Britische Supersportwagen:Ferrari im Visier

Aston Martin will mit frischem Geld des kanadischen Investors Lawrence Stroll wieder konkurrenzfähig werden. Doch das wird nicht leicht.

Von Georg Kacher

ASTON MARTIN VALKYRIE AND VALHALLA, Copyright Aston Martin/Dean Smith

Die nordische Mythologie stand Pate bei der Namensfindung dieses Aston Martin: Valhalla - mehr Verklärung eines Supersportwagens geht kaum.

(Foto: Aston Martin/Dean Smith)

Dem 61-jährigen Kanadier im schlecht sitzenden grauen Nadelstreifenanzug sieht man es nicht an, dass er mit Modemarken wie Tommy Hilfiger jene halbe Milliarde Pfund verdient hat, die er als 20-Prozent-Beteiligung in die englische Sportwagenmarke Aston Martin und ab 2021 in seinen eigenen Formel 1-Rennstall investieren will. Das erklärte Ziel von Lawrence Stroll ist es, Ferrari auf der Piste und auf dem Boulevard mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. "Ich werde Aston zur weltweit führenden Luxusmarke machen", versprach der neue Vorstandschef bei seiner Antrittsrede, doch dieser Plan steht bislang unter keinem guten Stern. So ist der Aktienkurs binnen Jahresfrist um 80 Prozent eingebrochen, die Kapitaldecke wird fast täglich dünner, Covid-19 lähmt die Nachfrage, und die Auslieferung des eminent wichtigen neuen DBX - ein großer SUV im Stil von Lamborghini Urus und Bentley Bentayga - verzögert sich weiter. Der für das operative Geschäft zuständige Andy Palmer klingt wie ein Virologe wenn er sagt: "Wir müssen Zeit gewinnen und die Ressourcen strecken. Nach dem DBX haben die neuen Mittelmotorsportwagen erste Priorität."

2020 Barcelona February testing I CIRCUIT DE BARCELONA-CATALUNYA, SPAIN - FEBRUARY 21: Lawrence Stroll, Owner, Racing Po

Lawrence Stroll (links), Teilhaber des Racing Point F1 Teams, Sammler von Ferrari-Oldtimern und nun auch Teilhaber an Aston Martin - hier bei Formel-1-Tests mit seinem Sohn Lance im Februar dieses Jahres.

(Foto: imago images/Motorsport Images)

Wie kann es sein, dass diese Marke trotz emotionaler Produkte, Spitzendesign, beeindruckender Handwerklichkeit und Top-Image von einer Krise in die nächste schlittert? "Die Probleme sind systemimmanent und damit hausgemacht", glaubt ein Analyst, der sich in der Branche auskennt. "Nach unseren Recherchen ist jeder Aston unter dem Strich signifikant teurer als das Gegenstück von Ferrari. Das Geld, das die Firma in der Entwicklung, Beschaffung und Fertigung verpulvert, hätte sie besser in neue Technologien und effizientere Abläufe investiert." Die unter Ford-Ägide von Ulrich Bez konzipierte modulare VH-Architektur wurde von den neuen Besitzern als nicht flexibel genug befunden und galt rasch als überholt. Das Resultat: Obwohl DB 11 und Vantage die selbe Plattform nutzen, liegt der Gleichteileanteil bei nur 30 Prozent. Noch geringer sind die Synergieffekte bei den neuen Mittelmotorsportwagen Vanquish (V6-Volumenmodell, 2022), Valhalla (1000 PS starkes Hybrid-Supercar, 500 Stück, eine Million Pfund, 2021) und Valkyrie (Hybrid-Hypercar mit 1176PS starkem V 12-Saugmotor, 150 Einheiten, zwei bis drei Millionen Pfund, 2020).

2019 wurden 5809 Sportwagen made in Gaydon neu zugelassen. Doch während jeder Ferrari nach Kunden- oder Händlerspezifikation gebaut wird, produziert Aston auch Lagerwagen ohne Abnehmer. Das mag in Boom-Zeiten Sinn machen, führt in der Krise jedoch zu Bestandsspitzen. Richtig teuer wird es, wenn die Lagerware zum Modelljahreswechsel verramscht wird. Mehrere Vertragshändler bieten dann fast neue DB 11 um bis zu 80 000 Euro unter Neupreis an. Jetzt rächt es sich, dass Aston Martin zu lange allein auf die Sportwagenkarte gesetzt hat. Mit drei Modellen (Vantage, DB 11 und DBS) und zwei Karosserieformen (Coupé, Roadster), aber ohne Gleichteilekonzept kommt das Unternehmen nicht auf rentable Stückzahlen. Während Ferrari vom F 8 Tributo (Mittelmotor) über den Roma (Frontmotor) bis zum künftigen Purosangue (Crossover) alle Modelle vom selben Aluminium-Baukasten ableitet, hat der englische Patient es versäumt, seine DNA zu vereinheitlichen.

Die Eigner fanden kein Rezept gegen diesen Wildwuchs, oder haben gar nicht erst danach gesucht. Die bisherigen Hauptaktionäre - Investindustrial aus Italien und Dar aus Kuwait - hatten anfangs Kasse gemacht, dann aber den von Ford auf Vordermann gebrachten Laden weitgehend sich selbst überlassen. Die starken Männer in der architektonisch beeindruckenden Zentrale schräg gegenüber von Jaguar Land Rover (auch ein ehemaliges Ford-Gewächs) heißen Andy Palmer, Marek Reichmann und ab sofort Lawrence Stroll. Marek ist Chefdesigner und kreativer Kopf der Marke. Was er zu Papier bringt, wird auch realisiert. "Unsere Show Cars werden zu 90 Prozent in die Serie umgesetzt", sagt er. Doch das ist in gewisser Weise fatal, denn der Gestalter der wunderbaren Formen nimmt in der Regel wenig Rücksicht auf das vorhandene technische Rüstzeug. Deshalb müssen für jedes neue Modell viele Teile von Zulieferern mit hohem Aufwand speziell angefertigt werden, was die ohnehin geringe Fertigungstiefe weiter reduziert.

Diese Rechnung geht selbst bei den megateuren Kleinserienmodellen nur bedingt auf, weil mächtige Systempartner wie Red Bull (Motorsport, Windkanal), Rimac (Elektrifizierung), Bosch, Multimatic (Karosseriebau), Cosworth (V12-Motor), Michelin und Ricardo (Getriebe) den Kuchen ratzfatz zu verputzen drohen und für Aston manchmal nur die Prestige-Krümel übrig bleiben, die hoffentlich in die Marke einzahlen. Für die Rendite ist primär das Volumengeschäft zuständig, das künftig entscheidend vom Erfolg des DBX abhängt. Für den knapp 200 000 Euro teuren SUV, der bald auch als Coupé und Siebensitzer auf den Markt kommen dürfte, wurde im fernen Wales eine eigene Fertigungsstätte errichtet. Neues Modell, neues Werk, neue Belegschaft - ist das nicht zuviel Risiko auf einmal? Andy Palmer schüttelt den Kopf. "Das ist die 21. Fabrik in meiner langen Karriere als Auto-Manager. Was soll da schiefgehen? Die Abläufe sind die gleichen, Antriebsstrang und Elektronik werden montagefertig von Mercedes zugeliefert, schon die ersten 500 Autos liegen qualitätsmäßig auf dem Niveau von Gaydon."

Britischer Filz mit Teepausen und überpünktlichem Ausstempeln, so urteilt ein Ex-Controller

Keine Frage - auch der DBX ist formal gelungen, kann es von der Papierform mit der Konkurrenz aufnehmen, setzt fahrdynamische Ausrufezeichen. Doch das betagte Mercedes-Infotainment nimmt dem ohnehin freudlosen Cockpit den letzten Glanz, Innovations-Impulse sind Mangelware, von Hybridantrieb keine Spur. Ein Audi RS Q 8 oder BMW X 6M, so steht zu befürchten, kosten 60 000 Euro weniger und sind die souveräneren Autos. Ob es dem neuen Technik-Vorstand gelingt, hier nachzubessern und sich gegen die etablierten Granden Palmer und Reichmann durchzusetzen? Zweifel scheinen durchaus angebracht, denn Nick Lyons war in früheren Funktionen als Produktplaner, Werkleiter und Vertriebschef unterwegs. Ein pensionierter Controller sagt: "Aston Martin ist immer noch Teil eines fast schon inzestuösen Kreislaufs, der seit den 60er-Jahren alteingesessene englische Autohersteller und Zulieferer miteinander verbandelt. Leider bestimmt dieser von Teepausen und überpünktlichem Ausstempeln geprägte britische Filz auch die ebenso unfreie wie fortschrittscheue Unternehmenskultur."

Im Augenblick herrscht von Staats wegen Stillstand an der Banbury Road. Das schmerzt freilich nur bedingt, denn Aston ist zu klamm, um die Entwicklung des Mittelmotor-Vanquish wie vorgesehen voranzutreiben. Außerdem fehlt nach wie vor die Erkenntnis, dass die Attacke gegen Ferrari nur mit einer neuen voll variablen Matrix zu stemmen ist, die konstruktiv für alle denkbaren Applikationen vom Verbrenner bis zum E-Fahrzeug vorbereitet sein muss. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre das Ende der Dominanz des Designs über die Technik. Schließlich geht es hier um die Zukunft der Marke: neue Motor-Einbaulage, neuer Dreiliter-V 6, neues Getriebe mit elektrifiziertem Rückwärtsgang, neues Allradsystem mit elektrisch angetriebenen Vorderrädern, neu gestaltete Leichtbaukarosserie, neues digitales Bedienkonzept. Wenn dieses Modell nicht fliegt, stürzt Aston Martin ab.

Jetzt liegt es an Lawrence Stroll, das Steuer herumzureißen. Mit oder ohne Andy Palmer? "Wenn ich freiwillig hätte gehen wollen, wäre das längst passiert", antwortet Palmer. "Ich glaube fest an den Schulterschluss mit Stroll. Der Mann kennt sich aus mit Luxus, er will eine aktive Rolle übernehmen, er ist gut für Aston." Auf der nächsten Aufsichtsratssitzung Ende April soll der Zukunftsplan bis ins Detail fixiert werden. Keine leichte Aufgabe für den neuen starken Mann, der wohl ein paar Millionen Polohemden extra verkaufen muss, um die Traditionsmarke vor der achten Insolvenz ihrer 107-jährigen Geschichte zu bewahren.

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