Süddeutsche Zeitung

Der erste Jet der Lufthansa:Start in eine neue Dimension

Als das Reisen schnell wurde: Vor 50 Jahren stellte die Lufthansa mit einer Boeing 707 ihren ersten Jet in Dienst.

Andreas Spaeth

Es war der 2. März 1960, Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel, exakt 11.51 Uhr. "Das riesige Flugzeug schoss aus dem Himmel herab und setzte auf. Man hörte zunächst kaum etwas. Erst als die Maschine auf das Hallenvorfeld rollte, begriff man, was die kopfhörerartigen grauen Dinger, die das Bodenpersonal trug, sollten: Es waren schlicht Ohrenschützer. Und das war nötig. Die Gäste mussten sich mit eigenen Händen behelfen", so kommentierte einer der Reporter den Moment, in dem die Lufthansa (LH) ein neues Kapital ihrer Firmengeschichte aufschlug. Denn vor jetzt 50 Jahren begann für die Airline mit der Landung ihrer ersten Boeing 707 - Kennung D-ABOB - das Jetzeitalter.

Neun Stunden und 47 Minuten hatten der damalige Chefpilot Rudolf Mayr und Flugkapitän Werner Utter, später Vorstandsmitglied der Lufthansa, gebraucht, um mit der nagelneuen 707 rund 8100 Kilometer vom Boeing-Werk in Seattle an die Elbe zu fliegen. Gemessen an der Geschwindigkeit der bis dahin auf Langstrecken eingesetzten Lockheed Super Constellation ein unerhörtes Tempo. Denn die Boeing schaffte auf ihrem Ablieferungsflug durchschnittlich 830 km/h, während die viermotorige Propellermaschine Super Connie mit etwa 480 km/h nur gut halb so schnell unterwegs war.

"Die Boeing fraß die Entfernung", so erinnert sich Werner Utter in seinen Memoiren, "wir wussten, dass wir mit diesem Jungfernflug Akteure eines neuen Abschnitts in der Geschichte der Lufthansa und der zivilen Luftfahrt in Deutschland waren."

Überhaupt hatte sich das Reisetempo in der Fliegerei rasant entwickelt. Benötigte man im Sommer 1939 bei besten Bedingungen knapp 17 Tage für einen Flug um die Welt, so beanspruchte der Trip mit einem Kolbenmotor-Flugzeug 1947 noch fünf Tage und 17 Stunden. Mit einem Jet vom Schlage der Boeing 707 schrumpfte die Reise auf nur noch zwei Tage, 21 Stunden und 30 Minuten zusammen - ein 13-stündiger Nachtstopp in Tokio inklusive.

Vor allem aber leistet der neue Jet rechnerisch das Vierfache einer Super Connie, denn: Die 707, bei Lufthansa meist mit 148 Sitzen im Einsatz, beförderte doppelt so viele Passagiere wie die Constellation in der Hälfte der Zeit. Am 1. April 1960 nahm die Lufthansa mit der 707 die erste Linie auf - Flug LH 420 von Frankfurt nach New York.

Vier Exemplare hatte die erst 1955 wieder auferstandene Kranich-Linie im Jahre 1956 bei Boeing bestellt - Stückpreis 23 Millionen D-Mark. Und für die Piloten war dieser Start in eine neue Zeit eine riesige Umstellung. Nicht nur, weil jetzt nicht mehr bis zu fünf Mann - zwei Flugkapitäne, Flugingenieur sowie über dem Atlantik Funker und Navigator - im Cockpit saßen wie in der Super Connie, sondern nur noch drei.

"Ich konnte anfangs nicht das Gefühl loswerden, dass die Maschine einfach mit mir fliegt und nicht ich sie fliege", gestand Werner Utter, "es war eine neue, überwältigende Vorstellung, dass hier das Flugzeug seinen Schöpfer, den Menschen, übertrumpfte", so der damalige Chefpilot. Doch die Cockpit-Besatzungen gewöhnten sich schnell an die Boeing; fünf Jahre nach den ersten Einsätzen sah das schon ganz anders aus.

"Ich habe der 707 immer die Sporen gegeben und dann hat das funktioniert", kokettiert der heute 73-jährige Dieter "Didi" Krauss noch immer gerne. Der Hamburger war 1965, damals 29 Jahre alt, nach viereinhalb Jahren Super Connie als Co-Pilot in das Cockpit einer 707 gewechselt. Aber er erinnert sich auch heute noch an den Respekt, den er vor dem Übergang vom Kolbenmotor zum Jet hatte und staunt noch immer: "Das war gigantisch, diese ganz andere Power plötzlich. Besonders die kürzere Boeing 720 ... dagegen war ein Starfighter abgemeldet, die ging ab wie ein Bulle, das war schon gewöhnungsbedürftig", so Krauss.

Heilfroh aber waren Piloten und Passagiere über die bis dahin nicht gekannte Zuverlässigkeit der Triebwerke. Denn während die viermotorige Super Connie wegen ihrer ständigen Motorausfälle als "die beste Dreimotorige der Welt" galt, gehörten solche Pannen nun der Vergangenheit an. "Die Düsen waren weitaus weniger störanfällig, aber eben auch wesentlich weniger kompliziert als die Kolbenmotoren mit ihren 18 Doppelzylindern", erklärt Didi Krauss, "ich habe die 707 wahnsinnig gerne geflogen; sie war sehr sicher und leicht zu handhaben."

Die Passagiere dagegen wurden an Bord der Boeing 707 aufs Feinste verwöhnt. In der Ersten Klasse gab es sogar eine Bar mit Tresen und Bier vom Fass, Ledersitze und Tische, an denen der Kabinenchef im blauen Smoking bediente. Allerdings veränderte das Jet-Zeitalter auch die Arbeitsbedingungen im Cockpit. Denn durch ihre doppelte Steigleistung waren die Düsenriesen anfangs nur schwierig in den noch vorherrschenden Propellerverkehr einzufädeln, die Piloten mussten sich deshalb bei den Fluglotsen mit eigenem Rufzeichen wie beispielsweise "Lufthansa Jet 420" melden.

Und auch Heino Caesar, Lufthansa-707-Pilot der ersten Stunde, schildert in seinem Buch "Straße zum Himmel" Vor- und Nachteile: "Das körperlich anstrengende Gestolper durch das bodennahe Wetter über elend lange Zeiträume hatte weitgehend aufgehört. Die Belastung der Piloten dagegen hatte durch umfassendere Überwachung zugenommen und die Arbeit war gedrängter und hektischer geworden."

Für die Stewardessen hatte der deutsche Modeschöpfer Heinz Oestergaard eigens neue Uniformen entworfen; der servierte Dämmerschoppen beim Flug über den Atlantik bot - in dieser Zeit typisch deutsche Gemütlichkeit - Schwarzbrot, Schinken und ein Gläschen Steinhäger.

In der Touristenklasse war der Sitzabstand für heutige Verhältnisse ebenfalls reichlich bemessen, der Flugpreis allerdings auch. Zu Beginn des 707-Zeitalters bei Lufthansa kostete eine Transatlantikpassage von Frankfurt nach New York und zurück nach den strengen IATA-Regeln genau 1907 D-Mark - halb so viel wie damals ein VW Käfer.

Am 31. Dezember 1984 ging die Ära dieses Flugzeugmusters bei Lufthansa zu Ende; insgesamt 24 Flugzeuge des Typs Boeing 707 und acht Maschinen der kürzeren Boeing 720 waren bis dahin mit dem Kranich am Leitwerk unterwegs. Die allererste Lufthansa-Boeing 707 mit der Kennung D-ABOB und dem Taufnamen "Hamburg" war bereits 1976 wegen Korrosion verkauft worden und verschwand in zwielichtigen Diensten in Afrika; gemunkelt wurde von Waffenschieberei.

Eine der letzten Erinnerungen an diesen spannenden Abschnitt der Fliegerei steht heute auf dem Hamburger Flughafen: Die Boeing 707 mit der Kennung D-ABOD wurde 1999 für einen symbolischen Euro gekauft und ist Museumsflugzeug.

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SZ vom 08.03.2010/gf
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