Süddeutsche Zeitung

Autonomes Fahren:Kalifornien statt Bayern

Warum Daimler bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen künftig nicht mehr mit BMW zusammenarbeitet, sondern mit dem US-Computerspezialisten Nvidia.

Von Christina Kunkel und Stefan Mayr

Mit dem bayerischen Immer-noch-Konkurrenten BMW hat es nicht geklappt, nun soll es mit dem kalifornischen Technologie-Unternehmen Nvidia funktionieren. Der Autohersteller Mercedes-Benz will seine Entwicklung von autonomen Fahrzeugen künftig zusammen mit dem Computer-Spezialisten aus Santa Clara vorantreiben. Vier Tage, nachdem das Ende der Partnerschaft Daimler/BMW verkündet wurde, gab Daimler-Boss Ola Källenius am Dienstagabend die Kooperation mit den US-Amerikanern bekannt.

Källenius setzt dabei auf die Kompetenz der Kalifornier beim Thema künstliche Intelligenz (KI): "Nvidias KI-Rechnerarchitektur soll helfen, unseren Weg zum autonomen Fahren weiter zu beschleunigen", sagt der Schwede. Die neue Technologie solle von 2024 an über alle Mercedes-Baureihen eingeführt werden. Alle Fahrzeuge sollen dann mit automatisierten Fahrfunktionen ausgestattet sein, die man regelmäßig und über die Lebensdauer hinweg "over the air", also ohne Werkstattbesuch, aktualisieren kann.

Nvidia wurde 1993 gegründet und stellte zunächst Grafikprozessoren für Videospiel-Konsolen her. Inzwischen produziert das Unternehmen auch eine KI-Plattform für selbstfahrende Kraftfahrzeuge (Nvidia Drive) und beliefert damit mehrere Autohersteller. Mit dem neuen Bündnis betritt Daimler nach einem Jahr des Herumprobierens mit BMW wieder eigene Pfade, um beim Wettlauf ums Roboterauto gegen die US-Konkurrenten Tesla und Waymo (Google) mitzuhalten.

Langfristig sollte sie sein, diese Partnerschaft zwischen München und Stuttgart. Das hatten die damaligen Chefs Dieter Zetsche (Daimler) und Harald Krüger (BMW) besonders betont, als sie im Februar 2019 ihr Bündnis verkündeten. Gemeinsam wollten sie an Software arbeiten, die Autos in bestimmten Situationen selbst fahren lässt. Doch jetzt wirkt es rückblickend so, als wenn das Konzept eigentlich von Anfang an nicht hatte funktionieren können. Denn so richtig zusammen entwickeln wollten die beiden Hersteller erst bei der nächsten Softwaregeneration. Also bei Autos, die in ein paar Jahren auf die Straße kommen. Nebenbei aber arbeiteten beide weiter an aktuellen Modellen, die schon bald verkauft werden - so soll zum Beispiel das Mercedes-Oberklasse-Flaggschiff S-Klasse schon dieses Jahr mit einem System auf den Markt kommen, das teilautonomes Fahren auf Autobahnabschnitten beherrscht, BMW zieht nächstes Jahr mit dem iNext nach.

Bei den beteiligten Ingenieuren herrschte schon länger Frust

All das Wissen aus diesen Projekten musste aber streng vom Konkurrenten abgeschirmt bleiben, während parallel ein Team aus Daimler- und BMW-Ingenieuren versuchte, irgendwie zusammenzubringen, was nicht zusammenpasste. Zwar sei die Stimmung in den firmenübergreifenden Teams gut gewesen, hört man aus München und Stuttgart, doch bei den beteiligten Ingenieuren hatte sich seit einiger Zeit Frust aufgestaut. Nicht wegen der Kollegen, sondern wegen des Managements. Schon länger sei den Beteiligten klar gewesen, dass man am Ende nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Auch weil die Umstände von vorneherein reichlich skurril waren. Weil keiner etwas aufgeben wollte, gab es etwa keinen gemeinsamen Standort. So pendelten die Ingenieure zwischen Sindelfingen und Unterschleißheim, was nicht sehr effizient war. Und natürlich sei man doch immer noch im Wettbewerb mit dem jeweils anderen Hersteller, heißt es von beiden Seiten.

Es war eine Krux: Die Autobauer wollten etwas entwickeln, das in einem BMW und einem Mercedes gleichermaßen funktioniert - und trotzdem sollten sich die Wagen aus Kundensicht weiterhin unterscheiden. Jetzt heißt es, man habe die Komplexität des Projekts unterschätzt. Dabei hatte man sich ja ursprünglich mal zusammengetan, weil man glaubte, bei einem technisch so komplexen Thema wie dem autonomen Fahren mit den eigenen Bordmitteln nicht Schritt halten zu können mit Google oder Tesla.

Nun kocht also wieder jeder sein eigenes Süppchen. Die Münchner hatten sich mit Intel und seiner Tochterfirma Mobileye schon längst Partner außerhalb der Autoindustrie gesichert, mit denen man am selbstfahrenden Auto bastelt. Daimler zieht jetzt mit Nvidia nach. Aus München heißt es plötzlich, man sei überrascht, wie gut man vorangekommen sei in den Projekten, die unabhängig von dem Südschienen-Bündnis liefen - eben mit den eigenen Tech-Partnern. Da schwingt im Unterton mit: Ohne euch können wir es besser.

Überhaupt ist die Stimmung bei den deutschen Herstellern schon lange nicht mehr so euphorisch, wenn es ums autonome Fahren geht. Ob sich das viele Geld jemals auszahlen wird, das man gerade investiert, damit Luxusautos irgendwann ein paar Kilometer autonom über die Autobahn fahren können, bleibt offen.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2020
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