Cockpits:Streichelzoo für Autopiloten

Der Innenraum der neuen Mercedes E-Klasse.

Im Innenraum der Mercedes E-Klasse befinden sich zwei große digitale Display.

(Foto: Daimler AG)

Früher erinnerten Auto-Cockpits an Rennwagen oder Flugzeuge. Bald werden sie wie Leitstände von Raumschiffen aussehen.

Von Joachim Becker

Früher war alles besser. Familienkutschen sahen wie Rennwagen aus - zumindest ein bisschen: Das Cockpit war ein Leitstand für tollkühne Maschinisten auf der Überholspur des Lebens. Analoge Uhren und geheimnisvolle Knöpfe deuteten auf den Ursprung aus dem Motorsport hin. Eine Schaltzentrale für die Bezwinger von Raum und Zeit also - selbst wenn man nur Brötchen holen fuhr. Der (gefühlte) Rausch der Geschwindigkeit verkauft sich noch immer gut. Doch in den Zeiten des automatisierten Fahrens gewinnt ein kühler Captain-Future-Look neue Freunde unter den Designern.

"War die Freiheit im 20. Jahrhundert vor allem die Freiheit zur Fortbewegung, ermöglicht das Auto heutzutage eine andere Form von Freiheit", sinniert Daimler-Chef Dieter Zetsche: "Autos werden zu einem mobilen Zuhause, im besten Sinne des Wortes. Regelrechte Schutzräume, in denen die Menschen ihren Wünschen und Bedürfnissen nachgehen können." Diese Wohnmobile müssen nicht unbedingt mit dem Plüsch, Holzfurnier und den tickenden Uhren früherer Zeiten ausgestattet sein. Bestimmt aber mit einer großen Mattscheibe samt Spielekonsole vor den Augen des Fahrers.

Immer größere Displays mit Touch-Funktion

Über die aufgemotzten Autoradios, die bisher als Infotainment dienten, können die Kinder der digitalen Revolution nur lachen: Dämmeriges Mäusekino auf pixeligen Kleinbildschirmen - kaum der Betrachtung wert. Stattdessen gibt die Glas- und Stahlästhetik der Unterhaltungselektronik den Takt vor: Ein Streichelzoo der Touch-Funktion ersetzt den fummeligen Flohzirkus der Bedienknöpfe mit Mini-Skalen. Im knopflosen Auto als dem ultimativen mobilen Endgerät dürfen die Mattscheiben gerne in die dritte Dimension übergehen. Gebogene Displays versetzen den Fahrer in ein neuartiges Raumerlebnis, das zunehmend an die Bedienstände von Raumschiffen erinnert: Der Wagen wird zur virtuellen Erlebniskapsel. Wer einsteigt, begibt sich in den Cyberspace.

"Wie können wir das Fahrzeug in die Mobilitätsbedürfnisse und den digitalen Lifestyle unserer Kunden gleichermaßen integrieren?", fragte BMW-Entwicklungs-chef Klaus Fröhlich vor wenigen Tagen auf der Elektronikmesse CES, und "wie können wir Teil dessen sein, was wir die Kundenreise durch den Tag nennen?" Antworten auf diese Fragen soll ein neues digitales Nutzererlebnis geben. Neben Audi, BMW und Mercedes überboten sich auch Zulieferer wie Bosch, Continental, Delphi, Harman sowie Panasonic in Las Vegas mit Interieur-Studien in Ufo-Optik.

Brilliant, kontrastreich, hochauflösend

Auf der Automobilausstellung in Detroit rückte Audi das Cockpit des künftigen A8 (Ende 2016) erneut ins Rampenlicht: Die Studie H-tron quattro concept mit Wasserstoffantrieb demonstrierte auch (und vor allem) großes Kino am Fahrerarbeitsplatz. Das Virtual Cockpit wird zu einer 14,1 Zoll breiten digitalen Bühne mit frei geschwungenem Display aufgerüstet. Dank AMOLED-Technologie (Active Matrix Organic Light Emitting Diodes) ist die Anzeige so brillant, kontrastreich und hochauflösend, wie man sie nie zuvor im Auto gesehen hat.

Auch zwei großformatige Touchdisplays in der Mittelkonsole geben einen Ausblick auf die nahe digitale Zukunft: Während der obere Bildschirm klassische Infotainment-Inhalte wie die Navigation und Medien steuert, dient der untere Screen sowohl zur Texteingabe per Handschrift als auch zur Bedienung der Klimaautomatik. Clou der multifunktionalen Monitorlandschaft ist nicht nur das haptische Feedback, mit dem der Fahrer eine ähnliche Rückmeldung wie beim Drücken von Knöpfen bekommt.

Videotelefonate auf dem Fahrersitz

Wesentlicher Bestandteil der Gesamtinszenierung sind auch die frei konfigurierbaren und verschiebbaren Inhalte: Mit situationsgerechten Hinweisen und personalisierbaren Umfängen lässt sich das Cockpit mit einem Wisch an das Nutzerverhalten anpassen. Vorteil beim Fahren mit Autopilot: Während sich die Maschine selbst steuert, kann der Passagier auf dem Fahrersitz zum Beispiel Videotelefonate führen - mit dem Bewegtbild des Gesprächspartners im Cockpit.

"Soll der Fahrer wieder das Kommando übernehmen, gibt ihm das System einen entsprechenden Hinweis. Dabei agiert die Technik immer so vorausschauend, dass dem Fahrer mindestens fünf bis sieben Sekunden Zeit bleiben", erklärt BMW in seiner CES-Pressemappe. Die Münchner haben in Las Vegas ein BMW i8 Cabrio mit Panoramadisplay, 3D-Anzeigen und einer weiterentwickelten Gestensteuerung zur Vision Future Interaction hochgerüstet (SZ berichtete): Eine 21 Zoll breite Großleinwand zieht alle Blicke auf sich. Anders als bei der neuen Mercedes E-Klasse mit zwei jeweils 12,3 Zoll (je 31 Zentimeter) breiten Displays läuft das Projektionsband jedoch auf der Beifahrerseite unter der Windschutzscheibe entlang. Das ist vorteilhaft, weil keine Anzeigeflächen vom Lenkrad verdeckt werden. Andererseits muss der Fahrer den Blick von der Straße abwenden, um die sechs verschiedenen Anzeigesegmente genauer ins Auge nehmen zu können. Viele Darstellungsmöglichkeiten sind daher nur im hochautomatisierten Fahrmodus nutzbar.

Ablenkung und potenzielle Reizüberflutung

Viele visionäre Interieurstudien verdrehen dem Fahrer den Kopf. Mehr noch als bei den unübersichtlichen Knopflandschaften alter Schule bilden die Ablenkung und potenzielle Reizüberflutung ein ständiges Sicherheitsrisiko. Schon heute laufen Tesla-Piloten Gefahr, den detailreichen Abbildungen des Riesenbildschirms mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Geschehen auf der Straße. Die banale Realität und die funzelige Lichtleistung herkömmlicher Kombiinstrumente können hinter solchen farbig leuchtenden XXL-Displays nur zurückfallen.

Als einer der wenigen Hersteller ist Tesla nicht der Auto Alliance beigetreten, die schon 2006 Regeln für die Benutzung von Anzeige- und Bediensystemen aufgestellt hat: Einzelne Eingaben sollen nicht länger als zwei Sekunden dauern, während die gesamte Aufgabe zum Beispiel für eine Adresseingabe in das Navigationssystem 20 Sekunden nicht überschreiten soll.

Daher wird BMW den großen Sprung nach vorn erst wagen, wenn das Auto die Verantwortung für die Spurführung zumindest zeitweise übernehmen kann. Der nächste BMW 3er und der neue BMW i5 sollen ab 2018 bei den innovativen Mensch-Maschine-Schnittstellen an Mercedes und Audi vorbeiziehen. Dann dürfen Autopiloten voraussichtlich auf den Car-Pool-Lanes der USA benutzt werden. Momentan werden auch die Vorschriften der Wiener Konvention überarbeitet, die in Europa gelten: Hochautomatisiertes Fahren soll legal werden, solange der Fahrer jederzeit eingreifen kann. Entsprechend darf er den Blick nur für wenige Sekunden von der Straße abwenden und muss in Fahrtrichtung sitzen bleiben. Zumindest das hat sich seit den Gründertagen des Autofahrens (noch) nicht geändert.

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