere und dynamischere Neuinterpretation von Coupé und Cabrio.

Die Wachablöse des CLC wechselt vom Heckantrieb zur Kompaktwagenmatrix, die wahlweise mit Front- oder Allradantrieb zu haben sein wird. Während die zweite B-Klasse-Generation der klassischen Hochdach-Silhouette die Treue hält, ist der BLK ein coupéhafter Crossover mit sportlich-knackigen Proportionen. Gut ankommen dürfte auch die flachere und breitere neue A-Klasse, die ausschließlich als Viertürer ausgelegt ist.

Mit SLS, SL und SLK hat sich Mercedes einen erfolgreichen Sportwagen-Claim abgesteckt, der auch ohne den überteuerten McLaren SLR gut über die Runden kommt. Sobald sich der Hype um den Flügeltürer etwas gelegt hat, wollen die Stuttgarter eine Roadster-Variante und den vollelektrischen SLS eDrive nachschieben. Unterhalb von SLS und SLK wäre noch Luft für je ein erschwinglicheres Spaßauto mit Sechs- und Vierzylinder, doch ob und wann die Marke hier nachlegt, steht in den Sternen über der Zentrale in Möhringen.

Sicher ist, dass Mercedes den Hybridantrieb und die Elektromobilität forciert - Top-down mit der neuen S-Klasse sowie Bottom-up mit der nächsten A-/B-Klasse und mit dem Smart. Die Vorreiterrolle verschlingt auch in Zukunft beträchtliche Eigenmittel, aber dafür winken im Komponentenbereich bald signifikante Skaleneffekte.

So wollen Smart und Renault beispielsweise von 2014 an die gemeinsame Kleinwagenproduktion von 120.000 auf 360.000 Einheiten verdreifachen. Sparen wird Mercedes darüber hinaus bei den bislang im Alleingang realisierten Motoren für die rund 330.000 Kompaktwagen, denn die nächste Triebwerksgeneration ist markenübergreifend auf eine Jahresproduktion von fast vier Millionen Einheiten ausgelegt.

Die neue Konstellation mag Rettungsanker für Smart und in zweiter Konsequenz für die A/B-Klasse sein, aber sie löst kaum eines der Probleme der Marke Mercedes. Der Mann, der sich für die Mercedes Car Group darum kümmern soll, heißt vermutlich nicht Dieter Zetsche, sondern Wolfgang Bernhard. Der frühere Chrysler- und VW-Chef mag kein mit Benzin gesäugter Auto-Aficionado sein. Aber er kennt die globalen Abläufe und Abhängigkeiten der Branche wie kaum ein zweiter.

Dies wird sich bezahlt machen, denn immer mehr Mercedes-Modelle rollen nicht mehr im Ländle vom Band, sondern in Kecskemet, Tuscaloosa oder Peking.

© SZ vom 26.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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