Deutsche Bahn: ICx:Unter Beobachtung

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Die Deutsche Bahn verspricht sich viel von den neuen Fernverkehrszügen namens ICx. So soll unter anderem ein modulares Konzept verhindern, dass durch eine Panne gleich die ganze Flotte des künftigen Intercity lahmgelegt wird.

Klaus C. Koch

Umstrittene Bahnhofspläne, technische Pannen, Ausfälle von Klimaanlagen und Radbrüche: Die Bahn lässt sich trotzdem nicht davon abbringen, dass Millionen tägliche Fahrten besser auf der Schiene, als auf der Straße stattfinden sollten.

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Dass im Zusammenhang mit dem kürzlich abgeschlossenen Milliardenauftrag über 300 neue Intercity-Fernverkehrszüge, die dann unter der Bezeichnung ICx laufen werden, zwar wenig Superlative, aber dafür zahlreiche technische Neuerungen ausgerufen wurden, lässt hoffen.

Marode Installationen einer in die Jahre gekommenen Alt-Flotte sollen nun durch Industriestandards ersetzt werden, die wieder Stand der Technik sind. Außerdem sollen mit der neuen Generation wieder altbackene Tugenden wie Zuverlässigkeit und Haltbarkeit statt Höchstgeschwindigkeitswahn und Raserei Einzug halten.

Rein äußerlich wird der Laie künftig Gelegenheit haben, den neuen Intercity wahlweise mit dem ICE 3 oder einem stilistisch aufgemotzten Regionaltriebwagen zu verwechseln. Die Ähnlichkeit im Design ist gewollt, denn sie geht mit Ausstattungsmerkmalen einher, die bisher nur im ICE üblich waren.

Mit, laut Siemens, 20 Tonnen weniger Gewicht und 30 Prozent weniger Energieverbrauch sind rein fahrzeugtechnisch stolze Ziele fixiert. Der Intercity mit dem X soll in zwei Varianten mit bis zu 230 km/h und später auch als Ersatz für die mit der Zeit veraltete ICE-1- und ICE-2-Flotte mit bis zu 250 km/h verkehren.

Die Radwellen, die nach dem Auftauchen von Schwachstellen in Köln sogar zum Entgleisen von ICE-Waggons und vom Eisenbahn-Bundesamt verordneten kürzeren Wartungsintervallen führten, sind beim ICx aus widerstandsfähigerem Stahl. Für die Laufdrehgestelle wurde eine Weiterentwicklung des Konkurrenten Bombardier verwendet, der sozusagen als Unterauftragnehmer für bis zu einem Drittel der gesamten Konstruktion verantwortlich zeichnet.

Eine "aktive Radsatzsteuerung" sorgt fast unmerklich für eine Korrektur des Winkels, den der Radsatz in der Kurve einnimmt. Das mindert Quietscherei und Verschleiß. Sensoren am Drehgestell überwachen Dämpfer, Getriebelager und Radsatzwellen. Trotz zusätzlichem mechatronischen Aufwands, sagen die Ingenieure, konnten dadurch die Achsen verstärkt, das Drehgestell insgesamt jedoch schlanker ausgeführt werden.

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Der eigentliche Hit ist für Siemens-Projektleiter Martin Offer "der modulare Aufbau" des ICx. Gemeint ist damit, dass statt der Reparatur defekter Einzelteile lieber komplette Baugruppen rausgeworfen und ersetzt werden.

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Für den ICx bedeutet es im täglichen Betrieb, dass der Zug sowohl in Sachen Innenausstattung wie auch bei der Zusammenstellung der Wagen an den jeweiligen Bedarf angepasst werden kann. Steuerschränke, Motoren und Stromübertragung sind nicht - wie beim ICE 3 - über mehrere Wagen verteilt, sondern in sogenannten Powercars untergebracht, die einzeln ausgetauscht werden können.

Je nach Bedarf kann ein Zug bei Längen bis zu 400 Meter mit zwei bis sechs Powercars ausstaffiert werden. Auch eine Doppeltraktion mit zwei siebenteiligen 200-Meter-Zügen ist möglich. Auf dem Plan sieht die Verteilung zwischen Antriebseinheiten und Normalwagen aus, als wolle der Zugdisponent Sudoku lösen.

Und die Frage taucht auf, ob die unterschiedlichen Gewichte innerhalb der Zugkomposition nicht zu Kräften führen könnten, die den Zug entgleisen lassen. Doch die Konstrukteure haben mit den neuen Fahrgestellen auch dieses Problem in den Griff gekriegt. "Wir verwenden zwei Fahrwerkstypen", sagt Offer, "die mit der unterschiedlichen Gewichtsverteilung zurechtkommen."

Wer im ICx sitzt, hat auch immer die neueste Generation von Bus-Verbindungen an Bord, das sind Leitungsbündel, die für den raschen Datenaustausch in Steuerungsanlagen gebraucht werden. Die sind nötig, um die einzelnen Motoreinheiten so zu regeln, dass sie gleichzeitig anfahren und die Antriebskräfte sich gleichmäßig verteilen.

Eine riesige Verbesserung, sagen die Erbauer, sei mit der Aerodynamik des ICx gelungen. Kurvten ältere Intercity-Versionen noch mit erheblichen Dachaufbauten, vergleichsweise groben Stellagen und Luftwiderständen wie Möbelwagen durch die Gegend, wird die neue ICx-Generation stromlinienförmig verkleidet. Was noch auf dem Dach ist, wird verpackt, das Drehgestell windschlüpfriger gemacht. Neben der Bodenwanne kommt noch eine Schlagschutzbeschichtung hinzu, um die Radsätze besser vor Schotterflug zu bewahren.

Besonders freuen werden sich die Fargäste darüber, dass es wieder ein voll ausgestattetes Bordrestaurant und ein Bistro mit Stehtischen geben wird. Und weil auch Passagiere zweiter Klasse zunehmend gern im Internet surfen, gibt es pro Doppelsitz je eine Steckdose, über deren Nutzung Sitznachbarn wohl nicht gleich Grundsatzdebatten entfachen werden.

Manch Flugreisender wäre zudem froh, wenn sich - wie im neuen ICx - die Rückenlehne des Vordermanns beim Verstellen nicht mehr bis auf die Kniescheiben des dahinter Sitzenden, sondern nur innerhalb der Konturen der Sitzschale absenken würde.

Wer gern in die Luft schaut, kann sich an bis zu sechs Bildschirmen, die unter der Decke angebracht sind, über Fahrplanwechsel, Verspätungen und anderes Ungemach informieren. Das Fahrgastinformationssystem kann Texte und Ankündigungen in unterschiedlichen Sprachen auswerfen, und reduziert damit die Abhängigkeit von Idiom und Kauderwelsch des Zugpersonals.

Wenn sie denn noch Platz finden, haben auch Rollstuhlfahrer eine Chance: Statt mit Hubgeräten auf der Bahnhofsplattform können sie künftig an einem der Einstiege mit einem Rollstuhl-Lift rechnen, der im Waggon eingebaut ist.

Weil heutzutage schon jedes beliebige Handy eine Unmenge von Daten austauscht, ohne dass der Benutzer es merkt, und bereits komplette Kraftwerke und Maschinen in aller Welt online beaufsichtigt werden, hat Siemens die Züge auch in dieser Hinsicht aufgerüstet.

Per Mobilfunknetz der Bahn senden die Züge Betriebsdaten, Kontrollwerte von Sensoren im Fahrwerk, aus Getriebe, Motorwellen und Türsteuerungen periodisch an die Wartungszentrale, die schon im Vorfeld anstehender Wartungsarbeiten Ersatzteile bestellen oder die Notwendigkeit weiterer Tests abschätzen kann.

Das wird auch in der sogenannten Monitoring-Phase wichtig sein, in der die Bahn wie auch Siemens zunächst über einen 14-monatigen Probelauf, und anschließend nochmals über eine siebenjährige Bewährungsphase hinweg die Züge im Auge behalten will. Von den 130 Zügen, die die Deutsche Bahn von 2016 an in den Verkehr schicken will, sollen allein 50 einer intensiven Beobachtung unterliegen.

© SZ vom 18.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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