Das Auto und das Öl (3):Bei 65 Cent pro Liter denken die Amerikaner um

Die Käufer entscheiden sich für sparsamere Autos, und Pendler fahren verstärkt Bus oder U-Bahn. Zudem wollen Clinton und McCain die Steuern senken.

Von Nikolaus Piper

Manchmal hilft nur noch beten, sagte sich Rocky Twyman. Der 59 Jahre alte Rentner leitet einen Kirchenchor bei den Adventisten in Washington. Ende April gründete er die Gruppe "Prayer at the Pump" ("Tankstellengebet") und bittet seither mit bis zu 200 Getreuen an den Zapfsäulen Gott um Beistand, dass die hohen Benzinpreise fallen mögen "wie die Mauern zu Jericho".

Das Auto und das Öl (3): Der zweisitzige Smart, den Daimler seit Mitte der neunziger Jahre baut, findet bei den Amerikanern zunehmend Absatz.

Der zweisitzige Smart, den Daimler seit Mitte der neunziger Jahre baut, findet bei den Amerikanern zunehmend Absatz.

(Foto: Foto: dpa)

Der Benzin als Symbolpreis

Rocky Twyman mag ein wenig skurril sein, aber sein Beispiel zeigt, welche Dimension der Anstieg der Energiepreise mittlerweile für viele Amerikaner hat. Am Montag kostete eine Gallone Superbenzin im Durchschnitt der Vereinigten Staaten 3,83 Dollar - fast einen Dollar mehr als vor einem halben Jahr. Mit umgerechnet 65 Cent pro Liter ist Treibstoff damit zwar nach europäischen Maßstäben immer noch sehr billig, die Umrechnung führt jedoch ein wenig in die Irre: Wegen des schwachen Dollar ist, in Euro ausgedrückt, auch die Kaufkraft der Amerikaner gesunken.

Der Anstieg der Energiekosten war in den USA noch steiler als in Europa und das ist längst zum Politikum geworden. Mitte April streikten in einigen Bundesstaaten die Lastwagenfahrer einen Tag lang, weil ihre Einnahmen kaum noch die Dieselkosten decken. Im Präsidentschaftswahlkampf versuchen die Kandidaten das Volk zu beruhigen. John McCain von den Republikanern und die Demokratin Hillary Clinton werben gemeinsam für sogenannte "Benzinsteuer-Ferien": Während der Reisezeit im Sommer soll der Staat auf die ohnehin geringe Mineralölsteuer von 18 Cent pro Gallone verzichten.

Clintons Konkurrent Barack Obama hat sich nach anfänglichem Zögern gegen das Steuergeschenk entschieden. Fast alle Ökonomen des Landes sind entsetzt über Clintons und McCains Vorschläge. Das Steuergeschenk würde nur die Nachfrage und damit die Knappheit auf dem Markt erhöhen. Außerdem braucht der Staat das Geld dringend, um Autobahnen und Brücken instand zu setzen.

Bei 65 Cent pro Liter denken die Amerikaner um

Ähnlich wie in Deutschland ist der Benzinpreis in Amerika ein Symbolpreis. Das Auto hat es nach dem Zweiten Weltkrieg Durchschnittsamerikanern ermöglicht, die riesigen Weiten ihres Landes für sich zu nutzen: Sie zogen ins Grüne, sie konnten reisen, wohin sie wollten, Mobilität wurde zum integralen Teil der amerikanischen Kultur, wie unzählige "Road Movies" zeigen. Damit wurden die Amerikaner aber auch immer abhängiger vom Auto. In manchen Vierteln sind Fußgänger gar nicht vorgesehen: Es gibt jede Menge Drive-Ins, aber keine Gehwege.

Daher verzichtet mancher lieber auf das Eigenheim als auf sein Auto. Eine Volksweisheit besagt: "In meinem Auto kann ich notfalls schlafen, aber mit meinem Haus kann ich nicht herumfahren."

Entsprechend folgenschwer ist die Teuerung. Und, anders als viele Politiker glauben, sind die Amerikaner jetzt zum Energiesparen bereit. Die Energie-Informationsagentur (EIA) der Regierung in Washington rechnet für das laufende Jahr mit einem Rückgang der Nachfrage nach Ölprodukten um 90.000 Fass pro Tag. Erstmals seit 1991 wird dabei auch der Absatz der Tankstellen sinken.

Viele Amerikaner beginnen, ihre Verbrauchsgewohnheiten zu ändern: Sie steigen auf kleinere Autos um, fahren mehr mit Bussen und Bahnen und versuchen, näher an ihren Arbeitsplatz zu ziehen. "Ich denke, die Zeit ist vorbei, in denen die Leute nach vorübergehenden Lösungen für den hohen Benzinpreis suchen. Sie ändern ihr Verhalten," stellte Rod Diridon fest, Direktor des Verkehrsinstituts an der Universität von San Jose in Kalifornien.

Bei 65 Cent pro Liter denken die Amerikaner um

Die New Yorker U-Bahn und die Vorortzüge der Metropole registrierten im ersten Quartal sechs Prozent mehr Fahrgäste. Ähnlich ist es in Washington. Noch stärker war der Umschwung in einigen Metropolregionen des Südens und des Westens, die bisher von der Autokultur geprägt waren: In Minneapolis legte der öffentliche Nahverkehr um 16 Prozent zu, in Miami um 13 Prozent und in Charlotte (North Carolina) um 37 Prozent.

Lieferfrist für den Smart: ein Jahr

Mehr und mehr Amerikaner verkaufen ihre ineffizienten Geländewagen (SUVs) und steigen auf kleinere Modelle um. Erstmals waren in diesem April mehr als ein Fünftel aller neu verkauften Autos Klein- oder Kompaktwagen. Erstmals auch wurden mehr Vier- als Sechszylinder verkauft. Die Stars bei den Autohändlern waren Kleinwagen wie der Honda Fit (plus 54 Prozent), der Toyota Yaris (plus 46 Prozent) und der Ford-Kompaktwagen Focus (plus 32 Prozent). Größter Verlierer mit einem Minus von 30 Prozent war der Chevrolet Silverado, ein riesiges SUV von General Motors.

Zu den Gewinnern gehört der deutsche Daimler-Konzern: Erst im Januar hat Daimler den Smart in den USA eingeführt, einen Kleinstwagen, der im amerikanischen Straßenbild immer noch merkwürdig wirkt. Doch seither wurden bereits 2683 Exemplare verkauft; genug, um Amerika zum drittgrößten Absatzgebiet für den Smart zu machen. Die Nachfrage ist so groß, dass jeder Interessent ein Jahr auf sein Kleinauto warten muss.

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