Die Zukunft des Autos:Ein Land unter Strom

Deutschlands Autohersteller erobern die Straßen der Hauptstadt - erstmals mit Elektroantrieb.

Michael Bauchmüller und Michael Kuntz

Wenn heute von der Autobranche die Rede ist, fällt meist das Wort Krise. Und doch hoffen nicht nur die Hersteller, sondern glaubt auch die Bundesregierung, dass der Individualverkehr eine Zukunft hat. Alle setzen auf das Elektroauto. Eine Million davon sollen in naher Zukunft auf Deutschlands Straßen rollen. Doch woher kommt der Strom für sie? Und gibt es nicht noch effizientere Alternativen zum Verbrennungsmotor?

Die Zukunft des Autos: Das Auto hat den Menschen Freiheit und Unabhängigkeit beschert. Soll das so bleiben, muss das Auto unabhängig vom Benzin werden: Highway in den USA

Das Auto hat den Menschen Freiheit und Unabhängigkeit beschert. Soll das so bleiben, muss das Auto unabhängig vom Benzin werden: Highway in den USA

(Foto: Foto: afp)

Andere fahren mit Litern, dieser hier mit Kilowattstunden. Andere haben hinter dem Lenkrad einen Tachometer, dieser hier eine Ladeanzeige. Andere machen Lärm, dieser hier produziert Stille. Ein winziges "E" macht den Unterschied: Dieser hier, das ist der BMW Mini E, ein elektrisches Auto, das demnächst auf den Straßen Berlins rollen soll. "Kein einizges Gramm Kohlendioxid" stoße dieses Auto aus, schwärmt BMW-Chef Norbert Reithofer. Zumindest, solange es nicht mit Kohlestrom unterwegs ist.

In Brüssel bekämpfen Deutschlands Autohersteller derzeit Klimaauflagen für ihre Fahrzeuge, in Berlin aber bringt einer nach dem anderen die nächste Generation des Automobils auf die Spur. 50 Minis will BMW anrollen lassen. Der Energiekonzern Vattenfall stellt ebenso viele Stromtankstellen auf; schlanke, silberne Säulen. Per Kabel lässt sich der Mini hier volltanken, eine Chipkarte regelt die Abbuchung.

Am Dienstag stellten BMW und Vattenfall das neue Projekt in Berlin vor. Seit Juni arbeiten Volkswagen und Eon für ein Pilotprojekt in Berlin zusammen, im September hatte Daimler einen Modellversuch in der Hauptstadt angekündigt. Der Stuttgarter Konzern will 100 Elektro-Mercedes und -Smarts einsetzen, Vattenfall-Konkurrent RWE baut 500 Zapfsäulen. "Wir haben das Automobil erfunden", prahlte seinerzeit Daimler-Chef Dieter Zetsche, "jetzt erfinden wir es neu."

Teures Öl, bessere Batterien

So viel ist freilich auf den ersten Blick nicht neu zu erfinden. Äußerlich unterscheidet sich das Elektroauto in nichts von seinem Bruder mit Verbrennungsmotor. Nur hat es keinen Tank, sondern einen Akku. Der Motor basiert nicht auf Verbrennung von Kraftstoffen, sondern auf dem simplen Konzept von Spule und Magnetfeld, eben einem Elektromotor. Die Variante ist alt: Als das Automobil gerade erst erfunden war, lagen Kraftstoffe und Strom schon einmal im Wettstreit. Nicht zufällig fuhr ein Elektromobil als erstes schneller als 100 Stundenkilometer - 1899. Doch der Strom ließ sich nicht so gut speichern wie der Sprit. Verbrennungsmotoren setzten sich durch.

Ein Land unter Strom

Nun entwickeln sich die Dinge in die andere Richtung. Fossile Kraftstoffe werden, einmal abgesehen von Zeiten der Wirtschaftskrise, nie wieder so günstig werden, wie sie einmal waren. Experten der Internationalen Energie-Agentur in Paris erwarten schon von 2010 an spürbare Engpässe bei der Ölproduktion. Und die Speichertechnik erlebt Fortschritte, wie sie lange undenkbar waren. Beispiel Mini E: Mit einer Lithium-Ionen-Batterie aus Taiwan kommt er bis zu 250 Kilometer weit, und mit gut 200 PS unter der Haube beschleunigt der Wagen auf 152 Kilometer die Stunde. Nichts für weite Strecken, aber für den Anfang nicht schlecht - wenn auch immer noch sehr teuer.

Derzeit tüfteln die Forscher an neuen, flachen Batterien, die unter den Autos angebracht werden können. Anders als beim Elektro-Mini bliebe dann vielleicht auch noch Platz für Passagiere im Fond und für mehr als eine Reisetasche. Und auch die Speicherung via Wasserstoff und Brennstoffzelle haben die Entwicklungsabteilungen noch nicht abgeschrieben. "Die Batterie ist der entscheidende Schlüssel zur Elektromobilität", sagt Matthias Wissmann, der Chef des Automobil-Verbands VDA. Und erstmals sei mit der Lithium-Ionen-Batterie die Lösung in Sicht. "Diese Speichertechnik bedeutet einen Quantensprung", sagt Wissmann. "Wer hier die Nase vorn hat, sichert die Märkte der Zukunft."

Die Begeisterung für die neue Technologie ist enorm. Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung einen "nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität" beraten. Er soll über zehn Jahre hinweg klären, wie sich die Einführung der Strommobile beschleunigen lässt. Zwei Tage lang debattieren 400 Experten aller betroffenen Branchen derzeit in Berlin, wie der Plan aussehen könnte, auf einer "Nationalen Strategiekonferenz".

Die Autos erlangen unter Experten zunehmend den Ruf eierlegender Wollmilchsäue: Sie machen ihre Besitzer unabhängiger vom Öl, sie verursachen weniger Feinstaub und Stickoxide und keine Abgase beim Fahren, sie erzeugen kaum noch Lärm. Wer sein Auto betanken will, muss nicht einmal zur Tankstelle, er kann das auch über Nacht in der Garage machen. Zweieinhalb Stunden braucht die Füllung per Starkstrom-Leitung beim Mini, zehn Stunden an der normalen Steckdose. Das moderne Elektro-Auto hat selbstverständlich Anschlüsse für beides.

Ein Land unter Strom

Elektromotoren nutzen ihre Energie wesentlich effizienter als Verbrennungsmotoren. Und das bedeutet eben auch: "Der Strom, den man für eine Million Elektroautos bräuchte, geht im Rauschen unter." So sagt es Uwe Leprich, Leiter des Saarbrücker Instituts für Zukunftsenergiesysteme. Die Autohersteller schließlich hoffen auf einen Ausweg aus der CO2-Sackgasse. "Ohne einen Paradigmenwechsel weg von der jetzigen Technologie wird der Verkehrssektor seine Klimaziele nicht erfüllen", sagt Jack Short, Chef des Weltverkehrsforums.

Gigantischer Öko-Speicher

Längst inspiriert die neue Technologie die Fantasie der Ingenieure. Denn die Stromspeicher der Autos könnten eine Zusatzaufgabe übernehmen: die Speicherung von überschüssigem Strom aus Windrädern. Theoretisch ließen sich die vielen Auto-Akkus in ferner Zukunft zu einem gigantischen Stromspeicher zusammenschließen. Geht etwa nachts eine frische Brise, könnten die Autos den günstigen Windstrom aufnehmen. Bei Bedarf könnten sie ihn später wieder abgeben, zumindest jene Autos, die nicht fahren müssen. Jede Garage, jede Straßenlaterne, jeder Stellplatz im Parkhaus könnte zur Be- und Entladestation werden. Für Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ein Schlüssel zum Ausbau erneuerbarer Energien. "Es geht auch darum, wie wir unsere Netze produktiver machen, um erneuerbare Energien aufzunehmen." Die Elektroautos könnten so zum "Pufferspeicher" werden, wirbt Gabriel. "Nur mit Ökostrom wird ein Elektroauto zum echten Nullemissionsfahrzeug."

Der Gedanke treibt auch Umweltschützer um. "Die Feldversuche der Autokonzerne sind nur Pseudo-Klimaschutzprogramme, um ihr Image aufzupolieren", sagt Marc Specowius, Verkehrsexperte bei Greenpeace. Dafür spreche schon die Kooperation mit Vattenfall und RWE. Beide verstromen im großen Stil die klimaunfreundliche Braunkohle. Greenpeace hatte nachgerechnet, wie viel CO2 auch der Elektro-Mini ausstößt, sofern er mit dem Strommix von Vattenfall fährt. Ergebnis: 133 Gramm Kohlendioxid je Kilometer, also immer noch mehr als der Mini One mit Verbrennungsmotor. Vattenfall wiederum legt Wert darauf, die Autos nur mit Ökostrom zu betreiben.

In den USA immerhin trifft BMW schon jetzt auf gigantisches Interesse an seinen E-Minis. In den amerikanischen Bundesstaaten Kalifornien, New York oder New Jersey haben sich schon 10.000 Leute um das Elektroauto beworben. Während in Deutschland auch Prominente wie BDI-Chef Werner Schnappauf demnächst den Mini testen, setzt BMW an West- und Ostküste der USA auf ganz normale Leute. Für 850 Dollar im Monat können sie den Wagen (geschätzter Wert: 250.000 Dollar) leasen. Einzige Bedingung: eine abschließbare Garage.

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