Die Eisenbahn und der Winter:Auf dünnem Eis

Den Kampf gegen den Winter führen die Eisenbahnen in Deutschland und der Schweiz auf unterschiedliche Weise.

Klaus C. Koch

Schnee, Eis und zugefrorene Weichen - das Winterchaos der Bahn war perfekt. Ein wenig Entlastung gab es nur, als die Temperaturen zwischendurch mal wieder stiegen. Und besondere Eile war bei der Deutschen Bahn angesagt, als um die Weihnachtstage der Takt aus den Fugen geriet und unzählige Schwachstellen zu beseitigen waren.

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Harter Einsatz: Wenn hoher Schnee die Schienen blockiert, helfen oft nur rollende Fräsen.

(Foto: Rhaetische Bahn)

Denn der Druck der Öffentlichkeit war und ist groß. Und für manchen Bahn-Mitarbeiter endete die Hektik bei dem Versuch, Schienenwege wieder freizumachen, tödlich. So starb nahe Blankenburg ein 47-Jähriger bei dem Versuch, die Weichen der S-Bahnlinie 2 zum Karower Kreuz zu enteisen; sein 20 Jahre alter Kollege wurde schwer verletzt. Ein Zug überrollte die Männer. Und auch auf der Strecke Köln-Wuppertal wurden zwei Arbeiter von einer Regionalbahn erfasst.

Dabei geht es, so ärgerlich das für viele Fahrgäste auch sein mag, nicht nur um ein paar Minuten Verspätung. Es geht vor allem um handfeste Probleme mit der Infrastruktur. Schuld daran, so heißt es, seien Kosteneinsparungen auf Seiten der Bahn, die das Netz vernachlässigt und beispielsweise nicht genug Weichenheizungen angeschafft habe.

Doch der Hinweis darauf, dass Verspätungen bei Minustemperaturen in Ländern wie der Schweiz oder in Schweden angeblich nicht so massiv auftreten wie in Deutschland, ist nicht in jedem Fall schlüssig. So hatten Weihnachten Schneefälle und starke Winde auch in Südschweden ein Chaos zur Folge.

Und auch bei den Schweizer Bahnen SBB - dort gehört es zum Kerngeschäft, Skiurlauber und Touristen aus aller Welt in eisige Höhen und über steile Pässe zu befördern - ist es keine Seltenheit, dass Strecken wegen Lawinenabgängen oder Steinschlag gesperrt werden müssen.

Höhere Gewalt war im Spiel, als 2009 auf der Gotthardstrecke zwischen Lavorgo und Airolo ein Zug in Richtung Norden im Schnee steckenblieb. Auf der Simplonachse war Steinschlag angesagt, bei der Matterhorn-Gotthard-Bahn wurden Reisende des Glacier Express über den Lötschberg und Chur umgeleitet.

Unter den europäischen Bahnbetreibern ist es zwar nicht üblich, mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen und sich selbst als Musterknabe zu verkaufen. Aber in der Tat machen die Eidgenossen "eine andere Betriebsphilosophie" für sich geltend. Zwar entspricht die Ausdehnung des SBB-Schienennetzes nur rund einem Zehntel des Netzes der Deutschen Bahn und wird mitunter als größere S-Bahn bespöttelt.

Ein Problem der Deutschen Bahn: die Distanzen

Aber das Bewusstsein um die Notwendigkeit, den Schienenverkehr in Gang zu halten, ist zwischen Schaffhausen, Simplon und Chiasso tiefer verankert als bei den deutschen Nachbarn - zumal der Bahn im alpenquerenden Güterverkehr Priorität eingeräumt wird. Umgerechnet auf die Zugkilometer wird hier die Schiene doppelt so stark frequentiert.

Deutsche Bahn

Hauptproblem ist, dass die Distanzen in Deutschland so groß sind. Versagt zum Beispiel auf der Strecke Berlin-Hannover ein Relais, muss der Reparaturtrupp, der aus Berlin oder Magdeburg kommt, manchmal bis kurz vor Wolfsburg fahren, um den Fehler zu beheben.

(Foto: dpa)

In einem eigens geschaffenen Lagezentrum in Bern sind acht Mitarbeiter mit den Vorbereitungen für die kalte Jahreszeit bereits im Sommer beschäftigt. "Wir können nicht erst damit anfangen", so ein SBB-Sprecher, "wenn der erste Schnee fällt."

Weichenheizungen, Vorratstanks, Signaltechnik und ferngesteuerte Systeme werden geprüft, an den Waggons werden Türen und Schließmechanismen kontrolliert. Sinken die Temperaturen, werden die Schienenfahrzeuge bereits ab zwei Grad über null nicht mehr durch Waschstraßen geschickt, sondern von Hand und per Hochdruckreiniger von Schmutz befreit. Die Systeme in Zügen und Lokomotiven laufen nachts durch, damit am nächsten Morgen kein Eis oder Kondenswasser in Versorgungsleitungen und Kompressoren den Start vereitelt.

Ist ein Tiefdruckgebiet mit Schnee im Anzug, wird exerziert, was auf Flughäfen Standard ist - die Wetterberichte werden analysiert, Daten stündlich auf den neuesten Stand gebracht. Und beinahe schon militärisch wird der Einsatz von Bahnbediensteten und Schneeräumdiensten in fünf Bereitschaftsstufen organisiert. "Stufe Vier" wird ausgelöst, wenn die Wetterfront nur noch eine Stunde entfernt ist. SBB-Sprecher Christian Ginsig: "Dann weiß jeder, dass er schon mal die Schaufel packen kann."

Doch auch die Deutsche Bahn ist nicht untätig geblieben. So gibt es bei der DB in der zentralen Netzleitstelle in Frankfurt am Main einen Meteorologen, der seine Analyse der Wetterdaten jeweils an die regionalen Betriebszentralen weiterreicht und den Grad der Bereitschaft in drei (statt fünf) Einsatzstufen unterteilt. Erstmals seit diesem Winter sind spezielle Winterkoordinatoren im Einsatz.

Hauptproblem aber ist, dass die Distanzen in Deutschland größer sind als in der Schweiz. Versagt zum Beispiel auf der Strecke Berlin-Hannover ein Relais, muss der Reparaturtrupp, der aus Berlin oder Magdeburg kommt, manchmal bis kurz vor Wolfsburg fahren, um den Fehler zu beheben. "Da hätte man die Schweiz zwischen Genf und St. Gallen schon durchquert", so ein DB-Sprecher.

Mit Geothermie gegen den Winter?

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Um den Stromverbrauch von Weichenheizungen zu drosseln, wird mit Erdwärme experimentiert.

(Foto: oh)

Personalmangel? Anders als bei den Schweizern, waren in Deutschland um die Feiertage nicht mehrere hundert, sondern 10.000 Bahnmitarbeiter und Auftragnehmer, die Bahnsteige und Weichen räumten, Schneepflüge und -fräsen bedienten, bis zur Erschöpfung im Einsatz.

Auch in Deutschland sind 47.000 der insgesamt 67.000 Weichen, und somit ein noch höherer Prozentanteil als in der Schweiz, für eisige Temperaturen gerüstet. Geheizt wird je nach Bedarf elektrisch oder mit Gas.

Bei einem Hersteller in Dortmund, der 2006 auch die höchstgelegene Eisenbahnstrecke der Welt von Golmud nach Lhasa mit einwandfrei funktionierenden Weichenheizungen ausrüstete, herrscht derzeit regelrecht Ausverkauf, sagt ein Mitarbeiter. Die Heizstäbe selbst kommen von Elektrolux aus der Schweiz.

Rund 300 Watt Heizleistung werden pro Schienenmeter an der Weiche veranschlagt, was bei acht bis zehn Meter dem Stromverbrauch eines Einfamilienhauses entspricht. Die Heizsysteme arbeiten nach dem Prinzip der elektrischen Widerstandsheizung, die den Strom im Eisen und am Klemmbügel verbrät.

Das addiert sich bundesweit auf 230 Gigawattstunden und etwa 115.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Im Hintergrund arbeitet ein Computer im Stellwerk, der von Temperaturfühlern, Sensoren und einer ganzen Reihe von Messinstrumenten mit Daten gefüttert wird, die den Einschaltzeitpunkt bestimmen.

Am Bayerischen Zentrum für Angewandte Energieforschung (ZAE) wurde sogar eine Weichenheizung entwickelt, die auf geothermischem Weg Erdwärme aus der Tiefe bezieht.

Die Deutsche Bahn legt Wert auf die Feststellung, dass ihre Anlagen und Weichen zu Beginn jeder Frostperiode geprüft werden. "Bei starkem Schneefall, extrem niedrigen Temperaturen und Wind", heißt es, "kann es dennoch mehrere Stunden dauern, bis die Anlagen wieder voll funktionsfähig sind."

Für manchen Reisenden, der eine Anschlussverbindung erreichen will, ist der Zug dann aber schon abgefahren.

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