Die Deutschen und das Auto:Die große Auto-Lüge

Illustration zur Autoliebe der Deutschen

Der Diesel-Skandal um VW ist eine echte Belastungsprobe für die Liebesbeziehung der Deutschen zum Auto.

Der Diesel-Skandal erschüttert den VW-Konzern - und eine ganze Auto-Nation. Die Liebe der Deutschen zum Pkw ist legendär. Stirbt nun der Mythos?

Essay von Marc Beise

Sie heißen Perle oder Jockele, Dionysos, 11friede oder, klar, Baby. Oder, wie im gleichnamigen VW-Käfer-Movie, Herbie. Deutsche mögen es, ihren Autos Namen zu geben. Noch im Post-DDR-Film "Go Trabi Go" gab's den Papa und den Schorsch, und der Schorsch war das Auto. Niemand belegt seinen Staubsauger mit einem Kosenamen, vermutlich nicht mal den Fernseher. Aber das Auto. Das ist vielleicht die einzige Sache, mit der man auch regelmäßig spricht.

Die Erklärung der Psychologen überrascht nicht wirklich, natürlich ist das eine Frage der Identifikation. Wer sein Auto benennt, schafft eine Bindung, die stärker ist als die reine Dinglichkeit. Das Auto wird aus der Masse herausgehoben, es wird individualisiert wie ein Mensch.

Die ultimative Menschwerdung

So machen es auch die Autobauer, so ist ihre Sprache. Für sie hat das Auto ein Gesicht, Ohren, einen Hintern. Ein Lächeln und eine Anmutung. Sie nennen Fahrzeuge meist nicht mehr technisch Audi 60, Ford 17 M oder BMW 2002, sondern Tiguan oder Twingo oder Smart. Oder, das ist dann die ultimative Menschwerdung: Adam. Der Pakt mit der Emotionalität funktioniert, und die Begeisterung für diesen faradayschen Käfig auf vier Rädern hält sich hartnäckig in Deutschland, wo das Auto schließlich mehr oder weniger erfunden worden ist.

Nun ist es allerdings so, dass junge Menschen in Großstädten gerne die Meinung vertreten, das Auto sei völlig out. Daran ist nur soviel richtig: Viele Angehörige dieser Generation wollen gar kein Auto mehr besitzen. Es reicht ihnen, bei Bedarf eines mitzubenutzen. Mitfahrdienste und Carsharing-Angebote boomen. Einige machen auch mit 17 oder 18 Jahren gar nicht mehr erst den Führerschein, was früher von der Umwelt als recht merkwürdig wahrgenommen worden wäre, ein Außenseiter-Symptom, heute dagegen kann es mentale Stärke signalisieren: Diesen Mist brauche ich nun wirklich nicht. Dafür aber Smartphone, Macbook und Netflix-Abo.

Die wahre Bedeutung zeigt sich auf dem Land

Das gibt es also auch, und ja: mehr als früher. Aber dass das ein bereits vollzogener Paradigmenwechsel wäre, dass das Auto als der Deutschen Lieblingsspielzeug ausgedient habe, das stimmt nicht. Man muss ja nur mal aufs Land rausfahren, um die nach wie vor große Bedeutung des Pkw zu erkennen, nicht nur als notwendiges Fortbewegungsmittel vom Dorf in die Kreisstadt. Sondern auch als Lustobjekt und Statussymbol, und nicht zu knapp.

Warum auch nicht. Autofahren macht nämlich richtig Spaß.

Dabei, man muss es zugeben: Eigentlich gibt es keine guten Gründe mehr, dem Auto so viel Bedeutung beizumessen, wie viele von uns das tun, und sich dabei kräftig selbst betrügen. Das beginnt schon beim Autokauf. Wochenlange Debatten in der Familie, welches Modell denn nun gekauft werden soll, wiederholte Besuche im Autosalon, peinlich genaue Auswertung der Testberichte - würde man mal mit der selben Sorgfalt seine Altersvorsorge planen. Dann die Markentreue: Ich bin Mercedes-Fahrer, oder: Die Technik vom Porsche ist Spitze. VW, da weiß man, was man hat. Weiß man das wirklich? Wo doch immer mehr Teile des Autos markentechnisch gar nicht mehr zuzuordnen sind.

Opels Geld - Gewinne für GM

Mancher hat schon als Deutscher in Treue fest einen Opel gekauft, und wusste nicht, dass die Gewinne des Konzerns an die amerikanische Mutter abgeführt werden. Von der Begeisterung für leichte oder sogar schwere SUVs ganz zu schweigen, die bei hohen Unterhaltskosten in deutschen Vororten die Straßen verstopfen und unebenes Gelände in ihrem ganzen Autoleben nicht sehen.

Und dann erst die Autobahn morgens um sieben, wenn sich die mit jeweils nur einer Person besetzen Autos zu Tausenden im Stau voranquälen in die Großstadt. Da müsste man sich schon fragen, warum eigentlich nicht Fahrgemeinschaften organisiert werden, was Betriebskosten sparen, Nerven beruhigen und die Umwelt weniger belasten würde. Der Wunsch nach freier Fahrt für freie Bürger und die Lust daran, das Lenkrad ganz fest zu halten und das Gaspedal ganz durchzudrücken - auch das gibt's noch, obwohl man natürlich wissen müsste, dass ein gleichmäßiger Strom besser für die Nerven, die Gesundheit und den Verkehrsfluss ist.

Eine ganze Werbeindustrie lebt vom Auto

Lauter kleine und große Lebenslügen, das ist schrecklich dinomäßig, wohl wahr. Schlecht für die Umwelt, das vor allem. Aber auch für den eigenen Geldbeutel. Einfach unvernünftig. Aber es hat halt das besondere Etwas, das man dem, der's nicht fühlt, so schlecht erklären kann. Eine ganze Werbeindustrie lebt davon, dieses Gefühl zu bedienen mit ihren Hochglanzanzeigen und TV-Filmchen, in denen ein Auto den kalifornischen Highway entlang kurvt oder sich auf unwirtlichen Schneepisten dreht.

Und weil immer noch viele Menschen diesem Zauber verfallen, haben deutsche Automanager in München, Stuttgart, Wolfsburg und Ingolstadt die Abgesänge aufs Auto lange lächelnd abgetan. Sie blickten auf ihre Absatzzahlen, die nicht nur in China glänzten, sondern auch auf dem Heimatmarkt noch ganz ordentlich waren, und fanden die Welt weiter in Ordnung.

Bis am Freitag vor einer Woche - länger ist das tatsächlich noch nicht her! - das Drama um VW begann.

Großer Betrug an Behörden und Kunden

Es hat natürlich nicht an diesem Tag begonnen, sondern viele Jahre früher, ungefähr um das Jahr 2007. Damals bekamen die Machthaber in den deutschen Autokonzernen auf der Suche nach einem Hebel, um nun auch den attraktiven amerikanischen Markt aufzurollen, eine neue, attraktive Diesel-Motor-Technik auf den Tisch, die man so oder so konstruieren konnte. Wie es scheint, haben sich Manager des VW-Konzerns für einen Weg erschienen, der ein großer Betrug war an Behörden und Kunden. Seitdem jagt eine Nachricht die nächste, und nein, das ist kein Medienhype, das ist das Leben. Jetzt schon darf man sagen, dass "Diesel Gate", wie das die Amerikaner nun nennen, gewaltige Folgen haben wird.

Namentlich für VW wächst das gerade zu einer existenziellen Bedrohung. Eine Klagewelle rollt auf den Konzern zu, der doch bis eben noch der deutsche Vorzeigekonzern war: 200 Milliarden Euro Jahresumsatz, 600 000 Mitarbeiter, mit dem bestbezahlten Konzernchef an der Spitze. Der Boss ist weg, Köpfe rollen, der Aktienkurs fällt, und die Verfahren, Untersuchungen, öffentliche (Vor-)Verurteilungen sowie vor allem die Schadenersatzforderungen werden die Firma auf Jahre beschäftigen.

Anfang vom Ende der deutschen Autoherrlichkeit?

Aber es geht um mehr. Noch sind die anderen Autokonzerne erst am Rande betroffen, aber alle sind nicht ohne Grund alarmiert - und das zu genau dem Zeitpunkt, da die kalifornischen Internetkonzerne Google und Apple und der Elektroautobauer Tesla zum Angriff blasen. Und was die Rolle der deutschen Wirtschaft insgesamt angeht, stehen zentrale Charakteristika im Feuer: Zuverlässigkeit, Präzision, Ehrlichkeit.

Womöglich, kann man spekulieren, erleben wir gerade den Anfang vom Ende der deutschen Autoherrlichkeit.

Diese Herrlichkeit währt immerhin schon weit mehr als hundert Jahre. Man nennt üblicherweise 1886 mit Carl Benz' Patent Motorwagen Nummer 1 als das Geburtsjahr des modernen Automobils mit Verbrennungsmotor. Noch mal hundert Jahre früher, am 20. September 1792, fand in der Nähe des kleinen französischen Ort Valmy ein wegweisendes Gefecht statt. Drei Jahre nach der Revolution in Paris lieferte sich die französische Revolutionsarmee mit dem preußischen Kontingent der Anti-Revolutionskoalition ein Artillerieduell, brachte deren Feldzug zum Stehen und leitete den Rückzug der Angreifer ein. "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen", soll der große Goethe, der als Begleiter des Herzogs Karl August von Sachsen-Weimar dabei gewesen war, am Abend nach der Kanonade von Valmy zu Offizieren gesagt haben.

Eine neue Epoche - für den VW-Fall zu hoch gegriffen? Mal sehen.

Wie entscheidet der Käufer?

Die juristischen Kämpfe, die nun kommen, sind schlimm genug, aber sie betreffen zunächst nur VW und sind am Ende schmerzlich, aber wohl zu bewältigen. Entscheidend kommt es auf das Käuferverhalten an. In den USA macht sich ganz offensichtlich eine breite Stimmung gegen VW breit, womöglich gegen deutsche Autos insgesamt. Wer dort einen Diesel gekauft hat, wollte, vor allem in Kalifornien, mit gutem Gewissen über die Straßen brausen. Es fühlt sich nun betrogen, und diese Enttäuschung wiegt schwer. Auch deutsche Dieselkäufer sind über die Umweltverträglichkeit ihrer Volkswagen, Audis, Seats getäuscht worden - aber nehmen sie das den Markenherstellern nachhaltig übel?

Wenn es stimmt, was die Autokritiker sagen, dass die deutsche Gesellschaft ohnehin auf dem Weg weg vom Auto ist, dass sie in Deutschland (sicher nicht in China) den "Peak car" bereits überschritten hat, dass also das Automobil bereits den Höhepunkt seiner Verbreitung erreicht hat, dann könnte sich dieser Prozess nun beschleunigen und verfestigen. Dann ist die "neue Epoche" schon ziemlich nah.

Das Auto wird noch gebraucht

Nur spricht - außer Wunschdenken - noch nicht sehr viel für diese Annahme. Der Alltag auf deutschen Straßen weist auf das Gegenteil hin, es gibt erkennbar sehr, sehr viele Autos, sie drängen in die Städte, sie werden nicht wesentlich weniger. Die Gebrauchtwagenbörsen sind gut beschäftigt. Es ist offensichtlich, dass in einem Flächenstaat wie Deutschland das Auto noch gebraucht wird. Die Rolle als Statussymbol mag sich ändern, aber das Gefährt bleibt attraktiv als Teil des Lebens.

In der Sprache der Experten: Das Auto als Cocooning-Raum hat Zukunft, und sei es in veränderter Form. Neue Fahrzeuge werden kleiner, wendiger, verbrauchsärmer oder gar elektrisch sein. Mit fortschreitender Digitalisierung kommt es dann eines Tages nicht mehr so auf Hubraum und Lack an, dafür aber auf die Vernetzung im und ins Auto.

Der VW-Skandal ist deshalb für die Branche und für die deutsche Wirtschaft insgesamt Risiko und Chance zugleich. Risiko, weil die Probleme genau hier liegen: beim Qualitätsversprechen, das spektakulär gebrochen worden ist. Wenn VW aber bei der Technik Glaubwürdigkeit zurückgewinnt und die anderen Hersteller sie sich erhalten, wenn sie Zeichen setzen in Richtung Elektro- und Digitalautos, dann werden die Deutschen noch auf viele Jahre mehrheitlich ihr Auto lieb haben. Und manche Lebenslüge billigend in Kauf nehmen.

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