Gotthard-Basistunnel:Sissi und die wilden Beißer

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"Der Berg ist groß und wir sind klein" - die Schweiz feiert den Durchbruch im Gotthard-Basistunnel mit ehrlicher Bewunderung und rhetorischen Glanzleistungen.

Thomas Kirchner

Man muss es Moritz Leuenberger abnehmen, dass ihm tatsächlich, wie er sagte, "das Augenwasser kommt" in diesem Moment. 15 Jahre lang hat der Sozialdemokrat und Schweizer Verkehrsminister gerungen um das Jahrhundertwerk, hat seinen Bürgern ein ums andere Mal geduldig erklärt, warum sie schon wieder ein paar Milliarden Franken drauflegen müssten (19 werden es am Ende wohl sein); wie sinnvoll es doch sei, möglichst viele Güter auf Schienen durch die Berge zu transportieren; dass es hier nicht zuletzt auch um Umweltschutz und alpine Lebensqualität gehe.

Durchstich im Gotthard-Basistunnel
:Jubel in der Rekordröhre

Nach 57 Kilometern und fast elf Jahren Bauzeit ist er geschafft: der Durchstich im Gotthard-Basistunnel. Bis 2017 soll der längste Tunnel der Welt fertig ausgebaut sein.

Die Bilder.

Und dann fällt der Berg, endlich. Es war ja auch nur noch 1,50 Meter zu bewältigen. Um 14.17 Uhr stürzt der erste große Brocken aus der Wand, im selben Augenblick kommt Sissi zum Vorschein, die Tunnelbohrmaschine der badischen Firma Herrenknecht, deren 9,40 Meter großer Kopf sich mit gemächlichen Umdrehungen durch den Fels frisst.

Durchbruch im Gotthard-Basistunnel, dem mit 57 Kilometern längsten Tunnel der Welt. Fotografen drücken Knöpfe, die Grubenwehr spritzt Wasser gegen den Staub, ein Gejuchze kommt auf unter den 200 Anwesenden, unten im Bauch des Gebirges: sehr viele Mineure - der Durchstich ist traditionell ihr Tag -, Journalisten, Politiker.

Aus Luxemburg gratulieren die zugeschalteten EU-Verkehrsminister, dann schreitet als erster der österreichische Polier Hubert Bär durch die freigebohrte Öffnung, in den Händen eine Statue der Heiligen Barbara.

Aus den Reden, die das große Ereignis einleiten, spricht ehrliche Bewunderung für die Bergleute, die jahrelang neun Stunden täglich bei knapp 30 Grad und künstlichem Licht schufteten, geplagt von Felsstürzen und Wassereinbrüchen.

Gotthard-Basistunnel
:Weiterer Durchbruch geschafft

In Rekordzeit wurde das vorletzte und 7,2 Kilometer lange Teilstück durchfräst. 133 von 153 Kilometern sind damit durchbrochen.

"Man tut das ja nicht auf einer Baustelle", sagt Renzo Simoni, Chef der Baugesellschaft Alptransit, "aber ich ziehe meinen Helm vor Ihrer Leistung." Ein Kollege von ihm holt weit aus: "Wir haben nicht nur einen Tunnel gebohrt, wir haben Geschichte geschrieben."

Gotthard-Basistunnel
:So gewaltig wie die Cheops-Pyramide

2000 Menschen, 13 Millionen Kubikmeter Schutt und Gestein, 1500 km Drahtwerk: der Gotthard-Basistunnel. Bis zu seiner Fertigstellung 2016 werden fast 25 Jahre vergangen sein. Bilder einer Jahrhundertbaustelle.

Und Minister Leuenberger, der seinem Ruf als fabelhafter Rhetoriker nicht immer gerecht wird, gelingt, bevor er Ende des Monats sein Amt abgibt, ein Satz für die Ewigkeit: "Großes haben wir gewagt, gemeinsam; Großes haben wir geschaffen, gemeinsam - weil wir wissen: Der Berg ist groß, wir sind klein."

Wer nicht dabei sein darf, schaut Live-Bilder im TV. Das Schweizer Fernsehen hat lange geübt und viel Aufwand betrieben. Den ganzen Morgen über lieferte es Reportagen aus dem Tunnel, Geschichten über die technisch wie politisch komplizierte Baugeschichte, unzählige Interviews mit Experten wie dem freundlichen Chefingenieur Heinz Ehrbar, dessen Namen inzwischen wohl jeder Schweizer kennt.

Am Ende stolpern die Fernsehleute aber doch ein wenig über die Tücke des Moments. Mehr als eine Viertelstunde Sendezeit gilt es zu füllen, nachdem sich die Bohrmaschine in Bewegung gesetzt hat. In dieser Zeit passiert, außer einem immer stärker vernehmlichen Grollen: nichts - was den Moderator nicht daran hindert, den Bauleuten im Minutenabstand peinliche Fragen nach dem Fortgang der Dinge zu stellen.

Aber Schwamm drüber. Es lebe die Schweiz! Und Glückauf für den Rest der Arbeiten!

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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