Boeing 787 Dreamliner:Büffeln bis zum Abheben

Die Ausbildung für die Boeing "787" ist ähnlich revolutionär wie das Kunststoffflugzeug selbst: Die Piloten verlassen die Schulung, ohne das Flugzeug je gesehen zu haben.

Andreas Spaeth

Auch Masayuki Ishii und Masami Tsukamoto haben mal so angefangen. Jeder 787-Piloten-Neuling fängt so an - ziemlich unglamourös: Ein paar Stellwände in einem Großraumbüro, fünf Bildschirme, zwei Tastaturen, Abbildungen von Instrumentenpanels. Aber es funktioniert: Die beiden erfahrenen Flugkapitäne der japanischen All Nippon Airways (ANA) waren die ersten Nicht-Amerikaner, die im Mai 2010 erstmals eine Boeing 787 eigenhändig am Himmel bewegen durften.

Zwei Stunden und 40 Minuten dauerte ihr Testflug mit dem ersten 787-Prototypen ZA001 über dem US-Bundesstaat Washington im pazifischen Nordwesten der USA. "Es war eine phantastische und unglaubliche Erfahrung", schwärmte Captain Ishii hinterher, "unsere Passagiere dürfen sich darauf freuen, mit der 787 zu fliegen."

Sie mussten allerdings lange warten, die Fluggäste des 787-Erstkunden ANA ebenso wie die Besatzungen, Kunden und Personal von mehr als 50 Gesellschaften weltweit, die bei Boeing den Dreamliner bestellt haben. In Deutschland ist das Air Berlin. Die Premiere des ersten Verkehrsflugzeugs aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) statt Aluminium hat sich um rund zweieinhalb Jahre verzögert.

Aber jetzt ist es soweit: Am 26. Oktober wird der weltweit erste 787-Flug mit Passagieren stattfinden, auf der Strecke von Tokio-Narita nach Hongkong. Viele der 222 Sitze an Bord des Ende September abgelieferten ersten Flugzeugs wurden für einen guten Zweck online versteigert, andere für Ehrengäste und Presse reserviert. Ob Masayuki Ishii und Masami Tsukamoto im Cockpit sitzen werden an diesem besonderen Tag will ANA noch nicht verraten.

Wie die Japaner und Hunderte andere Piloten weltweit derzeit für den Dreamliner fit gemacht werden ist hingegen kein Geheimnis. Die Ausbildung und Umschulung für das 787-Cockpit ist beinahe so revolutionär wie das Flugzeug selbst. "Die Innovationen enden keineswegs mit der Maschine, wir setzen auch ganz neue Spielregeln mit einer fortschrittlichen Abfolge an Trainingstechnologien", erklärt Sherry Carbary von Boeing Flight Services.

An fünf Standorten weltweit stehen derzeit die kompletten sogenannten Suites für die 787-Schulung bereit - in Seattle, Singapur, Tokio, Shanghai und London-Gatwick. In drei Stufen können die Novizen hier alle technischen Finessen der 787 kennen und beherrschen lernen und die Akademie schließlich mit einer gültigen Typenzulassung für das Fliegen des Dreamliners verlassen - ohne das echte Flugzeug auch nur einmal selbst gesehen oder gelenkt zu haben. Das ist derzeit auch die einzige Möglichkeit, da es noch kein Dutzend fertiggestellte Serienflugzeuge der 787 gibt.

Head-up-Display jetzt auch im Flugzeug-Cockpit

Gleichzeitig lassen sich nur so die immensen Kosten der Ausbildung gering halten und kurze Umschulungszeiten garantieren. Denn die 787 bedient sich einer hohen Ähnlichkeit (Kommunalität) ihres Cockpits im Vergleich zur größeren 777. Mit dem Effekt, dass der Übergang für einen zertifizierten 777-Piloten auf die 787 in gerade mal fünf Tagen Training zu schaffen ist. Für Piloten ohne vorherige Erfahrung auf einem anderen Typ dauert die Schulung dagegen volle 21 Tage.

Unabhängig vom 787-Prozedere warnen Experten freilich davor, dass Piloten heute generell das Fliegen von Hand und in Extremsituationen verlernen oder gar nicht erst trainieren. Ein Gremium der US-Luftfahrtbehörde FAA kritisierte kürzlich, dass sich Flugkapitäne zu sehr auf die Automatisierung verlassen und auch entsprechend ausgebildet werden, ohne in einem Notfall von Hand übernehmen zu können. Als mahnendes Beispiel gilt der Absturz von Air-France-Flug 447 im Juni 2009 mit 228 Toten. Damals waren die Piloten nicht in der Lage, mit einem Strömungsabriss fertig zu werden.

Simulationen auf drei Ebenen sind auf dem Weg ins 787-Cockpit zu bewältigen. Am Anfang steht die Arbeit am Computerbildschirm in der simpelsten Form der Cockpit-Nachbildung. Hier machen sich die Aspiranten vor allem mit den besonderen Eigenheiten der 787 vertraut. So werden im Dreamliner viele Funktionen nicht mehr mit Zapfluft aus den Triebwerken betrieben, sondern mit elektrischem Strom aus Generatoren.

Gleichzeitig gewöhnen sich die Neulinge an die übersichtliche Aufteilung ihres Arbeitsplatzes. Herzstück sind fünf große Bildschirme vor beiden Piloten mit jeweils knapp 40 Zentimeter Diagonale, die multifunktionalen Displays verfügen über eine gesamte Darstellungsfläche von 0,35 Quadratmetern, mehr als das Doppelte als in der 777. Darauf wird alles Wesentliche übersichtlich und in Farbe gezeigt. Als Neuheit sind am Boden sogar Karten des Flughafens abrufbar, auf dem die Maschine gerade rollt, mit genauer Markierung der aktuellen Position - eine wesentliche Sicherheitsverbesserung.

Die Anzahl der Instrumenteneinheiten und elektronischen Boxen im Cockpit der 787 hat sich mit nur noch zwölf gegenüber 22 in der 777 deutlich verringert. Neben ihren Knien finden die Piloten auf beiden Seiten jeweils ein kleines Display des Electronic Flight Bag, in dem Checklisten und Karten gespeichert sind, die früher kiloschwer auf Papier im Pilotenkoffer an Bord geschleppt werden mussten.

Ein herausragendes Merkmal der Vereinfachung und besseren Nutzerführung im Cockpit der 787 sind die erstmals serienmäßig eingebauten Head-up-Displays. In diese Plexiglasscheiben vor den Augen der Piloten werden per LCD-Projektion in grüner Schrift alle wichtigen Daten wie Flughöhe, Kurs und Geschwindigkeit eingespeist.

So können die Flugkapitäne ihren Blick beim Landen konstant nach draußen richten und haben gleichzeitig alle wichtigen Flugparameter vor sich, ohne zwischendurch nach unten auf die Instrumente schauen zu müssen. Anders als Airbus mit den Sidesticks hält Boeing auch bei der 787 an den konventionellen Steuersäulen fest.

Die Piloten werden für alle Eventualitäten gewappnet sein, so Boeing

Bis zu zwölf Tage dauert das Training an dieser ersten Station, dabei lernen die 787-Neulinge nicht nur Funktionen und Abläufe im Cockpit selbst kennen, sondern auch andere Aufgaben, die sich außerhalb abspielen. Zum Beispiel die Außeninspektion der Maschine vor jedem Flug, Triebwerke, Fahrgestell und Rumpföffnungen müssen stets auf Schäden untersucht werden.

Worauf dabei zu achten ist, lernen die Piloten auf virtuellen Rundgängen durch detaillierte Farbzeichnungen auf dem Bildschirm. Für Mechaniker gibt es ähnliche Ausbildungsverfahren, denn auch die Bodencrews müssen mit dem Dreamliner umzugehen verstehen und mit den Piloten auf Augenhöhe kommunizieren können.

Zweite Lernstufe ist das Umsteigen auf einen Cockpit-Simulator, der fliegen kann, sich allerdings nicht bewegt. Doch statt mit Fotos von Instrumenten bedruckte Panels gibt es im Fixed Base Trainer wirkliche Displays, Steuersäulen und Schubhebel. Ein Fluglehrer spielt den Schülern Szenarien ein, die sie bewältigen müssen. "Das ist ideal zum Kennenlernen der Instrumente und lässt die Besatzungen die gleichen Flugmanagement- und Kontrollsysteme nutzen wie im beweglichen Full Flight Simulator", sagt Sherry Carbary.

Dabei ist es viel billiger. Denn von den voll beweglichen 787-Simulatoren der französischen Firma Thales gibt es weltweit bisher gerade acht Exemplare, jeweils mehr als zehn Millionen Dollar teuer. Kein Wunder also, dass eine einzige Trainingsstunde mit mehr als Tausend Dollar zu Buche schlägt und die High-tech-Geräte auf ihren sechs Hydraulikbeinen rund 21 Stunden am Tag in Betrieb sind.

Patrick Garrigan ist scheinbar in der ganzen Welt unterwegs, obwohl er tatsächlich in London-Gatwick im Simulator sitzt. Eben ist er in Tokio-Haneda gestartet, von wo, ganz real, am 21. Januar 2012 der erste reguläre, interkontinentale ANA-Linienflug mit der 787 abheben wird - nach Frankfurt. Nach ein paar Knopfdrucken erscheint Big Ben in London, kurz darauf das Opernhaus in Sydney. Das Cockpit vibriert leicht, als er schließlich zur Landung in Seattle ansetzt.

Es ist erstaunlich, wie total sich das menschliche Gehirn von einem Simulator täuschen lässt. Die Kombination aus perfekter Visualisierung der Umgebung auf den Displays vor den Cockpitscheiben und der Choreographie der entsprechenden Bewegungen per Hydraulik täuscht die Echtheit des Erlebten perfekt vor.

"Das ist ein unglaubliches Gerät", stimmt Garrigan zu, oberster Flugtrainer des 787-Programms. Und er versichert, dass jeder Pilot, der hier fertig ausgebildet herauskommt, für alle Eventualitäten gewappnet ist - Abfangen des Flugzeuges, Feuer an Bord oder doppelter Triebwerksausfall. "Das wird ganz schön aufregend."

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