Süddeutsche Zeitung

Carsharing:Abgefahren

Die Autohersteller entdecken das Carsharing als neues Geschäftsfeld. Und arbeiten mit Fahrzeugvermietern zusammen, die sie eigentlich nicht leiden können.

Michael Kuntz

Das Kick-off-Event steigt an diesem Donnerstag am Lenbachplatz in München. Dort bereichert BMW mit seinem Pavillon seit langem das Stadtbild um eine kleine Welt voll neuer Autos. Hier wird nun auch der Startschuss für ein neues Kurzmietmodell gegeben, mit dem der Carsharing-Gedanke auch für die alerte Klientel des Autokonzerns akzeptabel werden soll.

Ob BMW und sein Partner Sixt mit den zunächst 300 auffällig lackierten Kleinwagen das Stadtleben auf lange Sicht ergänzen - es muss sich erst noch zeigen, doch einiges spricht dafür. Denn der Hersteller schneller Autos war diesmal etwas langsamer als etwa sein Konkurrent Daimler, und so gibt es schon positive Erfahrungen mit einem ähnlichen Mietmodell namens Car2Go in den Städten Ulm und Hamburg.

In München begann die Revolution beim Automieten mit einem kräftigen kommunalpolitischen Zoff. Denn der Grundgedanke beim neuen Carsharing ist nicht so einfach, wie er klingt: Man findet Mietautos verteilt über die ganze Innenstadt, nimmt sich eines, fährt beispielsweise durch München vom Stadtteil Berg am Laim in den Stadtteil Laim und parkt dann wie mit dem eigenen Auto auf einem öffentlichen Parkplatz.

Genau diese Sondernutzung von Flächen durch private Unternehmen aber war der strittige Punkt. Denn bisher stellten die seit Jahren existenten und meist als Vereine organisierten Carsharing-Anbieter ihre Fahrzeuge auf privaten Parkplätzen ab, etwa in dafür angemieteten Flächen von Tiefgaragen. Dort sind sie dann nur für Eingeweihte zu finden und längst nicht so im Stadtbild präsent wie die Fahrzeugflotten, wie sie jetzt nach dem Vorbild der knallroten Bahn-Fahrräder auf Straßen und Plätze kommen.

Während die Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen durch private Mietwagenunternehmen in Ulm und Hamburg kein Thema war, dauerte es in München lange, bis die Weltstadt ihr Herz für diese neue Art der Mobilität öffnete. Doch das war nicht die einzige Verzögerung.

BMW und Sixt hatten bereits am 21. März zu einer Pressekonferenz in die "BMW Welt" im Olympiapark geladen, um ihr neuestes Firmenbaby "Drive Now" zu präsentieren. Da war dann zwar am Rande von der noch ausstehenden Zustimmung der Kartellbehörden die Rede, doch dass die bis Ende Mai auf sich warten lassen würde, damit hatte niemand gerechnet - wohl auch die Manager der Gemeinschaftsfirma nicht. Nun also zweieinhalb Monate später heißt es nicht länger "Coming soon" sondern "Drive Now" bei BMW und Sixt.

Autohersteller und Autovermieter werden Freunde - auch das ist neu. Bisher kühlte oft endloses Feilschen um Rabatte und Rücknahmegarantien ihr Verhältnis. Billig einkaufen, teuer verkaufen - mancher Autovermieter macht so höhere Gewinne als im Vermietgeschäft. Erich Sixt will freilich mit Drive Now von Anfang an verdienen, hat er bei seiner Bilanzvorlage deutlich gesagt.

BMW und Sixt wollen erst München, dann Berlin und später andere europäische Städte mit einem Netz aus Kleinwagen überziehen, zunächst handelt es sich um Einser von BMW und den Mini. Ob 300 Autos für München (1,35 Millionen Einwohner) ausreichen, ist noch offen.

Daimler bietet seit zwei Jahren in Ulm (0,12 Millionen Einwohner) Kleinstwagen der Marke Smart zur Kurzzeitmiete an und zwar ebenfalls 300 Stück. Der Mercedes-Konzern ist Autovermieter bereits in Austin (Texas), demnächst auch in Vancouver und Amsterdam.

Die Einführung des Carsharing in Hamburg nahmen Finanzmedien für Spekulationen zum Anlass, ob Daimler seinen Partner Europcar übernehmen wolle. Der Autovermieter war vor ein paar Jahren von Volkswagen an französische Finanzinvestoren verkauft worden.

Der Autokonzern VW plant unterdessen seine Rückkehr ins Vermietgeschäft und will von Herbst an in Hannover 200 Golf anbieten. Der VW-Konkurrent Peugeot ist mit Verleihstationen in Berlin, München und Hamburg präsent. Größter Anbieter von Kurzzeit-Mietautos ist die Deutsche Bahn mit 2000 Fahrzeugen, inklusive 100 Elektroautos. Der Fuhrpark steht meist an Bahnhöfen.

Während die etablierten Unternehmen gerade große Städte mit Carsharing-Netzen überspannen, macht im Internet bereits die nächste Geschäftsidee die Runde - bei Nachbarschaftsauto.de oder Getaround.com oder "Tamyca". Das steht für "Take my car", und gemeint ist das private Verleihen eigener Autos. Menschen verdienen mit brachliegenden Ressourcen Geld, weil es für andere oft vorteilhafter ist, etwas nutzen zu können als es zu besitzen.

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SZ vom 09.06.2011/gf
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