Süddeutsche Zeitung

Brennstoffzelle bei Mercedes:Der Stoff, aus dem die Träume sind

2014 will Mercedes mit der Brennstoffzelle in Serie gehen: ein erster Erfahrungsbericht mit der emissionsfreien B-Klasse.

Georg Kacher

Beim Stichwort Brennstoffzelle winkt mancher Hersteller dankend ab: zu schwer, schlechte Versorgung, große und schwere Tanks, Energie, die erst in Strom umgewandelt werden muss.

Mercedes kennt die Bedenken, doch in Stuttgart schätzt man Vorteile wie das emissionsfreie Fahren, das drei Minuten kurze Betanken, die ansprechende Reichweite und die langfristig günstige Kostenstruktur.

"Anders als für Öl gibt es für Wasserstoff keinen Weltmarktpreis, und die rund acht Euro pro Kilo, die man heute bezahlen muss, sind noch nicht das letzte Wort", glaubt Arwed Niestroj, der bei Mercedes für das Thema zuständig ist. "Die Wasserstoff-Infrastruktur lässt zwar zu wünschen übrig", so Niestroj, "aber während batterieseitig keine Revolution in Sicht ist, steckt in der Brennstoffzelle noch Verbesserungspotential."

Die Leistung werde bis 2014 um bis zu 15 Prozent steigen, der Verbrauch weiter optimiert, Größe und Gewicht reduziert. "Unser Ziel", sagt der Entwickler, "ist es, ein Konzept zu entwickeln, das dem Verbrenner zumindest ebenbürtig ist."

Wir fahren auf der Autoroute von Lyon nach Perpignan. Die knallgrüne B-Klasse ist als Weltumkreiser auffällig beklebt, doch innen verrät fast nichts den neuen Antriebsstrang, und die Fahrleistungen verdienen das Prädikat ausreichend unauffällig.

Dieser Mercedes tickt völlig anders als seine Schwestermodelle. Die Kombination aus 1,4-kWh-Batterie und Brennstoffzelle schnurrt schwingungsfrei, das stufenlos summende Getriebe begnügt sich mit einem einzigen Vorwärtsgang, und statt dem Drehzahlmesser illustriert ein Powermeter den Takt.

In der Ebene reichen schon 20 Prozent der Systemleistung von 70 kW, um mit 100 km/h im Verkehr mitzuschwimmen. Unter Vollgas stehen kurzfristig 100 kW zur Verfügung. Weil gasförmiger Wasserstoff gezapft wird, gibt Mercedes den Verbrauch in Kilo pro 100 km an. Im NEFZ (neuer europäischer Fahr-Zyklus) reichen 0,97 kg H2/100 km.

In Diesel umgerechnet entspricht das 3,3 Liter, doch im wirklichen Leben, das durch Steigungen und Überholvorgänge geprägt ist, konsumierte das Auto bis 1,22 kg. Trotzdem reicht selbst bei konstant Tempo 130 km/h eine 3,7-Kilo-Tankfüllung für 300 Kilometer.

Im Stadtverkehr sinkt der Verbrauch, denn bei jedem Lupfen rekuperiert das System. Wer das Gaspedal streichelt, rollt erst nach knapp 400 km aus. Die Beschleunigung von null auf 100 km/h: 11,4 Sekunden.

Der Leisetreter bringt 1809 Kilo auf die Waage, das sind gut 400 Kilo mehr als ein B200 CDI. Um diese Masse nicht unnötig zu beschleunigen und abzubremsen, arbeitet die Brennstoffzelle möglichst im Bereich des optimalen Wirkungsgrades.

Spontane Wünsche nach mehr Leistung erfüllt primär die 20kW starke Batterie. Die nur selten voll geforderte F-Cell hält "ein Autoleben lang, also mehrere 100.000 km. Der Verschleiß über Laufzeit beschränkt sich auf einen Spannungsverlust von maximal zehn Prozent", so Niestroj. Die Wartung umfasst den Ölwechsel von E-Motor und Getriebe sowie den Tausch der Entionisierungs-Kartusche im Kühlwasser.

Den Preisbaustein für die Brennstoffzelle schätzt Entwicklungsvorstand Thomas Weber auf knapp 3000 Euro, was hochgerechnet auf einen Endpreis von rund 35.000 Euro schließen lässt.

"Kostenmäßig liegen wir etwa auf gleicher Höhe mit einem Euro-6-zertifizierten Diesel-Hybrid. Die Fuel Cell verbraucht aber etwas weniger, wird unter Umständen subventioniert und fährt mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff völlig emissionsfrei." Man werde diese Technik auf Basis der neuen B-Klasse schon 2014 in vierstelligen Stückzahlen produzieren.

Der Erfolg steht und fällt mit der Verfügbarkeit von Wasserstoff. Mercedes denkt gerade darüber nach, in Kooperation mit Linde im Bundesgebiet rund 50 Wasserstoff-Hubs aufzubauen, die auch Fahrern von Fremdfabrikaten die neue Technik schmackhaft machen sollen. Mit 7,3 Milliarden Euro Jahresgewinn könnte Daimler die Rolle Deutschlands als Wasserstoff-Leitmarkt vorfinanzieren.

Während unter den Gaslieferanten neben Linde auch Air Liquide, Proxair und Air Products von Anfang an global mit dabei sein wollen, buhlen bei den Herstellern GM, Ford, Toyota und Honda um eine Kooperation mit Mercedes.

Nach der gescheiterten Allianz zwischen Daimler und Ford (Ballard) könnte vor allem unter Kostenaspekten eine Partnerschaft mit Toyota sinnvoll sein. Mercedes will sich jedenfalls nicht mit 5000 bis 7000 FC-Einheiten pro Jahr zufriedengeben.

"Wir wären schlecht beraten, wenn die Brennstoffzelle nicht auch in der nächsten C-Klasse funktionieren würde. Deshalb muss es unser Ziel sein, mittelfristig die 100.000er-Schallmauer zu durchbrechen", kündigt Weber an.

Die neue B-Klasse kommt Ende 2011 auf den Markt. Weil sich das Modell vom Sandwichboden verabschiedet, müssen Brennstoffzellen-Stack, E-Motor und Leistungselektronik im Vorderwagen untergebracht werden.

Als Heimat der drei druckfesten Tanks und der Lithium-Ionen-Batterie bietet sich der modifizierte Hinterwagen an. Die Systemleistung soll in der Spitze 140 bis 150 kW betragen. "Die modulare Leistungsvielfalt, die wir vom Benziner und vom Diesel kennen, gilt künftig auch für die F-Cell", verspricht der Entwicklungschef.

Wer es lieber spritziger mag, kann statt der 1,4-kWh-Batterie ab Werk einen 5,0-kWh-Akku bestellen. Darüber hinaus ist es denkbar, drei verschieden starke E-Motoren vorzuhalten. Natürlich wird es auch eine voll rekuperierende Bremse geben, die man auf Wunsch über Paddel am Lenkrad während der Fahrt konditionieren kann.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2011/gf
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