Süddeutsche Zeitung

Datenerfassung im Fahrzeug:Das Auto wird zum Zeugen der Anklage

Eine Blackbox ist in Carsharing-Autos üblich. Vor Kurzem übergab ein Anbieter Daten an ein Gericht, der Fahrer wurde verurteilt. Ein Einzelfall - doch steckt schon bald in jedem Auto ein Spion?

Analyse von Joachim Becker

"Das Auto kann zum Zeugen gegen seinen Fahrer werden", hatte Heiko Maas vor einem Jahr gesagt. Ein tödlicher Unfall mit einem Carsharing-Auto hat dem Bundesjustizminister jetzt recht gegeben. Wegstrecke, Tempo und weitere Fahrzeugdaten ließen sich genau rekonstruieren. Aufgrund der Daten aus dem Fahrzeug verurteilte das Kölner Landgericht einen Mann zu 33 Monaten Haft.

Laut den Pressesprechern von Daimler (car2go) und BMW (Drive-Now) handelt es sich zwar um einen tragischen Einzelfall. Viele Carsharing-Autos und Mietwagen haben aber schon heute eine sogenannte Blackbox an Bord. Bei höher automatisierten Autos wird dieser Datenschreiber obligatorisch. Der kleine Computer speichert eine Vielzahl von technischen Informationen inklusive Zeit, Ort und Fahrstil - Daten, die sich womöglich auf Personen beziehen lassen.

In den USA sind Blackboxes im Auto bereits vorgeschrieben

Während solche "Data Event Recorder" in Europa noch die Ausnahme sind, werden sie in den USA bereits gesetzlich vorgeschrieben. Weil klassische Beweismittel wie Bremsspuren aufgrund der Antiblockiersysteme seltener werden, sollen die Blackboxes bei der Aufklärung von Unfällen helfen: Ein Mikrochip im Airbag-Steuergerät genügt, um wesentliche Daten vor und während des Unfalls aufzuzeichnen. Dazu gehören Tempo, Bremseingriffe, Drehrate und Sitzbelegung, um die Airbags richtig auszulösen.

Bei BMW heißt dieser Chip "Crash-Sicherheitsmodul". Auch Opel, Ford und andere Hersteller verbauen solche Unfalldatenspeicher bei den meisten Modellen in Deutschland. Sie legen allerdings Wert darauf, dass derartige Daten nur nach einer gerichtlichen Verfügung bereitgestellt werden. Etwa drei Prozent der Unfälle haben einen unklaren Hergang. "Bislang gibt es eine polizeiliche Nutzung der Fahrzeugdaten nur in Einzelfällen", sagt Jurist Thilo Weichert, ehemals Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer. "Aber das wird zunehmen."

Das Auto speichert Daten in verschlüsselter Form

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt bereitet einen Gesetzesentwurf für das vollautomatisierte Fahren vor. Wenn der Fahrroboter die Verantwortung übernimmt, muss eine Blackbox den Fahrverlauf akribisch dokumentieren. Die DriveNow-Fahrzeuge werden schon jetzt mit einem sogenannten Carsharing Modul (CSM) ausgerüstet, das "bestimmte Daten zum Fahrzeugzustand und -betrieb" in verschlüsselter Form speichert. Der Carsharing-Betreiber (zum Beispiel DriveNow) erhalte aber nicht alle diese Daten, sondern lediglich Orts- und Zeitangabe von Mietbeginn und Mietende, um die Rechnung stellen zu können, betont ein BMW-Sprecher. BMW habe seinerseits keinen Zugriff auf die Kundendaten.

"Die BMW Group erhebt und speichert keine Bewegungsprofile ihrer Kunden", beteuert der BMW-Sprecher. Doch der Aufwand ist gering, um das Auto zum Zeugen der Anklage zu machen: Auf behördliche Aufforderung hat BMW die Fahrzeugdaten aus dem CSM abgerufen und für das Gericht entschlüsselt. "Dieser Datensatz wurde aufgrund einer staatsanwaltlichen und gerichtlichen Anforderung an das Landgericht Köln herausgegeben", so der BMW-Sprecher, "dort wurden die beiden Datensätze des Fahrzeugs und des DriveNow-Kunden zusammengeführt und daraus ein personenbezogenes Bewegungsprofil rekonstruiert."

Ein Präzedenzfall, der weitere Begehrlichkeiten schaffen könnte. Wenn zum Beispiel ein Müdigkeitsassistent an Bord ist, könnte er bei einem Unfall Rückschlüsse auf den Fahrer erlauben. Auf dem 52. Verkehrsgerichtstag in Goslar beschäftigten sich Juristen bereits 2014 ausführlich mit dem Thema Datenspeicherung im Auto: Wenn der Bürger wisse, dass Fahrdaten aus seinem Auto ausgelesen werden können, werde er vorsichtiger fahren, erklärte damals ein Vertreter der Polizeigewerkschaft GdP.

Steckt in jedem modernen Auto ein perfekter Spion? Bisher gilt das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" auch auf vier Rädern: Daten aus vernetzten Fahrzeugen dürfen nur auf gerichtliche Anweisung oder mit ausdrücklicher Einwilligung des Nutzers übermittelt werden. Eigentlich. Doch die Hersteller nehmen sich das Recht, technikbezogene Daten im Auto zu speichern und an einen Zentralrechner zu übertragen.

Hersteller sammeln Daten im Minuten-Rhythmus

Wie groß die Datenlecks im Auto mittlerweile sind, haben Untersuchungen des Weltautomobilverbands FIA und des ADAC gezeigt. Bei einer Mercedes B-Klasse, die mit dem System me-connect ausgestattet war, fanden die Experten beispielsweise heraus, dass das System alle zwei Minuten die GPS-Position des Fahrzeugs sowie Kilometerstand, Verbrauch oder Reifendruck an den Hersteller übermittelt. Auch die Zahl der Gurtstraffungen, etwa aufgrund starken Bremsens, wird gespeichert. Die von einem BMW 320d erfassten Daten erlauben ebenfalls Rückschlüsse auf den Fahrstil. Beim BMW i3 wurden zudem rund hundert Abstellpositionen des Fahrzeuges festgehalten und online übertragen.

"Der Verbraucher hat nicht nur einen Anspruch auf Datentransparenz. Er muss auch frei wählen können, ob und welche Daten er dem Hersteller zur Verfügung stellt", betont Thomas Burkhardt, ADAC-Vizepräsident für Technik. Doch der freie Lesezugang zu allen Daten im Fahrzeug schafft womöglich noch größere Probleme hinsichtlich der Datensicherheit. Bisher hüten die Hersteller ihren Datenschatz mit Argusaugen. Um Licht ins Datendickicht zu bringen, musste das ADAC-Technikzentrum in Landsberg das Datenkauderwelsch in jedem einzelnen Modell neu entschlüsseln. Das Projekt war so aufwendig wie die Crashtests, die der Automobilclub seit 35 Jahren auf eigene Rechnung durchführt.

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SZ vom 30.07.2016/harl
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