Süddeutsche Zeitung

Carsharing:Hast du keinen, ruf dir einen

Gegen Parkplatznot und teuren Autoneukauf: Carsharing ist auf dem besten Weg, zum Erfolgsmodell in Großstädten zu werden. Immer mehr Anbieter tauchen auf.

Joachim Becker

Ein Generationenkonflikt, der auf offener Straße ausgetragen wird: Jeder dritte private Neuwagen in Deutschland wird von einem Fahrer nahe des Seniorenalters erworben: "Auf die Generation Ü60 entfallen damit mehr Neuwagenverkäufe als auf sämtliche Kunden, die jünger als 40 Jahre sind", erklärt Marktforscher Ferdinand Dudenhöffer.

Für viele Ältere ist das eigene Auto ein Symbol der Unabhängigkeit. Freie Parkplätze gehören selbstverständlich zu diesem mobilen Lebensstil. Jüngere urbane Generationen haben die Hoffnung dagegen aufgegeben, bequem von Tür zu Tür zu fahren. Sie suchen nicht nur entnervt nach Parkplätzen, sondern auch nach neuen Lösungen für eine individuelle (Teilzeit-)Mobilität. Statt in PS-Prestige stecken jüngere Leute ihr Geld erst in schicke Wohnungen, Urlaube und coole elektronische Geräte.

Gerade junge Erwachsene, die Innenstädte als Lebensraum bevorzugen, wenden sich vom eigenen Pkw ab. 2009 waren nur noch sieben Prozent aller Neuwagenkäufer zwischen 18 und 29 Jahre alt - das Segment hat sich innerhalb von zehn Jahren halbiert.

Mittlerweile ist auch die Frage, wo und zu welchem Preis Menschen ihr Auto abstellen dürfen, ein zentraler Faktor der Stadt- und (individuellen) Verkehrsplanung geworden. Schließlich verursacht die Parkplatzsuche in Großstädten fast ein Drittel des gesamten Autoverkehrs. Bis 2020 werden 1,2 Milliarden Pkw auf diesem Planeten unterwegs sein - 60 Prozent davon in Städten. Wir stehen also erst am Anfang der Parkplatznot.

Der weltberühmte Stadtplaner Albert Speer fordert schon länger ein nachhaltiges Umdenken. Statt der autogerechten Stadt proklamiert er das stadtgerechte Auto: "Klein, wendig - und vor allem nicht in Privatbesitz!" Mobilitätsexperte Andreas Knie kann dem nur zustimmen: "Privater Autobesitz ist ein Auslaufmodell."

Neue Bedürfnisse gerade der jungen Generation, müssten durch die Politik aufgenommen werden, so der Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin. Als Beispiel nennt er die verstärkte Akzeptanz von Carsharing-Modellen.

2025 werden laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zwar 90 Prozent der Bundesbürger in einem Haushalt mit Fahrzeug leben. Aber viele Fahrzeugbesitzer könnten sich mit dem Carsharing zumindest die Anschaffung eines Zweitwagens sparen.

Ein Auto benötigt im Schnitt drei Parkplätze: Zu Hause, an der Arbeitsstelle und dort, wo Einkauf und Unterhaltung stattfinden. Dabei kann schon ein Stellplatz in Metropolen locker so viel kosten, wie der Unterhalt des Fahrzeugs. Folglich werden Privatautos in urbanen Zentren immer unattraktiver: In Berlin haben 46 Prozent der Bewohner kein Auto, in Tokyo sind es 48 und in New York 56 Prozent.

Kein Wunder, dass New York auch die Welthauptstadt des Carsharings ist - knapp gefolgt von London mit seiner teuren City-Maut. Ein geteiltes Auto ersetzt 15 Privatwagen, hat die Unternehmensberatung Frost & Sullivan aktuell ermittelt.

Zudem reduziert das kollektive Individualverkehrsmittel die Pkw-Kilometer um rund ein Drittel: Mitglieder des Mietclubs fahren nicht nur weniger Auto als Pkw-Besitzer. Sie nutzen auch die öffentlichen Verkehrsmittel um fast 50 Prozent häufiger und radeln öfter.

Der Verzicht auf ein eigenes Auto spart nicht nur CO2, sondern auch bares Geld. Laut Frost & Sullivan haben Carsharer rund 1700 Euro pro Jahr mehr in der Kasse als Autobesitzer. Warum also ein Auto kaufen, wenn man Dutzende haben kann, die an jeder Straßenecke stehen?

"Nutzen ohne Nachzudenken", nennt Robert Henrich, Geschäftsführer von Car2go, die Freiheit der Kurzzeitmiete. Ein Fahrzeug im Voraus zu reservieren, ist genauso unnötig wie der Gang zur Vermietstation. Stattdessen lässt sich jeder freie Smart im Vorbeigehen mieten.

60 Prozent der Kunden gehören zur Generation der 18- bis 35-Jährigen, die mit Computer und Smartphone aufgewachsen sind. Für sie ist es kinderleicht, das nächste freie Fahrzeug online zu orten oder zu buchen. Der aufgeklebte Mikrochip auf dem Führerschein öffnet die Tür, ein Zahlencode im Infotainmentsystem schaltet die Zündung frei. Die Kommunikation 2.0 ist also die Basis für eine Mobilität 2.0 ohne Komfortverzicht.

Carsharing könnte ein nachhaltiger Trend werden - im wahrsten Wortsinne. Frost & Sullivan sehen bis 2016 ein Potential von 5,5 Millionen Clubmitgliedern in Europa. Dafür soll eine Flotte von 77.000 geteilten Autos unterwegs sein. Jeder dritte Carsharing-Neuwagen könnte dann ein Elektrofahrzeug sein, schätzen die Berater.

Das erklärt unter anderem, warum sich Autohersteller mit neuen Mobilitätskonzepten beschäftigen. Für die Elektroautos brauchen sie nicht nur neue Antriebe, sondern auch neue Vertriebswege.

Car2go startet Ende des Jahres mit 300 Elektro-Smarts in Amsterdam. BMW und Sixt riefen vor wenigen Wochen ebenfalls ein Carsharing-Projekt ins Leben: 3000 Mitglieder haben sich in den ersten vier Wochen bei DriveNow registriert und das Interesse ist anhaltend groß. Von 2013 an soll auch der Stromer BMW i3 im Rahmen der Spontanmiete eingesetzt werden.

Einsteigen, beliebig lange fahren - und das Wägelchen überall dort im Stadtgebiet abstellen, wo es einen freien oder sogar reservierten Parkplatz für Carsharer gibt: 90 Prozent der Car2go-Kunden nutzen den Wagen für spontane Einwegfahrten. Im Durchschnitt soll jeder Mieter im Radius von höchstens 500 Meter das nächste verfügbare Fahrzeug finden. Genauso weit läuft man als Großstadtbewohner oft auch, wenn man mit dem eigenen Auto endlich einen Parkplatz gefunden hat.

Sowohl bei Car2go als auch bei DriveNow wird für die Nutzung ein Minutentarif von 29 Cent inklusive sämtlicher Kosten wie Parkgebühren und Treibstoff berechnet. Noch mehr Geld und Parkraum lassen sich mit Kleinstwagen sparen.

Die Kombination von Micro-Cars und Mobilitäts-Clubs könnte ein erfolgreiches Mittel gegen den Verkehrsinfarkt werden. Frost & Sullivan sieht bereits eine "neue Ära der Mikromobilität" voraus. Wägelchen im Format des Smart Fortwo sollen auf Europas Straßen künftig ein vertrauter Anblick werden.

Ist die Spontanmiete also der Pilotphase entwachsen? Kommt jetzt die breite Akzeptanz in allen Schichten der Gesellschaft? Mit mehr als einer halben Million Mitgliedern ist Zipcar aus den USA heute der größte Mietclub der Welt. Die Gesamtzahl von 8200 eingesetzten Fahrzeugen ist elf Jahre nach der Gründung jedoch bescheiden.

Entsprechend skeptisch beurteilt Robin Chase die Carsharing-Aktivitäten von Daimler, BMW & Co.: "Das ist kein Geschäfts-, sondern ein Marketingmodell. Die Autohersteller wollen ihre Fahrzeuge in der Innenstadt präsentieren und zusätzliche Probefahrten generieren", erklärt die Mitbegründerin von Zipcar im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Ich weiß, was ein Mietauto pro Woche an Verwaltung und Gebühren kostet. Die Car2go-Fahrzeuge spielen nicht mal diese Unkosten ein, weil sie nicht häufig genug gebucht werden", so Robin Chase vor wenigen Wochen auf dem Weltverkehrsforum in Leipzig.

Sarwant Singh, Partner bei Frost & Sullivan, widerspricht: Es sei noch zu früh, um ein solches Urteil über die neuen Carsharing-Angebote zu fällen: "Mit höheren Stückzahlen und Skaleneffekten werden sie profitabel sein", so der Director Automotive & Transportation. "Die jüngsten Bewertungen bei Finanzierungsrunden der Banken für Streetcar in England und Zipcar zeigen, dass sich mit diesen Geschäftsmodellen künftig Geld verdienen lässt."

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Quelle:
SZ vom 25.07.2011/gf
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