Süddeutsche Zeitung

Nutzen statt besitzen:Wie man sich Mobilität ohne eigenes Auto kaufen kann

Carsharing, Flatrates und Langzeit-Miete: Angebote für Auto-Mobilität ohne eigenes Auto nehmen zu. Was sich lohnt und was nicht.

Von Max Hägler und Christina Kunkel

Vielleicht ist es diese Zahl, die am ehesten zu denken gibt: Gerade einmal 45 Minuten ist ein privates Auto durchschnittlich pro Tag in Betrieb, so ergibt es sich aus einer Mobilitätsstudie, die das Bundesverkehrsministerium anfertigen ließ. Das heißt: Die meiste Zeit stehen die 43 Millionen Autos in Deutschland nutzlos herum. Wer in der Stadt wohnt und viel mit dem Rad und den Öffentlichen fährt und seinen Wagen am liebsten stehen lässt, weil sonst wieder kein Parkplatz da ist, kennt die daraus folgende Überlegung natürlich: Braucht man das eigene Auto? Anschaffung, Wertverlust, Spritkosten, Steuer, Versicherungen, Reparaturen - wer das bedenkt, kommt auf ordentliche Summen.

Der ADAC hat das für so ziemlich jeden verfügbaren Wagen durchgerechnet: Ein großes SUV von BMW (X6 M50d) schlägt da monatlich mit 1586 Euro zu Buche oder 127 Cent pro Kilometer, bei einer angenommen jährlichen Laufleistung von 15 000 Kilometern, sofern das Auto fünf Jahre gehalten wird. Es geht kleiner und günstiger, aber auch dann ist es immer noch viel Geld: ein Diesel-Golf (1,6 TDI) kostet nach der Rechnung im Monat 554 Euro oder 44 Cent pro Kilometer.

Und so stellt sich die Frage: Gibt es nicht eine gewisse Automobilität - nur ohne ganz eigenes Auto, das sowieso meist nur herumsteht? Tatsächlich haben sich mittlerweile gerade für Großstadtmenschen verschiedene Modelle etabliert, die günstiger kommen könnten. Sie lassen sich insgesamt unter dem Begriff "Miete" zusammenfassen, auch wenn Marketingleute sich diverse Namen ausgedacht haben: Die eher spontane Kurzzeitmiete ist das Carsharing.

In den Großstädten ist laut Mobilitätsstudie bereits jeder siebte bei einem Carsharing-Anbieter registriert. Die bekanntesten Vertreter sind Car2Go und Drivenow von Daimler und BMW, die in den kommenden Wochen zusammengeschaltet werden. Live per Handy-App ist sichtbar, wo ein Auto frei ist und man kann es sogleich mieten und irgendwo in derselben Stadt abstellen, ohne Parkticket. Ähnliches ermöglichen immer mehr Elektroroller-Verleihfirmen wie Stella, Clou oder Emmy. Carsharing-Anbieter wie Flinkster von der Bahn, Oply oder Stattauto funktionieren ähnlich, bieten mitunter auch Lieferwagen zur Spontanleihe, wobei diese oft "stationsbasiert" sind. Die Pflicht zur Rückgabe im selben Parkgebiet gilt auch für angemietete Privatwagen, was Plattformen wie Drivy, Simpli oder Turo anbieten.

Wer will, kann also vor allem in der Stadt durchaus automobil bleiben. Allerdings fällt der Überblick schwer, weil sich die Preise so unterschiedlich zusammensetzen: Manche rechnen nach Minute (meist zwischen 20 und 40 Cent), andere nach Stunde (ab fünf Euro), wollen aber noch Kilometergeld. Trotz des Kosten-Wirrwarrs heißt es ausgerechnet beim Automobilistenverband ADAC: Das kann sich rechnen. Und zwar vor allem für Wenigfahrer, die bis zu 10 000 Kilometer pro Jahr Auto fahren und überwiegend Busse und Bahnen benutzen. Oder für Familien, die auf einen Zweitwagen verzichten wollen.

Wer Carsharing nicht nutzt, ist skeptisch

Der große Vorbehalt: Klappt das wirklich? Nicht-Nutzer, die solches Sharing noch nicht öfter ausprobiert haben, bewerten die Leistungsfähigkeit des Carsharing tatsächlich kritisch, zeigt eine aktuelle Studie des Bundesverbandes Carsharing. Doch dieselbe Erhebung zeigt auch: Wer Carsharing dann doch regelmäßig nutzt, scheint gelernt zu haben, dass ein Stadtleben ohne eigenes Auto gut möglich ist - und ist zufrieden mit dem Angebot.

Ein ebenfalls flexibler Weg zu Mobilität kann zudem eine längere Miete sein. Immer öfter bieten Autoverleiher dieses Angebot auch speziell für Privatleute an. Beim Autovermieter Sixt gibt es etwa eine jederzeit kündbare "Flatrate", bei der ein Opel Corsa monatlich 149 Euro kostet zuzüglich einer Vollkaskoversicherung in Höhe von 56 Euro. Außerdem noch zu zahlen: Eine Bereitstellungsgebühr von 999 Euro.

Auch beim Münchner Start-up Cluno gibt es den Corsa im Abo. Mindestens sechs Monate muss der Nutzer dort buchen und dafür 259 Euro für den kleinen Opel zahlen. Dafür sind alle Kosten für Versicherung, Wartung und Steuern inklusive. Nur der Sprit kommt noch dazu. Als wohl erster Autohersteller hat Volvo im Herbst 2018 ein Abo-Angebot flächendeckend eingeführt. Über "Care by Volvo" mietet sich der Kunde dabei ein Auto, anstatt es zu kaufen. Günstigstes Modell ist aktuell ein Kompakt-SUV namens XC40. Doch Wenigfahrer, die Flexibilität und Unabhängigkeit suchen, werden hier eher nicht bedient: Das Volvo-Modell kostet mindestens 559 Euro im Monat und der Vertrag läuft mindestens 24 Monate. Auf der anderen Seite ist das mindestens 100 Euro pro Monat billiger als der Kauf, laut ADAC-Rechnung - und der Fahrer ist unabhängig von unkalkulierbaren Wertverlusten wie ihn zum Beispiel aktuell Dieselfahrer erleben, die ihr Auto aufgrund der Fahrverbote nur noch zu schlechten Konditionen loswerden.

Flatrates verführen dazu, öfter als nötig Auto zu fahren

Der Nachteil: Man hat doch irgendwie ein eigenes Auto, für das Parktickets anfallen und das Fixkosten verursacht. Marion Jungbluth, Verkehrsexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) warnt jedenfalls vor scheinbar attraktiven Abos und Flatrates: "Wir neigen dazu in allen Bereichen des Alltags Abos oder Flatrates zu nutzen, weil es so einfach ist." Doch nicht immer werde das dann so genutzt, dass es wirklich billiger kommt. Oder im Gegenteil wird der Mensch dann zum übertriebenen Vielfahrer, anstatt auch mal das Rad und die Bahn zu nehmen.

Überhaupt halten es Verbraucherverbände - VZBV wie auch der ADAC - für wichtig, dass die Verkehrsmittel viel besser vernetzt werden, um Autoverkehr zu reduzieren. Allerdings ist das aufwendig, hat man etwa bei Daimler gelernt. Damit deren Vernetzungs-App namens Moovel in einer Stadt funktioniert, muss mit jedem Verkehrsanbieter extra verhandelt werden. Wie es einfacher gehen könnte, zeigt Finnland. Dort bietet eine App namens Whim eine Mobilitäts-Flatrate für öffentlichen Nahverkehr, Leihfahrräder, Carsharing, Mietwagen, Taxis und mehr. Möglich wurde das durch eine Gesetzgebung, die Verkehrsunternehmen zur Offenlegung ihrer Daten verpflichtet. Und damit für manche das eigene Auto entbehrlich macht, das sonst so oft herumsteht.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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