Boom der Schnellzüge:Durch Raum und Zeit

Seit einiger Zeit forcieren auch die USA den Ausbau von Hochgeschwindigkeitsstrecken. Weltweit führend ist aber jetzt schon: China.

Joachim Becker

Die Schiene ist und bleibt ein Politikum, denn bei den anhaltenden Demonstrationen in Stuttgart geht es nicht nur um den Abriss des alten Kopfbahnhofs. Der mehr als zehn Jahre schwelende Streit um das Projekt "Stuttgart 21" ist auch eine Grundsatzdebatte über die deutsche Verkehrspolitik.

ICE fährt aus Tunnel

Schnell-Zug: Vor allem die Chinesen bauen die Hochgeschwindigkeitsstrecken machtvoll aus; 16.000 Kilometer sind geplant.

(Foto: dpa)

",S 21' sollte das Vorreiter- und Zukunftsprojekt der Bahn für eine ganze Reihe sogenannter 21-er-Projekte werden", sagt Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), der den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Bundestages leitet, "nicht der unterirdische Bahnhof als architektonisches Projekt ist das Problem, sondern das Gesamtkonzept sowie die Ausrichtung der Infrastruktur auf den Hochgeschwindigkeits-Personenverkehr".

Das Doppelprojekt "S 21" und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm mit mehr als 30 Tunnelkilometern werde nach Einschätzung vieler Experten mindestens zehn, eher zwölf plus x Milliarden Euro kosten, kritisiert Hermann: "Es ist absurd, für zehn Prozent der Kundschaft Milliarden auszugeben, die man dringend zur Verbesserung des Nah- und Regionalverkehrs sowie des Güterverkehrs bräuchte."

Das ist der Grundkonflikt, der den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes seit den neunziger Jahren begleitet. Sind die europäischen Magistralen bloß elitäre Prestigeobjekte oder stellen sie die entscheidende Zukunftsinvestition in eine leistungsfähige und energieeffiziente Infrastruktur dar? Schließlich sparen modernste Schnellzüge im Vergleich zum Flugzeug rund 90 Prozent der CO2-Emissionen pro Person und Kilometer ein.

Die Frage ist, ob wir eher zu viel oder zu wenig echte Hochgeschwindigkeitsstrecken in Deutschland haben. Rund 25 Milliarden Euro hat sich die Bahn AG das "Netz 21" in den vergangenen zehn Jahren kosten lassen. Das Ergebnis sind 1300 Kilometer Neu- oder Ausbaustrecken. "Heute machen die reinen Hochgeschwindigkeitstrassen zwölf Prozent des Gesamtnetzes in Deutschland aus", bilanziert die Bundesbahn.

USA: gemächlicher Ausbau

Doch tatsächlich sind die Züge der ICE-Flotte nur auf wenigen, meist kurzen Abschnitten mit bis zu 300 km/h unterwegs. Denn statt wie in Frankreich Umgehungsstrecken um viele Städte herum zu bauen, werden die deutschen Superzüge durch das Stop-and-Go zwischen Kleinbahnhöfen zur Bummelbahn. Mit dem Ergebnis, dass der TGV für die 661 Kilometer lange Nord-Süd-Verbindung von Paris nach Marseille weniger als drei Stunden benötigt, während ein ICE für die 614 Kilometer lange Fahrt von Hamburg nach München doppelt so lang braucht.

Der TGV hat den innerfranzösischen Flugverkehr fast zum Erliegen gebracht, weil er von Tür zu Tür meist schneller ist als jedes andere Verkehrsmittel. Auch in Spanien hat sich der Marktanteil der Schiene von elf auf fast 50 Prozent mehr als vervierfacht, seitdem der Superschnellzug AVE die 630 Kilometer lange Neubaustrecke zwischen Madrid und Barcelona in 2:38 Stunden absolviert.

Bereits in den sechziger Jahren hatte der Shinkansen in Japan gezeigt, dass die Trennung des Hochgeschwindigkeitsnetzes von Nah- und Güterverkehr zum Erfolg führt - dank der hohen Reisegeschwindigkeiten vervierfachte sich die Zahl der Bahnreisenden zwischen den japanischen Hauptstädten seit 1964.

Jetzt will auch die Nation mit dem derzeit größten Ölverbrauch verstärkt aufs Gleis setzen. "Reisen wird schneller, billiger und umweltfreundlicher", kündigte US-Präsident Barack Obama Anfang dieses Jahres an, "es gibt keinen Grund, warum andere Länder Hochgeschwindigkeitsstrecken bauen können und wir nicht." Im ganzen Land sind 13 Korridore für sogenannte Bullet Trains geplant, allen voran die Verbindung zwischen Tampa und Orlando in Florida; für diese 135 Kilometer lange Verbindung hat die Regierung rund eine Milliarde Euro aus dem Konjunkturpaket lockergemacht. Von 2015 an sollen dort die schnellen Reisezüge mit bis zu 270 km/h unterwegs sein.

Weitere 1,8 Milliarden Euro fließen in den Bau einer Hochgeschwindigkeitslinie entlang der amerikanischen Westküste - mit dem 1270 Kilometer langen Mammutprojekt will Kalifornien bis 2030 rund 5,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen, immerhin ein Zwanzigstel der derzeitigen CO2-Emissionen des Bundesstaates. Mit dem jetzigen Gesamtetat von zehn Milliarden Euro werden die Kalifornier aber nicht weit kommen. Allein das 640 Kilometer lange Teilstück zwischen Los Angeles und San Francisco dürfte bereits mehr als das Dreifache kosten, haben Studien ergeben.

China: machtvoller Ausbau

Die meisten US-Amerikaner stehen dem Klima- und Konjunkturprogramm ohnehin skeptisch gegenüber. Die Weltmacht entstand zwar entlang von Schienen, doch der Sprit ist im Land der 250 Millionen Autos einfach zu billig. Auch die mehr als 8,5 Millionen Inlandsflüge pro Jahr sind oft preiswerter als das Reisen mit der Bahn - von der Zeitersparnis ganz abgesehen.

Die derzeit schnellsten Züge erreichen an der US-Ostküste ein Durchschnittstempo von knapp über 100 km/h. Von Boston bis Washington braucht der kaum zehn Jahre alte Acela Express sechseinhalb Stunden; kurvige Strecken, marode Oberleitungen und zahlreiche Güterzüge bremsen den Superzug bis auf Schneckentempo.

Wer mit der Bahn durchstarten will, muss tief in die Tasche greifen. Während Obama umgerechnet lediglich sechs Milliarden Euro für High Speed Rail spendiert, fließen jährlich fast 50 Milliarden Euro in den Erhalt der Federal Highways, der Autobahnen. Denn angesichts von 25 Millionen Bahnreisenden jährlich hat die Schiene in den USA nur eine schwache Lobby.

China wird bis 2020 dagegen mehr als 200 Milliarden Euro in schnelle Schienen investieren; das Passagieraufkommen soll sich dort auf jährlich fünf Milliarden verdreifachen. Schon heute ist das Riesenreich mit 6552 Kilometern Strecke, auf denen mehr als 200 km/h gefahren werden können, weltweit führend. Bis Ende des Jahrzehnts soll das Netz mit dann 16.000 Kilometern alle wichtigen Städte verbinden. "In den nächsten Jahren werden dort mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken entstehen als im Rest der Welt zusammen", sagt Keith Dierkx, Direktor des Global Rail Innovation Center von IBM.

Nur ein Verkehrsmittel ist in China noch erfolgreicher: Vor zehn Jahren gab es im Land gerade mal 7000 Kilometer Schnellstraße - heute haben die Chinesen mit 53.000 Kilometern das zweitgrößte Autobahnnetz der Welt nach den USA. Und jedes Jahr kommen fast 5000 Kilometer hinzu.

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