Crashtests mit Geländewagen:Subjektives Sicherheitsgefühl

Experten befürworten Karosserien nach Pkw-Muster, die mehr Schutz für Passagiere bieten

(SZ vom 02.08.2000) Die Zahl der Autofahrer, die sich für einen Geländewagen als Pkw-Ersatz entscheiden, wächst stetig. 1999 wurden rund 100 000 Fahrzeuge dieser Art in Deutschland neu zugelassen, mehr als je zuvor: Waren 1979 nur vier von 1000 Fahrzeugen auf Einsätze abseits befestigter Fahrbahnen vorbereitet, sind 20 Jahre später schon 26 von 1000 Käufern für Abenteuer dieser Art gerüstet.

Die Unfallforscher beobachten diese Entwicklung mit Sorge, denn das Gros der Offroader ist auf Kollisionen schlecht vorbereitet. Da sie für den Einsatz im Gelände konstruiert wurden, sind sie nicht darauf ausgelegt bei Frontalzusammenstößen Kollisionsenergie abzubauen. Deshalb ist die Verletzungsgefahr für die Passagiere im gegnerischen Pkw wesentlich größer als bei einem Crash zwischen zwei Pkw.

Indessen stellen die von Geländewagenfahrern geschätzte hohe Sitzposition und die robuste Konstruktion nicht immer jenes Maß an Geborgenheit sicher, die das Erscheinungsbild signalisiert. Bei Kreuzungsunfällen sind Geländewagen und Passagiere im Nachteil: Fährt ihnen ein Pkw in die Flanke, ist die Gefahr groß, dass sich dessen flache Frontpartie wie ein Keil unter die Karosserie des hochbeinigen Kontrahenten schiebt, ihn aushebelt und umwirft. Aber auch beim Aufprall auf ein starres Hindernis ist der Insassenschutz unzureichend, weil über das Blech und den starren Unterbau der Offroader kaum Energie abgebaut wird.

Kleiner kippt den Großen

Wie groß die Sicherheitdefizite vor allem bei älteren Geländewagen-Konzepten sind, lassen die jüngsten Crashtests von Dekra und Winterthur-Versicherung erkennen. Ein knapp 50 km/h schneller Mittelklasse-Pkw schafft es ohne Weiteres, einen Offroader, der ihm mit 25 km/h in die Quere kommt, umzukippen. Gefährdet sind alle Geländewagen, doch am größten ist das Risiko bei den leichten Exemplaren bis 1200 Kilogramm Leergewicht. Zusätzliche Gefahren entstehen beim Kippen auch, wenn es sich um ein Fahrzeug ohne festes Dach handelt. Deren Insassen werden nicht nur durch den harten Seitenaufprall belastet, sondern auch durch den Dachaufschlag: Bei den Test-Unfällen wurde die Überrollbügel so stark verformt, dass ein zusätzliches Verletzungsrisiko im Kopfbereich zu verzeichnen war.

Auch bei Unfällen im Gegenverkehr können die Offroader-Passagiere nicht allzu sicher fühlen. Von der Knautschzone des Kontrahenten profitiert ihr Gefährt nämlich nur, wenn eine große frontale Überdeckung gegeben ist. Treffen die Fahrzeuge lediglich im Scheinwerferbereich aufeinander, kann es hingegen passieren, dass der Pkw den Unfallgegner an sich abgleiten lässt, nicht ohne ihn vorher anzuheben und dabei so aus dem Gleichgewicht zu bringen, dass selbst ein großes Fahrzeug kippt.

Einem überdurchschnittlichen Verletzungsrisiko sind die Fahrgäste ausgesetzt, wenn ein Geländewagen mit steifem Unterbau auf ein massives Hindernis aufprallt: Weil sich der Vorderwagen kaum verformt und er die zum Energieabbau erforderliche Verformung auch nicht vom Unfallgegner holen kann, werden die Passagiere viel stärker in Mitleidenschaft gezogen als in einem Pkw.

Risiken birgt das vermehrte Auftreten der bulligen Offroader aber auch für andere Verkehrsteilnehmer. Dass manche Fahrzeugbesitzer die Gefahr noch durch Rammschutzbügel an der Fahrzeugfront vergrößern, finden die Experten verwerflich. Die Schutzgitter seien unnützer Zierrat, der Radfahrer, Fußgänger und Kinder gefährde. In diesem Punkt sei der Gesetzgeber gefordert, obwohl damit zunächst einmal nicht viel gewonnen sei, denn "neue Vorschriften werden am Zustand der einmal im Verkehr befindlichen Fahrzeuge nichts ändern".

Weg mit den Rammschutzbügeln

Die Unfallsachverständigen appellieren deshalb an die Fahrzeughalter, die Rammschutzbügel freiwillig zu entfernen oder durch nachgiebige Elemente aus Schaumstoff oder vergleichbaren Materialien zu ersetzen, und fordern gleichzeitig die Fahrzeug- und Zubehörhersteller auf, ihr Sortiment von sich aus auf Anbauteile zu beschränken, die dem Fußgängerschutz Rechnung tragen.

Dass das Angebot an geländetauglichen Fahrzeugen mit harten Karosseriestrukturen und -konturen rückläufig ist und einige Hersteller den starren Leiterrahmen bereits ausrangiert und durch selbsttragende Karosserien nach Pkw-Muster ersetzt haben, bezeichnet Jörg Ahlgrimm, der beim Dekra den Bereich "Analytische Gutachten zu Unfall- und Verkehrsabläufen" leitet, als "Trend, der in die richtige Richtung geht". Genauso sinnvoll sei es, den Schwerpunkt der Geländewagen abzusenken, denn "nur fünf Prozent der Offroad-Fahrzeuge sind im Gelände unterwegs". Mit einer gezielten Übernahme von Pkw-Konstruktionselementen sei ein Sicherheitsstandard zu erreichen, der sowohl die Aspekte des Partner- als auch des Insassenschutzes berücksichtigt.

Von Gerlinde Fröhlich-Merz

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