China-Jet Comac C919:Durchstarten im Reich der Mitte

Mit dem neuen Mittelstreckenjet C919 will der chinesische Staatskonzern Comac gegen Airbus und Boeing antreten.

Jens Flottau

Bis jetzt hat die Öffentlichkeit nur wenig mehr gesehen als ein großes Plastikmodell. Neulich etwa stand das in den Ausstellungshallen der Singapore Air Show und die interessierten Besucher konnten die Neuigkeit von allen Seiten betrachten. In Wirklichkeit existiert immerhin schon ein Teil der Flugzeugnase, den die Ingenieure zum Test dieses aerodynamisch besonders kniffligen Bereichs zusammengenietet haben.

Das Modell und die dazugehörigen Pläne genügen aber, um den aktuellen Marktführern im zivilen Flugzeugbau, Airbus und Boeing, Respekt einzuflößen. Denn: Die Globalisierung hat nun endgültig auch im Flugzeugbau Einzug gehalten. Was die Messebesucher bewundern durften, ist nicht etwa die neueste Modellreihe aus Toulouse oder Seattle, sondern der Erstling aus Shanghai. In vier Jahren schon soll der erste Prototyp der C919 starten und etwa zwei Jahre später an den ersten Kunden ausgeliefert werden.

Die Ära, in der Airbus und Boeing den zivilen Flugzeugbau alleine dominierten, nähert sich ihrem Ende; überall auf der Welt tauchen neue Konkurrenten auf. In Brasilien baut Embraer schon seit längerem erfolgreich große Regionalflugzeuge, Mitsubishi will künftig nicht nur Autos, sondern auch Flugzeuge fabrizieren. Die südkoreanische Industrie will ebenso wie Indien eigene Jets entwickeln. Und auch die traditionsreiche russische Luftfahrtbranche versucht gut 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Neustart.

Doch keinem trauen weltweit die Experten so viel zu wie den Chinesen. Einen Regionaljet namens ARJ-21 haben sie schon als eine Art Übungsjet entwickelt - ob dieses Flugzeug ein technischer und kommerzieller Erfolg wird, ist dabei fast schon egal. Denn die staatliche chinesische Luftfahrtbranche hat Größeres vor und brauchte ein Objekt zum Üben. Mit der C919 aber wird der neu gegründete Konzern Comac (Commercial Aircraft Corporation of China) Airbus und Boeing erstmals direkt angreifen.

Ein ernst zu nehmende Konkurrenz wächst heran

Das Flugzeug ähnelt äußerlich einem Airbus A320 und ist mit 156 Sitzen in der Standardauslegung um genau eine Sitzreihe länger als der europäische Jet. Comac verspricht seinen Abnehmern deutlich geringere Betriebskosten, um mindestens zehn Prozent billiger als die westlichen Konkurrenten soll die C919 zu betreiben sein. Das liegt unter anderem daran, dass das Flugzeug neue Triebwerke bekommen soll, die den herkömmlichen Motoren überlegen sind.

In den vergangenen Monaten hatte zwischen westlichen Motorenbauern ein wahrer Bieterwettbewerb stattgefunden. Alle bewarben sich darum, den neuen China-Jet ausrüsten zu dürfen. Am Ende setzten sich der amerikanische Konzern General Electric (GE) und sein französischer Partner Snecma durch, die in ihrem CFM genannten Konsortium ein neues Triebwerk namens Leap X entwickeln wollen. Leap X soll zwischen 15und 20 Prozent besser sein als heutige Motoren. Und CFM hat in der Branche einen Namen: Dort baut man bereits mit dem CFM-56 eines der erfolgreichsten Triebwerke aller Zeiten, das derzeit unter anderem für die Boeing 737 und den Airbus A320 genutzt wird.

Nicht nur Triebwerksbauer rennen Comac derzeit die Türen ein. Auch für andere Lieferanten tun sich völlig neue Möglichkeiten auf, denn sie haben nun neben Airbus und Boeing mindestens einen weiteren ernstzunehmenden Hersteller, mit dem man ins Geschäft kommen kann.

Spätestens Ende des Jahres will Comac festgelegt haben, wie die C919 genau aussehen wird. Derzeit diskutiert die Industrie noch darüber, wie groß die Anteile an Kohlefasern und Metall sein sollen. Zwar bringen Kohlefasern vor allem bei Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen nicht allzu viel an Gewichtseinsparung, die Chinesen haben aber ein strategisches Interesse daran, die Technologie möglichst bald zu beherrschen. Schließlich bauen Airbus und Boeing ihre neuen Langstreckenjets A350 und 787 weitgehend in neuer Technologie.

Ab 350 verkauften Maschinen soll die C919 profitabel sein

Über einen Mangel an potentiellen Abnehmern dürfte sich Comac in der staatlich gelenkten Luftfahrtindustrie des Landes nicht beklagen müssen. Schließlich kann die Regierung den nationalen Fluggesellschaften die Maschinen einfach auf den Hof stellen lassen. Air China hat schon verlauten lassen, dass man dem heimischen Projekt selbstverständlich sehr aufgeschlossen gegenüberstehe und man es nach Kräften unterstützen werde. Auf rund 2000 Flugzeuge schätzt Comac-Chefentwickler Wu Guanghui den Markt; oberhalb von rund 350 verkauften Maschinen werde die C919 dann profitabel sein.

Die spannendere Frage allerdings ist, ob die C919 auch international schon ein Erfolg werden kann oder ob das Flugzeug nur eine weitere Etappe auf dem Weg in die erste Liga sein wird. Denn die Hürde, ein völlig unbekanntes Flugzeug eines Anbieters ohne Erfahrung zu kaufen ist riesig. Zu groß sind die wirtschaftlichen Risiken für den Fall, dass Comac sich im Wartungsgeschäft als unzuverlässig erweisen würde. Auch deswegen setzt Comac darauf, sich und den neuen Jet erst einmal auf dem Heimatmarkt zu beweisen. Und sollte der Export dann tatsächlich erst zehn Jahre später anlaufen, wäre das auch kein Beinbruch.

Airbus und Boeing nehmen den neuen Konkurrenten dennoch schon jetzt ernst. Auf der Luftfahrtmesse von Farnborough im Juli wird Airbus voraussichtlich ankündigen, dass auch die A320-Baureihe neue Triebwerke bekommt; und Boeing kann sich dann dem Trend kaum mehr entziehen. Die neue Ära hat offenbar schon begonnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: