Cadillac Evoq:Ästhetik der Technik

General Motors wird den 150 000 Mark teuren Wagen voraussichtlich 2003 auf den Markt bringen

(SZ vom 28.07.1999) Nach dem Wettlauf um internationale Märkte folgt unter den großen Automobilherstellern nun ein Wettlauf um die Sonnenplätze am Luxusmarkt. Denn dort wird das Ansehen des gesamten Fahrzeugkonzerns geprägt. Und ausgerechnet hier hat General Motors als weltgrößter Automobilhersteller Nachholbedarf.

Anfang der neunziger Jahre mischte Konkurrent Ford die Konzernkarten neu und entschied, seine europäischen Oberklassenmarken Aston Martin und Jaguar deutlicher zu profilieren. Mittlerweile arbeitet das Unternehmen zielstrebig an der Wiederauferstehung schlummernder Marken wie Daimler (zu Jaguar gehörend) und Lagonda (mit Aston Martin verbunden). Vor kurzem schlüpfte Volvo unter das Ford-Dach und wird den Konkurrenzdruck im Oberhaus mit neuen repräsentativen Produkten weiter verschärfen. Hinzu kommen die europäischen Konzerne Daimler/Chrysler und VW mit ihren Marken Mercedes und Maybach sowie Audi, Bentley, Bugatti und Lamborghini - von Rolls-Royce, dessen Adoption durch BMW vorerst nur auf dem Papier vollzogen ist, vorerst noch zu schweigen. Nicht zu vergessen die Firma Toyota, die ihren Weg mit der Marke Lexus schon länger zielstrebig verfolgt.

General Motors gehört nicht zu den Initiatoren dieser strategischen Entwicklung, und springt etwas verspätet auf den fahrenden Zug. Mit der Studie Cadillac Evoq enthüllt das Unternehmen, wie radikal anders als bisher man sich im automobilen Oberhaus einrichten will: Die Traditionsmarke Cadillac soll mit Technik- und Design-Innovationen völlig neu positioniert werden.

Das bereits zur Automesse in Detroit kontrovers diskutierte Design des Cadillac Evoq polarisiert: Während die Freunde klassischer Eleganz erschüttert wegschauen, bemühen sich aufgeschlossene Menschen, in den scharfen Linien und geometrisch klaren Flächen eine amerikanische Neu-Interpretation des dynamischen Formenvokabulars zu erkennen. Das Design sprengt alle Themen, die bisher als markentypisch galten, wenn man vom Kühlergrill absieht. Und das ist beabsichtigt, denn Cadillac-Designer möchten die Neuorientierung nach außen tragen, und Evoq-Chefdesigner Kip Wasenko erklärt: "Das Design des Roadsters ästhetisiert die Funktionalität seiner elektronischen Technik. "

Als echter Roadster mit dynamisch ansteigender Gürtellinie und scharfer Abrißkante am Heck, verwandelt sich der Evoq auf Knopfdruck in ein Coupé mit festem Dach. Da schwenkt das Kofferabteil nach Mercedes-SLK-Vorbild auf, damit das Dach seine kräftige C-Säule ausfahren kann. Die Passagiere sitzen auf bequemem Ledermobiliar und ungewöhnlich tief. Eine Notwendigkeit, um unter der extrem flach liegenden Windschutzscheibe sicher aufgehoben zu sein. Vorne unter der langen Haube brennt das aus dem Cadillac Seville bekannte V8-32V-Northstar-Triebwerk ein weitgehend ungedämpftes akustisches Höllenfeuer ab. Für den Evoq auf 4,2 Liter Hubraum verkleinert, stellt der von einem Kompressor aufgeladene Alu-Motor 298 kW (405 PS) bei 6400/min und bis zu 522 Nm Drehmoment bei 4000/min zur Verfügung. Seine Kraft sorgt für einen beeindruckenden Vortrieb.

Für die Positionierung der Marke Cadillac trägt der im 150 000-Mark-Segment angesiedelte Evoq so prestigeträchtige High-Tech-Merkmale wie ein Infrarot-Nachtsichtgerät, das Ereignisse in die Windschutzscheibe einspiegelt, die voraus, aber noch nicht in Reichweite der Scheinwerfer liegen. Michelin-PAX-Sicherheitsreifen werden erstmals an einem Auto montiert. Sie springen bei Druckverlust nicht von der Felge und können auch platt weitergefahren werden. Wo gewöhnlich die Rückspiegel sitzen, fahren Kleinstkameras aus der Versenkung und überwachen das rückwärtige Geschehen. Es wird über zwei Bildschirme in der Mittelkonsole nach innen übertragen. Selbstverständlich verfügt der Roadster über eine GPS-gestützte OnStar-Navigation, Internet-Anschluß und ein 425-Watt-Bose-Soundsystem.

Daß der Cadillac Evoq gebaut wird, steht außer Frage, wenngleich bis zur Serienreife mit kleinen Designretuschen gerechnet werden muß. Seine Design-Philosophie wird auch andere Cadillac-Modelle prägen. Wir dürfen gespannt sein, wieviel technische Eigenständigkeit General Motors dem neuen Cadillac Minivan und Geländewagen gestatten wird, die beide noch vor dem Evoq und mit markanten Designmerkmalen der neuen Cadillac-Linie auftreten werden. Denn nur eine individuelle Charakteristik auch im Antriebs- und Fahrwerkskonzept prägt die Markenidentität.

Von Jürgen Zöllter

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