Deutsche Hersteller in China:Es regnet im Autoparadies

Chinesischer Arbeiter wäscht einen Mercedes in Beijing

Es geht nicht ohne China - der Automarkt für deutsche Hersteller wächst dort rasant.

(Foto: Wang Zhao/AFP)

Deutsche Autokonzerne machen in China ein Milliardengeschäft, keine andere Nation ist dort so erfolgreich. Nackenschläge aus Peking wie Razzien, Strafen und neuerdings Spritgrenzen müssen BMW, Mercedes und Audi deshalb stillschweigend akzeptieren.

Von Thomas Fromm, München, und Marcel Grzanna, Shanghai

Wenn auf Straßen, auf denen noch vor 20 Jahren Millionen Fahrräder rollten, heute nicht einmal mehr Platz für Fahrradwege ist, hat das schon etwas zu bedeuten. Es zeigt, dass in der Zwischenzeit viele Menschen zu Wohlstand gekommen sind. Es bedeutet aber auch: Wenn sich Millionen Menschen nur noch mit Schutzmasken vor dem Gesicht auf die Straßen trauen, dann läuft irgendetwas falsch. Viele Autos, das heißt eben auch: eine Menge Abgase.

Auf den Straßen ganz vorne mit dabei: die deutschen Autohersteller. "Ihnen ist es gelungen, chinesischen Kunden einzupflanzen, dass sie die einzigen High-End-Fahrzeuge der Welt bauen", sagt Zhang Yu, Managing Director der Beratungsfirma Automotive Foresight in Shanghai. Es gilt die Faustformel: großes Auto, hohe gesellschaftliche Stellung. Wei Linhong aus Shanghai fährt deshalb Mercedes. Er sagt: "Andere Fahrer lassen mich widerstandslos vordrängeln. Die Verkehrspolizei ist über alle Maßen freundlich zu mir, und Wachleute vor einem Luxuswohnblock lassen mich einfach durch. Mit einem Billigauto würde mir das nie passieren."

Peking will den Spritverbrauch begrenzen

Klar, dass Herr Wei das Auto mit dem Stern fährt. Klar, dass Audi das beliebteste Fahrzeug der regierenden Kommunistischen Partei ist. Und klar ist damit auch, warum Deutschlands Autokonzerne in China noch immer von Rekord zu Rekord rasen: Keine andere Nation verdient mit Autos so viel Geld in China. Audi, BMW und Mercedes verkauften in den ersten neun Monaten dieses Jahres zusammen fast eine Million Autos. Marktanteil: 75 Prozent. Manche sprechen deshalb von China als ihrer "zweiten Heimat".

Manche nennen es Liebe.

Das Problem ist nur: Wenn es Liebe ist, dann ist es eine ziemlich komplizierte Liebe. Denn die Zeiten des Laisser-faire sind in China vorbei. Jüngstes Beispiel: der Kampf gegen die horrende Luftverschmutzung in den Millionen-Metropolen, für den die Regierung strenge Grenzen beim Spritverbrauch durchsetzen will. Es gelten nun: 6,9 Liter durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch auf 100 Kilometer für 2015. Bis 2020 wird das Ziel dann noch einmal auf fünf Liter gesenkt. Wer Autos hat, die mehr schlucken, muss mit drakonischen Strafen rechnen. Für die Konzerne sind das unbequeme Aussichten, denn Geldstrafen sind das eine. Aber von Peking öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, ist noch einmal etwas anderes. Es geht ums Image, um den guten Ruf. Darum, dass Wei Linhong auch in Zukunft noch freundlich von der Verkehrspolizei behandelt wird.

In der Heimat der Konzerne gibt man sich erst einmal: betont ruhig. Man sei "optimistisch, die gesteckten Ziele zu erreichen", heißt es bei Daimler. Man sei "auf gutem Weg". Bei den Kollegen von Audi heißt es, man habe die "Ziele 2013 übererfüllt" und werde dies auch 2014 und 2015 tun". Und bei BMW sagt man: "Wir fühlen uns ganz gut vorbereitet auf die neuen Grenzwerte. Wir haben Elektroautos im Angebot und werden uns in den nächsten Jahren sehr stark auf alternative Antriebe, etwa Plug-in-Hybride, konzentrieren."

Klingt so, als sei das alles sehr leicht. Ein Branchenvertreter meint, dass "vor allem chinesische Hersteller, die über keine modernen Technologien verfügen, nun das Nachsehen" hätten. Das mag sein, aber: Es gibt auch viele ausländische Hersteller, die sich noch kräftig strecken müssen, um die Ziele zu erreichen - Autohersteller, die PS-starke Fahrzeuge in China verkaufen. Dazu gehören unter anderem die VW-Sportwagentochter Porsche und der US-Autokonzern General Motors.

Wer hier Milliarden verdienen will, braucht ein hartes Fell

Tatsache ist also: Die Hersteller, die bislang vor allem gerne die lang gezogenen Chauffeursversionen ihrer Klassiker nach China verkauften, müssen jetzt umdenken, auf kleinere Wagen setzen und sich vor allem über neue, umweltschonende Motoren Gedanken machen. Nicht zufällig arbeiten die Konzerne derzeit auf Hochtouren daran, große Teile ihrer Modellpalette auf sogenannte Plug-in-Hybride - also eine Kombination von emissionsfreiem Elektroantrieb und klassischem Verbrennungsmotor - aufzurüsten. Niemand will Ärger in China, schon gar nicht jetzt, da in Europa und vielen anderen Teilen der Welt nicht mehr viel geht.

Denn anders als in Europa sind in China die goldenen Jahre noch lange nicht vorbei. Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass 90 Millionen chinesische Autobesitzer in den kommenden Jahren ein neues Fahrzeug kaufen wollen. Viele davon peilen ein deutsches Auto an. Fast 90 Prozent derjenigen, die sich beim anstehenden Kauf im Luxussegment umsehen wollen, schielen auf Audi, BMW und Mercedes. Ein Eldorado. "Auf absehbare Zeit wird niemand die Spitzenposition der Deutschen ernsthaft gefährden", glaubt Yang Jian vom Branchendienst Automotive News China. Außer vielleicht: Chinas Regierung selbst. Sie treibt ausländische Unternehmen mit Anti-Monopol-Ermittlungen vor sich her, zweigt die Hälfte aller Konzerngewinne durch Zwangsehen mit chinesischen Partnerunternehmen ab, und manche glauben, es gehe dabei einfach nur um Macht. Das wäre aber wohl zu einfach. Man darf dahinter durchaus auch eine versteckte Hilfe für die schwache nationale Autoindustrie vermuten.

Man hätte sich mehr Kulanz gewünscht

Erst in der vergangenen Woche rief Volkswagen mehr als eine Million Fahrzeuge zurück, weil chinesische Qualitätsaufseher ein Problem am Koppellenker der Achsen entdeckten. Die Achse sei sicher, sagte dagegen Volkswagen. Lediglich nach einem Unfall, bei dem das Heck zu Schaden komme, müsse man den Koppellenker vorsichtshalber austauschen. Es sei eine Frage des politischen Willens, einen anderen Weg einzuschlagen, als auf eine derart umfangreiche Rückrufaktion in einem solchen Fall zu bestehen, heißt es aus Konzernkreisen. Mit anderen Worten: Man hätte sich etwas mehr Kulanz gewünscht.

In den Vorstandsetagen der beliebten Premiumhersteller weiß man, wie schnell die Dinge gehen können: Audi, Mercedes und BMW mussten sich wegen angeblich giftiger Polster in ihren Fahrzeugen rechtfertigen. Die mit großer Empörung öffentlichkeitswirksam vermeldeten Vorwürfe chinesischer Staatsmedien entpuppten sich am Ende zwar als falsch. Aber sie standen zunächst einmal im Raum. Unschön.

Nur weil die Umsätze im Boomland China weiter so schön brummen, akzeptieren die Konzerne die Nackenschläge aus Peking stillschweigend. Audi zahlte kürzlich 30 Millionen Euro Strafe wegen Preisabsprachen, Mercedes droht ein noch höheres Bußgeld, auch BMW steht im Visier der Fahnder. Die Strategie der Konzerne: Staatlichen Tadel brav abnicken, Gesetzesverstöße eingestehen, keine Gegendarstellungen, Verteidigungsreden und schon gar keine rechtlichen Schritte. Stattdessen: abwarten. Es regnet gerade im Autoparadies, und man hofft, dass die Unwetter von alleine weiterziehen. Früher oder später.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: