Süddeutsche Zeitung

Camping im Winter:Winter im Schneckenhaus

Campen im Schnee ist angesagt, der Markt für die rollenden Heime boomt auch im Winter. Das Problem ist nicht der Komfort, sondern das Gewicht der Fahrzeuge.

Von Marco Völklein

Der Mann trägt Badelatschen und Frotteemantel. Unterm Arm ein Handtuch und einen Kulturbeutel. Und das bei bedecktem Himmel und Außentemperaturen von um die null Grad Celsius. Ist das nicht ein bisschen ungemütlich? "I wo", sagt Rainer Kalbe und geht weiter in Richtung Sanitärhaus. "Die paar Meter bringen mich nicht um." Schließlich kommt er aus einem gut geheizten Wohnmobil. Und verschwindet gleich unter der Dusche im Empfangsgebäude des Campingplatzes von Sölden. Für den Mann aus der Nähe von Rottweil gibt es nichts Schöneres als Camping im Winter. "Ich fühle mich wie zu Hause."

Genau das ist es wohl, was viele Menschen zum Camping bringt - das Gefühl, sein Zuhause stets bei sich zu haben. Wie eine Schnecke ihr Schneckenhaus. Zumal sich mit dem Camper zahlreiche Hobbys verbinden lassen - so setzen nach Angaben des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) immer öfter Surfer, Mountainbiker oder Wanderer auf ein Reisemobil oder einen Wohnwagen und sparen sich so die Übernachtung in Hotels oder Jugendherbergen. "Caravaning liegt im Trend", sagt Verbands-Vizepräsident Holger Siebert. "Und es wächst kontinuierlich weiter." Und weil es so gut läuft, peilt die Branche der Auf- und Ausbauer von Campingfahrzeugen in diesem Jahr erneut einen Rekordwert bei den Zulassungszahlen an.

Auslastungsquoten zwischen 80 und 90 Prozent

Wie gefragt Camping selbst in der dunklen und kalten Jahreszeit ist, zeigt sich auf dem Campingplatz in Sölden. Der Platz ist gut besucht, neben dem Campingmobil von Rainer Kalbe stehen viele weitere Reisemobile und Wohnanhänger. Auch wenn bei Minustemperaturen so mancher Wintercamper seine Gasflasche nach vier oder fünf Tagen ersetzen muss - Platzbetreiber Lukas Kneisl kann von Auslastungsquoten auch in den Wintermonaten zwischen 80 und 90 Prozent berichten.

Ein Paar aus Norwegen wohnt und schläft sogar in einem Tipi-artigen Zelt, in dessen Mitte ein kleiner Ofen für wohlige Wärme sorgt. Doch das ist die Ausnahme: "Die meisten Wintercamper kommen mit eigenen oder angemieteten Fahrzeugen", sagt Kneisl.

Allradantrieb setzt sich zunehmend durch

Und die sind für die kalte Jahreszeit bestens gerüstet: Leitungen und Vorratsbehälter, beispielsweise für Frisch- und Abwasser, sind so isoliert oder direkt neben Heizungsrohren verbaut, dass sie nicht einfrieren können. Und die Außenhaut ist oft zusätzlich gedämmt. Eine dreieinhalb Zentimeter dicke Reisemobilhülle komme in etwa auf einen ähnlichen Dämmwert wie eine 80 Zentimeter dicke Ziegelwand, sagt Bernhard Kibler, Geschäftsführer beim Campingfahrzeughersteller Hymer.

Aber nicht nur dank besserer Dämmung werden die Mobile immer komfortabler. Neben Kühlschrank und Nasszelle gehören oft auch Klimaanlage und Satelliten-TV zur Standardausstattung. Rangierhilfen, Seitenwindassistent und Rückfahrkamera erleichtern den Umgang mit den langen Kisten. Und ähnlich wie Pkw-Käufer zum SUV, so greifen laut Kibler immer öfter auch Reisemobilisten zum Allradler, etwa auf Basis des Mercedes Sprinter. Mit günstigem oder spartanischem Urlaub habe Camping - zumindest im Wohnmobil und Caravan - nur noch selten etwas zu tun, sagt Daniel Rätz vom CIVD. "Man muss auf nichts mehr verzichten."

Das aber führt dazu, dass die Fahrzeuge immer schwerer werden - und die Hersteller vor Probleme stellt: Denn wer seine Fahrerlaubnis nach 1999 erworben hat, der darf in der Regel nur Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis zu 3,5 Tonnen fahren. Viele Reisemobile liegen darüber. Deshalb entscheiden sich gerade junge Kunden gern für ein Mobil aus der boomenden Klasse der Kastenwagen. Bei diesen mit Kochfeld, Bad und Bett ausgestatteten Autos etwa auf Basis eines Fiat Ducato verzichten die Hersteller auf schwere Kofferaufbauten und bleiben so meist unter der 3,5-Tonnen-Marke. Für schwerere Mobile mit voluminöseren Aufbauten (Fachbegriff: Teil- oder Vollintegrierte) benötigen junge Leute indes einen Lkw-Führerschein. Auf lange Sicht, befürchten Beobachter, könnte so die Käuferschicht für große Mobile aussterben.

Die Firmen müssen also handeln. "Unsere Antwort heißt: Leichtbau", sagt Hymer-Geschäftsführer Kibler. Seit Jahren schon verbauen die Hersteller in ihren Möbeln wabenartige Materialien mit vielen Hohlräumen. Diese sind zum einen ausreichend stabil, zum anderen auch möglichst leicht. "Das Ende der Fahnenstange ist da noch nicht erreicht", sagt Kibler.

Die Branche spürt die Auswirkungen von Dieselgate

Der Hersteller Knaus-Tabbert zum Beispiel hatte im Sommer den "Travelino" präsentiert, einen 600 Kilogramm schweren Wohnanhänger, 400 Kilo leichter als ein herkömmlicher Caravan dieser Größe. Aufgebaut ist er auf einem hochfesten Glasfaserrahmen, die Möbel bestehen teils aus dicht gepresstem Styropor. Rätz glaubt: Solche und andere Leichtbaukonzepte werden in Zukunft verstärkt zum Einsatz kommen.

Auf eine weitere Herausforderung der Zukunft suchen die Hersteller indes noch nach Antworten. Denn bislang stecken im Motorraum vieler Reisemobile Dieselaggregate; auch als Zugfahrzeuge vieler Caravaning-Anhänger sind meist Diesel-Pkw im Einsatz - allein wegen des guten Drehmoments, wie Constantin Hack vom Auto Club Europa (ACE) betont. Sollte tatsächlich irgendwann mal eine blaue Plakette den Dieseln die Einfahrt in deutsche Innenstädte verbieten, hätte die Branche ein Problem. Spricht man die Manager darauf an, zucken die meisten nur mit den Schultern. "Wir alleine können das nicht lösen", sagt Hymer-Chef Kibler. Vielmehr müssten die Hersteller der Transporter, die als Basisfahrzeuge dienen, neue Antriebe liefern - also Fiat beim Ducato, Mercedes-Benz beim Sprinter oder Ford für den Transit.

Saubere Antriebe sind noch keine Alternative

Bislang aber sind Elektro- oder Wasserstoffantriebe in der Klasse der Nutzfahrzeuge mit dreieinhalb oder gar siebeneinhalb Tonnen Gesamtgewicht selten; allenfalls haben einige Hersteller von Basisfahrzeugen noch Gasantriebe im Angebot. "Momentan hat der Kunde kaum eine andere Wahl als den Diesel", sagt ACE-Mann Hack.

Auch andere Nutzergruppen, beispielsweise Paket- und Lieferdienste, die mit den Autos in die Städte müssen, klagen, dass es kaum alltagstaugliche (und bezahlbare) Alternativen zum Diesel gibt. Die Post-Tochter DHL ist daher bei einer Firma in Aachen eingestiegen, um selbst Batterie-getriebene Lieferwagen zu bauen. Das Problem ist nur: Deren Reichweite liegt bei 60 Kilometer, das Höchsttempo beträgt 80 Kilometer pro Stunde - perfekt geeignet für Paketzusteller. Doch für Wohnmobilisten, die auch mal lange Strecken zurücklegen, ist das zu wenig.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2016/harl
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