Cadillac CT6 im Test:Das Überformat hat auch Vorteile

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Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Der Prestigekampf zwischen Europäern und Amerikanern findet nicht zuletzt in China statt. Dort war GM die Nummer eins, rutschte im vergangenen Jahr mit 16,7 Prozent Marktanteil aber auf Platz zwei hinter VW (17,3 Prozent). Beide Unternehmen setzen mehr als 40 Prozent ihrer weltweit verkauften Pkw in China ab. Kein Wunder, dass sich GM-Chefin Mary Barra öffentlich gegen Handelsschranken ausspricht und vor Jobverlusten warnt. Auch für Luxuslimousinen kann dieser Streit gefährlich werden, denn der größte Teil von ihnen wird in China verkauft - und für diesen Markt maßgeblich entwickelt. Autos in der Preisklasse von 100 000 Euro werden dort vor allem als Chauffeurlimousinen eingesetzt. Deshalb gibt es von Audi A8, BMW 7er, Mercedes S-Klasse sowohl Kurz- als auch Langversionen. Ein solcher Modellspagat lohnt sich aber erst bei höheren Stückzahlen.

In einem verwinkelten deutschen Parkhaus fühlen sich die Riesendinger so sperrig an wie XXL-Gummi-Flamingos in der Badewanne. Wer es nach häufigerem Rangieren über alle Rampen bis zur Ausfahrt geschafft hat, lernt die Vorteile des Überformats schätzen: Länge läuft, der CT6 fährt auch bei höherem Autobahntempo stoisch geradeaus.

Dabei müssen vier Erwachsene auf nichts verzichten - außer auf den typisch amerikanischen Komfort. Anders als die deutschen Wettbewerber ist der größte Cadillac erstaunlich straff gefedert. Er erinnert weniger an ihre Majestät, die S-Klasse, oder den BMW 7er mit seinem Rolls-Royce-Fahrwerk als an einen Maserati Quattroporte. Die niedrige Dachlinie von 1,47 Meter passt genauso gut dazu wie zu den legendären Vorbildern aus dem eigenen Hause. Auch der Sechszylinder unter der langen Haube bringt mit 417 PS die nötige Leistung mit. Aber im schnellen Kurvenslalom werden allzu sportliche Ambitionen schnell entzaubert.

Der CT6-Bug mit seinen vertikalen Lichtbändern zitiert die kantig-extrovertierten Formen der goldenen Jahre. Die Zeit der unaerodynamischen Spritschlucker ist aber vorbei. Immer neue Anforderungen an die Crash-Sicherheit und Effizienz ließen die Dinos aussterben. Mit knapp über zehn Liter Testverbrauch muss sich der CT6 3.0 TT nicht verstecken. Geschichte ist allerdings auch das sanfte Gleiten von einst. Manchmal schaltet die Automatik in den niedrigen Gängen etwas ruppig, dann dringen Schlaglöcher kaum gefiltert durch. Es ist, als ob man jedes Mal unsanft aus dem amerikanischen Traum gerissen würde.

Der Chef ging schon wieder von Bord

Vorteil der relativ straffen Abstimmung ist das präzise Lenkgefühl, das den Straßenkreuzern früher abging. Dafür beansprucht der riesige Touch-Bildschirm jetzt zu viel Aufmerksamkeit. Für kleinste Klimaveränderungen müssen sich Finger und Augen mit Mini-Symbolen abplagen. Die Ablenkung vom Straßenverkehr ist bei höheren Geschwindigkeiten ein echtes Problem.

Es stimmt schon, dass der CT6 mit der Tradition der Marke bricht und Luxus "auf ganz neue Art" interpretiert. "Er soll die Passion für das Fahren großer Premium-Automobile neu entfachen", sagte Johan de Nysschen zu Anfang des Jahres. Kritiker warfen dem früheren Audi- und Nissan-Manager vor, er habe zu viel Zeit damit verbracht, den deutschen Marken hinterherzujagen, statt sich auf Cadillacs eigene Stärken zu konzentrieren. Tatsächlich kommt der große Caddi nicht an die Fahrwerksfinesse der deutschen Wettbewerber heran. Das Bessere ist hier des Guten Feind.

Das sehen wohl auch viele Kunden so, die Absatzzahlen steigen nicht wie gewünscht. Im April ging de Nysschen im Streit von Bord. In der Autobranche kursieren Gerüchte, dass der CT6 mit fünf anderen Limousinen zu Anfang der nächsten Dekade auslaufen soll. Dann helfen auch die höchsten Zollschranken nichts mehr.

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