Süddeutsche Zeitung

Infrastruktur:Bröckelnde Brücken

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Unter der Sanierung der Rheinbrücke bei Karlsruhe litten die Autofahrer monatelang. Auch woanders sind die Bauwerke marode - weil über viele Jahre nichts getan wurde. Die Baustellen werden das Stauproblem vergrößern.

Von Claudia Henzler

Straßenbaustellen sind nervig und unbeliebt. Wenn aber nach monatelangen Staus endlich wieder alle Fahrbahnen für den Verkehr freigegeben werden, dann freuen sich die allermeisten Autofahrer über die schicke neue Straße. Für Politiker ist das eine gute Gelegenheit, auf den ganz praktischen Nutzen ihres Handelns hinzuweisen. So wie Anfang der Woche am Rhein, wo sich allerlei Politikprominenz versammelt hat, um den Abschluss der Arbeiten an einer mächtige Schrägseilbrücke zu feiern. Die Rheinbrücke Maxau, die das badische Karlsruhe mit Landau in der Pfalz über die dreispurige Bundesstraße 10 verbindet, ist der einzige Übergang zwischen den beiden Uferseiten im Umkreis von 25 Kilometern.

Selbstverständlich ist auch Steffen Bilger gekommen, er ist Bundestagsabgeordneter der CDU aus Baden-Württemberg und parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Dort gibt es noch einen zweiten parlamentarischen Staatssekretär, mit dem sich Bilger die Eröffnungsfeiern an Deutschlands Brücken, Straßen und Tunneln aufteilt: Der eine übernimmt den Norden, der andere den Süden. Nur in Bayern reist meist CSU-Minister Andreas Scheuer persönlich an. Alle drei haben momentan viel zu tun, denn der Bund hat vor fünf Jahren ein Programm für Brückenmodernisierungen gestartet, dessen Ergebnisse sich nun immer öfter in den Terminkalendern der Ministeriumsvertreter niederschlagen.

Autofahrer müssen sich auf Staus einstellen

Bund, Länder und Gemeinden müssen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mehrere Tausend Brücken ausbessern oder erneuern. Für Autofahrer bedeutet das, dass sie sich noch auf sehr viele neue Baustellen und Staus einstellen müssen. Betroffen sind vor allem die westlichen Bundesländer, wo die Infrastruktur durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den Jahren 1960 bis 1985 intensiv ausgebaut wurde. Fast alle Brücken aus dieser Zeit werden heute mit Verkehrsmengen belastet, für die sie nicht kalkuliert waren.

Fachleute teilen die Bauwerke nach ihrer Tragfähigkeit ein. Eine Brücke der Klasse 60 würde man heute im Fernverkehr nicht mehr errichten, was nicht bedeutet, dass diese Brücken zu schwach sind, um die aktuellen Belastungen zu tragen. Doch sie ermüden schneller, ihre Lebensdauer verkürzt sich. Bauwerke der Klasse 60 oder geringer machen flächenmäßig mehr als 50 Prozent des Bestands an Bundesstraßen und Autobahnen aus. Sie müssen nun sukzessive verstärkt oder ersetzt werden.

Beim Bundesverkehrsministerium stehen die langen Bauwerke über Flüsse und Täler ganz oben auf der Liste, die für den Verkehr eine besonders wichtige Funktion haben. Nicht nur die Karlsruher haben im vergangenen Jahr erlebt, wie eine Brücke zum Nadelöhr werden kann, wenn sie wegen Bauarbeiten halbseitig gesperrt werden muss. Auch zwischen Mannheim und Ludwigshafen müssen sich Autofahrer zurzeit in Geduld üben, weil dort eine der beiden Rheinbrücken wegen Arbeiten an einer maroden Zufahrtsstraße nur eingeschränkt zur Verfügung steht.

"Wir haben viel abzuarbeiten", sagt Steffen Bilger beim Besuch in Karlsruhe, "aber wir kommen voran." Wann welche Brücke saniert wird, hängt von ihrem Zustand und ihrer Bedeutung für den Straßenverkehr ab. Bei der Bewertung hilft den zuständigen Regierungsbehörden die Bundesanstalt für Straßenwesen, die Statistiken über den Zustand der Brücken führt. Die Überwachung von Brücken in Deutschland gilt als vorbildlich. Ihre Standfestigkeit wird alle drei Jahre überprüft. "Wir haben gewährleistet, dass so etwas wie in Genua mit größter Sicherheit nicht passieren kann", sagt Bilger.

Als die Rheinbrücke bei Karlsruhe eröffnet wurde, fuhren dort pro Tag 18 000 Autos und Lkws über den Fluss. Heute sind es 80 000, darunter auch schwere Sattelzüge, die es in den Sechzigerjahren noch gar nicht gab. Die 40-Tonner hatten im Laufe der Jahre tiefe Spurrinnen im Asphalt hinterlassen. Anders als die meisten Problemfälle auf der Liste des Verkehrsministeriums musste die 55 Jahre alte Stahlbrücke nicht durch einen Neubau ersetzt werden. Die Planer im Regierungspräsidium von Karlsruhe sind stolz darauf, dass sie bundesweit als Erste ein ziemlich neues Verfahren einsetzen konnten, das sie sich in den Niederlanden abgeschaut haben: Die Baufirma hat eine sechseinhalb Zentimeter dicke Schicht aus "ultrahochfestem Beton" auf die alte Fahrbahnplatte aus Stahl gegossen. Diese Betonschicht ist genauso schwer wie der Asphalt, der dort vorher lag, aber sehr viel robuster. Die Planer sprechen von einer dreimal höheren Druckfestigkeit im Vergleich zu normalem Beton. Das Wundermaterial ist nicht nur um einiges teurer, es ist auch trockener und enthält Stahlfasern, was die Verarbeitung schwieriger macht und den Einsatz von Betonpumpen unmöglich. Zusätzlich wurden Verstrebungen im Inneren der Brücke durch Stahlelemente verstärkt. 14 Millionen Euro hat das insgesamt gekostet. Nun soll die ertüchtigte Brücke weitere Jahrzehnte halten.

Reine Stahlbrücken sind selten. Gemessen an der Brückenfläche handelt es sich auf Deutschlands Fernstraßen zu 70 Prozent um Spannbetonbrücken, also um Stahlbetonkonstruktionen, bei denen die Bewehrungseisen unter mechanische Spannung gesetzt wurden, was für eine höhere Tragfähigkeit sorgt. Auf Platz zwei folgen Stahlbetonbrücken mit einem Flächenanteil von etwa 17 Prozent.

Jede Brücke ist ein Unikat

Marode Brücken gibt es natürlich nicht nur beim Bund. Auch Länder und Kommunen werden in den nächsten Jahren etliche weitere Baustellen ausweisen. So hat Baden-Württemberg bereits vor einigen Jahren ein eigenes Sanierungsprogramm begonnen, arbeitet es kontinuierlich ab und stockt dafür immer noch Personal auf. Das Land stelle den vier Regierungspräsidien jedes Jahr 50 weitere Ingenieure zur Verfügung, sagt Uwe Lahl, Amtschef im Verkehrsministerium Baden-Württemberg. Denn leider gebe es im Brückenbau keine 08/15-Sanierung. "Jede Brücke ist genau genommen ein Unikat." Selbst bei der gleichen Konstruktion können Belastungen, Schäden und Ausführungen unterschiedlich sein. Deshalb muss für jede Sanierung individuell geplant werden.

Um die Gemeinden und Landkreise bei der Erneuerung ihrer Bauwerke finanziell zu unterstützen, hat Baden-Württemberg eigens einen Fördertopf eingerichtet. In den Jahren 2018 und 2019 wurden 442 Sanierungen bewilligt. Allein im Jahr 2019 haben die Kommunen Gesamtinvestitionen von 177 Millionen Euro angemeldet. Das Land unterstützt sie mit 60 Millionen.

Dass an so vielen Stellen gleichzeitig gebaut wird, liegt auch daran, dass das Thema spät angegangen wurde. Es habe einen Sanierungsstau gegeben, räumt auch Steffen Bilger ein. So eine Baumaßnahme könne man halt in der Regel immer noch mal ein Jahr rausschieben. Und genau das habe der Bund lange getan, weil das Geld im Haushalt gefehlt habe. Nun aber investiert er pro Jahr knapp eine Milliarde Euro und verwendet dafür Einnahmen aus der Lkw-Maut, die Anfang 2019 erhöht wurde.

Bilgers nächste Brückeneröffnung steht am 9. März an. Es ist wieder ein Termin für Technik-Feinschmecker: Die neue Gumpenbachbrücke in Kornwestheim wird samt Pfeilern in die B 27 verschoben.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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