Süddeutsche Zeitung

Design der Mercedes S-Klasse:Fluch der Königsklasse

Status, Eleganz, Sportlichkeit: Noch nie musste das Design einer Mercedes S-Klasse so viele unterschiedliche Geschmäcker bedienen. Die Luxuslimousine wagt dazu den Spagat zwischen Erbe und Mode. Eine Designkritik.

Von Hans-Ulrich von Mende

Oscar Wilde hielt es in Sachen Geschmack sehr einfach: nur das Beste. Die Daimlers sehen es ähnlich: das Beste oder gar nichts. Solche Superlative sind selbst in der Luxusklasse leichter gesagt als getan. Das gilt auch für die neue Mercedes S-Klasse: Sie muss die Bürde des verstorbenen Maybach tragen - also Fahrer zufriedenstellen, denen Status vor Fahrspaß geht. Im Schönheitswettbewerb mit dem Audi A8, BMW Siebener, VW Phaeton und eventuell Bentley oder Maserati ist dagegen sportliche Eleganz gefragt.

Schon ein erster Vergleich der Langversionen macht klar, dass sich die drei großen Deutschen in ihren Außenmaßen kaum unterscheiden. Formale Eigenständigkeit sucht Audi mit dem weit aufgerissenen Maul und mit horizontalen, chromgestärkten Grillstegen. BMW darf mit der zum Vorgänger prägnanter gezeichneten Niere, den ruhigsten Scheinwerferensembles und relativ bescheidenen unteren Luftöffnungen die Zurückhaltung der Oberklasse für sich reklamieren. Hier gab sich Mercedes zu sehr modischen Linien hin, die sich in der E-Klasse zu Monsternüstern blähen.

Bei der S-Klasse wird die Kühlerattrappe jetzt kräftiger chromgefasst, dafür berühren die Chromstege nicht den Rahmen, was dem Kühler Leichtigkeit gibt. Der schwebt daher auch über der Prallfläche, löst sich unten von der Schürze und überbrückt die Öffnung mit seitlich hochgezwirbelten Stegen. Schade nur, dass dieses Motiv der Frontgestaltung oft bei vielen niedrigklassigeren Modellen zu finden ist. Und zu dumm: Die S-förmige Linie der Flächenbrechung in der Bugschürze passt haargenau in die S-förmige Linie eines BMW Dreier GT - und als Motiv sonst zu vielen Modellen. Das ist der Fluch modischer Formgebung und wenig sinnvoll für ein Luxusautomobil.

Der Versuch von Leichtigkeit

In der Seitenansicht will die S-Klasse sich leichtfüßig geben. Nicht, weil die dicken Backen über den Radhäusern der Vorgänger fehlen, sondern weil die zum Glück gerade noch akzeptable Charakterlinie unterhalb der Gürtellinie nicht dem Wahn wilder Schwünge von A- und B-Klasse folgt. Auch Audi und BMW ziehen klare, horizontale Linien im Blech vor, allerdings sind sie mit dem Chromeinsatz zurückhaltender.

Oberklasse kann, wie man sieht, auch mit weniger Silber glänzen. Wo der A8 ein drittes Seitenfenster hat, was heute nicht nur edlen Großen zusteht, da verzichten der Siebener und die S-Klasse darauf. Das schafft beim Benz eine Fensterumrisslinie in Ähnlichkeit zu den kleineren Modellen. Das Greenhouse, also der Aufbau, bekommt so einen Hauch Coupé geschenkt. Der Siebener bleibt dem typischen Dynamik-(Hofmeister-)Knick in der C-Säule treu. Das klassische BMW-Motiv wird von anderen allerdings viel zu gerne kopiert.

Beim Heck erspart uns Mercedes nicht den Hinweis, die Rückleuchten seien jetzt rahmenlos in die Karosserie eingefügt. Was als neu verkauft wird, ist altbekannt. Zu viele Mercedes-Modelle und die Konkurrenz haben das schon oft so gehalten. Allerdings: Hier ist die Glasfläche der Rücklichter wirklich sauber ausgeführt und räumlich interessanter gestaltet als sonst bekannt. Wo aber der A8 und der Siebener auch im Heck den seriösen Ausdruck der Horizontalen zeigen, da glaubt die S-Klasse, die Mode des Gepfeilten, des V-förmigen sei Ausdruck der Luxusklasse.

Dazu kommt - zwar mercedestypisch, aber üppig dimensioniert - die kräftige Mulde für das Nummernschild. Dezent? Luxuriös? Edel? Der Chromsteg darüber sollte nicht bis zur Fuge der Kofferraumhaube geführt werden, sondern vorher fein gebogen auslaufend enden. Das würde zu den größeren gekurvten Linien der Heckansicht besser passen. Schließlich konkurrieren ganz unten an der Prallfläche die fein gezeichneten Reflektoren (ein Škoda Oktavia kann das auch) mit den trapezförmigen Endrohren dicht darunter.

Weltmeisterlich im Windkanal

Warum nicht klassisch rund wie beim A8 oder wenigstens vornehm zurückhaltend rechteckig wie beim Siebener? Immerhin triumphiert die S-Klasse im Windkanal, der cw-Wert von 0,23 ist weltmeisterlich. Wer das Mercedes-Flaggschiff im Dunklen besteigt, wird von einer Lichtpalastatmosphäre empfangen. Kein Bedienungssymbol, kein Profilwechsel in der Seitenverkleidung, der nicht hinterleuchtet wird. Die Daimlers stellen heraus, dass sie nur noch LEDs verwenden. Diese Mikro-Lichttechnik verführt zu üppiger Anwendung, weil sie selbst in kleinste Fugen passt. Und zu Weihnachten sehen wir dann eine ähnliche Lichterfülle an den Vorstadthäusern.

Das Armaturenbrett zeigt eine Formensprache, die wir das erste Mal in den Nachkriegsmodellen der Amis entdeckten. Der obere Abschluss als durchgehende Blende, die in die Seitenverkleidung fließt. Damals nannte man das "Wrap around". Heute wickeln auch der A8, der Jaguar XJ, der Opel Insignia, ein Buick, ein Citroën, und viele andere den Fahrer und Beifahrer ein. Bei der S-Klasse geschieht das mit einem üppigen, farbig abgesetzten Band. Frischluft kommt aus vier runden, altbekannten Mitteldüsen. Dazwischen der übliche Luxusgag: eine Analoguhr im Chronometerdesign. Was hätte bei diesem Angebot wohl Oscar Wilde gemacht? Vermutlich eine Mischung aus S, Siebener und A8 gewählt.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2013/rebr/goro
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