BMW X6:Liebe auf den zweiten Blick

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Der erste Eindruck ist zwiespältig. Eine Mischung aus Coupé und SUV, mit radikaler Dachlinie und leicht prolligem Auftritt - ist das wirklich die neue goldene Mitte zwischen Spaß und Status, zwischen Funktion und Emotion?

Georg Kacher

Der erste Eindruck ist zwiespältig. Eine Mischung aus Coupé und SUV, mit radikaler Dachlinie, körpernah geschnittenem Fondabteil und leicht prolligem Auftritt - ist das wirklich die neue goldene Mitte zwischen Spaß und Status, zwischen Funktion und Emotion? Nach gut 500 Kilometern im BMW X6 wissen wir, dass hier in der Tat eine ganz besondere eierlegende Wollmilchsau auf uns zukommt.

Extravagant: Der BMW X6 kombiniert Geländetauglichkeit mit Coupéform. Hinten geht es deshalb eher eng zu und die Übersichtlichkeit leidet. (Foto: Foto: BMW)

Die goldene Mitte zwischen Spaß und Status?

Der X6 ist sozialverträglicher als ein Cayenne, zeitgeistiger als eine R-Klasse und nur für die Hinterbänkler deutlich unbequemer als der vergleichsweise gesetzt-konservative X5. Könnte gut sein, dass wir hier den Vorreiter einer trendigen Fahrzeuggeneration erleben, die mit ihrem Mix aus angehobener Sitzposition und überdurchschnittlicher Dynamik auch viele kaufkräftige ältere Kunden überzeugt, ohne sie direkt anzusprechen.

Audi hatte mit dem Elevated Sports Vehicle (Studie Roadjet) ein ähnliches Konzept entwickelt und dann wieder verworfen. BMW hat sich getraut, und wenn die Münchner mit zehn Zentimeter mehr Radstand - ohne dabei die Dachkontur anzutasten - die unvermeidliche Package-Diskussion ganz pragmatisch abgefedert hätten, dann wäre ihnen wohl schon im ersten Anlauf ein Rundum-Volltreffer gelungen.

Dort, wo im X5 nie Platzangst aufkommt, zollt der X6 seiner Sportlichkeit Tribut. In der zweiten Reihe sitzt man tief und aufrecht, mit stark angewinkelten Knien und zwangsläufig gespreizten Beinen. Für eine in der Neigung verstellbare Lehne fehlt ebenso der Platz wie für eine bessere Oberschenkelauflage. Quer sitzen geht auch nicht, weil beidseits der Pobacken Ablageschalen auf ihren Einsatz warten.

Hinten zollt der X6 seiner Sportlichkeit Tribut. In der zweiten Reihe sitzt man tief und aufrecht, mit stark angewinkelten Knien und zwangsläufig gespreizten Beinen. (Foto: Foto: BMW)

Eindrucksvolle Fahrtalente

Darüber hinaus behindern die unten schmale Tür und die abfallende Dachpartie den Ein- und Ausstieg. Weitere X6-Nachteile sind die sehr hohe Ladekante und die mäßige Sicht nach hinten. Doch das war's auch schon mit der Coupé-bedingten Schelte. Vorne lebt es sich blendend, sogar besser als im X5. Das liegt an den genial-effektiven Kniepolstern, an den exzellenten Sitzen und an der weitgehend stimmigen Ergonomie. Leider kostet die Kombination aus belüftetem Komfort- und Aktivsitz in Verbindung mit den grundsätzlich aufpreispflichtigen Lederbezügen die stattliche Summe von 6430 Euro.

Weil wir gerade beim Addieren sind: Das große Navi belastet das Budget mit 4000 Euro, Adaptive Drive und Aktivlenkung schlagen mit 4590 Euro ins Kontor, für das Head-up-Display sind 1340 Euro fällig. Die Spanne der Grundpreise reicht von 55.800 Euro für den 30d (173 kW/235 PS) bis 73.800 Euro für den neuen Biturbo V8 im 50i (300 kW/ 407 PS).

Ohne Zuzahlung mit an Bord des 2,2-Tonners sind Xenonlicht, Klimaanlage, 19-Zoll-Alus und die Dynamic Performance Control DPC. Diese adaptive Drehmomentverteilung an der Hinterachse sorgt für mehr Agilität, mehr Lenkpräzision und mehr Stabilität. Auf der Teststrecke stellte der mit sämtlichen Fahrdynamik-Goodies bestückte X6 seine Talente eindrucksvoll unter Beweis: erstaunliche Spurtreue, sehr gutmütiges Fahrverhalten, flinkes Handling, bärenstarke Bremsen, reaktionsschnelle Lenkung, geringe Gier- und Wankmomente, akzeptable Seitenneigung, Top-Traktion selbst bei Nässe. Ein Übersteuern unter Last ist nur bei niedrigen Reibwerten möglich. Statt Drehmoment wegzuregeln und sich damit selbst den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist der X6 ein Meister im Umverteilen der Kräfte. Weil das in Querrichtung jetzt ebenso gut funktioniert wie in Längsrichtung, fährt sich der Wagen stets souverän auf Zug.

Wie steht es dabei um den Federungskomfort? Der X6 serviert den Feder-Dämpfer-Cocktail zwar bevorzugt gerüttelt statt gerührt, aber er tut das ohne störende Spitzen und ohne ausgeprägte Schwächen bei langsamer Fahrt oder bei groben Unebenheiten. Die meisten Kunden werden den Diesel wählen, wobei vor allem der 35d (ab 61.800 Euro) mit 210 kW (286 PS) ausgesprochen munter zur Sache geht (0-100 km/h: 6,9 Sekunden, 236 km/h, 8,3 l/100 km, 220 g CO2/km).

Konzeptschwächen treten in den Hintergrund

Doch das schärfste Suchtmittel ist ohne Frage der neue 4,4-Liter-Biturbo V8 im 50i (0-100 km/h: 5,4 Sekunden, 250 km/h, 12,5 l/100 km, 299 g CO2/km). Hier handelt es sich um einen Direkteinspritzer, der seine beiden Lader und die Katalysatoren platzsparend im V-Winkel zwischen den Zylinderbänken untergebracht hat. Von 1750 bis 4500 U/min thront auf einer konstanten Höhe von 600 Nm das mächtige Drehmomentplateau. Trotz der Soft-Turbo-Charakteristik hängt der V8 gierig am Gas, dreht klaglos bis 6500 Touren und versteht sich blind mit der Sechs-Stufen-Automatik. Apropos Automatik: Der Joystick-Wählhebel ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss, denn zwischen Stellung P und R besteht Verwechslungsgefahr.

Fazit: Wie so viele BMW-Modelle überzeugt auch der X6 bei der ersten Begegnung vor allem durch die Dynamik von Antrieb und Chassis. Wie so oft springt der Funke der Begeisterung nur mit leichtem Zeitverzug über auf das interessant positionierte Fahrzeug, das sich pro Jahr zwischen 45.000 und 60.000 Mal verkaufen soll. Wie fast immer ist es die bemerkenswerte Freude am Fahren, deren Nachhaltigkeit gewisse Konzeptschwächen wie ein paar fehlende Kubikzentimeter selten genutzten Innenraums am Ende verblassen lässt.

© SZ vom 5.4.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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