Süddeutsche Zeitung

BMW R 1100 RT / Honda ST 1100 / Triumph Trophy:Kein Tourenmotorrad verdient alleine den Lorbeerkranz

BMW und Honda liegen Kopf an Kopf im Rennen um Platz eins, die britische Triumph bleibt deutlich auf Platz drei zurück

(SZ vom 21.08.1996) Mehr als zehn Jahre war alles ganz einfach: Wer mehr als 20 000 Mark für ein Motorrad auszugeben bereit war und dafür ein vollverkleidetes Tourenfahrzeug erwartete, griff zumeist zu den BMWModellen der K-Reihe: die K-100 RT und später die K 1100 LT wurden im Lauf ihrer nun schon zwölfjährigen Bauzeit zum weltweit meistverkauften "Luxustourer". Doch wer heutzutage in punkto Kraft, Komfort und Sicherheit ein vollverkleidetes, souveränes Tourenfahrzeug erwartet, schaut auf andere Motorräder, denn das wassergekühlte Vierzylindermodell aus München bedarf der Überarbeitung (und erhält sie demnächst auch). Die Technik ist einen großen Schritt weitergegangen - was nicht zuletzt durch die neuentwickelte Konkurrenz aus eigenem Haus dokumentiert wird: Die R 1100 RT setzt in Sachen Fahrdynamik und Fahrwerksgüte neue Maßstäbe im Hause BMW - und ist auf Anhieb das 1996 meistverkaufte BMW-Modell.

Seit sechs Jahren müht sich die Honda ST 1100 mit dem Beinamen Pan European, der BMW das Wasser abzugraben - trotz hervorragender Qualitäten ist das der Honda stückzahlmäßig nicht gelungen. Diese Saison präsentiert sich die Honda dank technischer Überarbeitung der Gabel und der Ausstattung mit Radialreifen noch abgerundeter als schon bisher: Ein Kombinationsbremssystem mit ABS beschert ihr im Punkt Bremsen eine Ausnahmeposition.

Dritter Konkurrent im Kampf um die Krone der besten Tourer ist die für 1996 ebenfalls grundlegend überarbeitete Trophy von Triumph: Damit wollen die Engländer dokumentieren, daß sie auch in diesem anspruchsvollen Segment nicht nur vertreten sind, sondern Zeichen setzen - die Mischung aus Fahrdynamik und Komfort soll Kunden überzeugen. Allen drei Modellen haben wir im Rahmen einer mehr als 3000 Kilometer langen Alpentour gründlich auf den Zahn gefühlt.

Auf den ersten Blick erfreut die Triumph Trophy mit beachtlichen Qualitäten: Der 1200 Kubikzentimeter große, wassergekühlte Vierzylinder-Reihenmotor ist ein Ausbund an Kraft und zugleich sehr kultiviert. Nominell leistet das Triebwerk 72 kW (98 PS), real dürften jedoch zehn weitere Pferde an der Kette ziehen. Das Triebwerk dreht aus niedrigsten Drehzahlen ruckfrei und recht vibrationsarm hoch und erfreut durch reichlich Leistung in jedem Drehzahlbereich. Das Getriebe läßt sich präzise und leichtgängig schalten, doch ist die Abstufung mißlungen; eine gut gestufte Viergang-Schaltung mit Overdrive wäre sinnvoller als das aus den Sportmodellen übernommene Sechsgang-Getriebe. Die Fahrwerksauslegung ist dagegen gut: Die Trophy läßt sich trotz ihrer mehr als 280 Kilogramm Leergewicht auch beladen leicht durch Kuven aller Art zirkeln und vermittelt dadurch ein sehr sicheres Gefühl, wobei sich ganz erstaunliche Schräglagen realisieren lassen. Auch das Hochgeschwindigkeits-Fahrverhalten ist unter dem Strich in Ordnung. Die Dreischeiben-Bremsanlage überzeugt durch ihre gute Wirkung und Dosierbarkeit; ein ABS würde freilich die Sicherheit erhöhen.

Im Bereich Ausstattung gibt es Licht und Schatten: So setzt einerseits die Beleuchtungsanlage bislang ungekannte Maßstäbe, andererseits fehlt eine Motortemperatur-Anzeige, die Kontrolleuchten sind schlecht erkennbar, die serienmäßigen Gepäckkoffer wackeln, einen Gepäckträger gibt es nicht, eine Griffheizung ist nicht lieferbar. Die Verkleidung schützt im Bereich der Hände und Füße zu wenig vor Wind und Regen, die jetzt angebotene hohe Scheibe nervt Fahrer ab 1,80 Meter Größe durch üble Turbulenzen und stellt keine Verbesserung dar. Die Sitzposition für den Fahrer ist gut, für einen Beifahrer aber höchstens kurzstreckentauglich.

Nicht akzeptabel ist der extrem hohe Spritverbrauch: Nur auf reinen PaßAbschnitten ist die Trophy mit sechs Litern fahrbar, sobald flotte Landstraßen oder gar Autobahntempo von mehr als 150 km/h dazukommen, steigen die Werte auf acht bis mehr als zehn Liter. Bleibt als Fazit: Wenigen Positiva (Motor, Fahrwerk, Licht) stehen einige deutliche Negativa (Verbrauch, Verkleidung, Getriebe, wartungsintensiver Kettenantrieb, kein ABS, kein geregelter Kat) gegenüber. Deshalb: Platz drei.

Die Auseinandersetzung zwischen BMW und Honda verläuft diffiziler: Sowohl die nagelneue BMW R 1100 RT wie auch die Pan European können mit teils herausragenden Qualitäten aufwarten - allerdings auf jeweils unterschiedlichen Feldern. Auf dem Motorsektor setzt die Honda mit ihrem flüssigkeitsgekühlten V-4-Motor die Maßstäbe: Seidenweich läuft das Triebwerk in jedem Drehzahlbereich, ist dabei elastisch und drehwillig und zugleich ausnehmend kräftig. Die 98 PS (72 kW) sind wirklich ausreichend und vermögen die fast 330 Kilogramm wiegende Honda auf Tempo 210 zu treiben. Drehzahlorgien sind selbst für sehr flottes Vorankommen unnötig. Dank geglückter Getriebeabstufung hält sich der Verbrauch mit durchschnittlich knapp mehr als sechs Litern in sehr beachtlichen Grenzen; die Minimalwerte liegen bei 5,4 Litern, das Maximum bei nur 6,6 Litern. Deutliches Negativum auf der Motorseite: Es fehlt leider immer noch eine wirksame Abgasreinigungsanlage.

Gleichstand auf hohem Niveau

Der BMW-Vierventilboxermotor verliert gegen die Honda: Mit 66 kW (90 PS) besitzt er zwar nur geringfügig weniger Kraft, jedoch weit weniger Laufkultur; Vibrationen kommen stärker bis in die Lenkergriffe durch. Dafür zieht die BMW aus niedrigen Drehzahlen besser durch. Ein Plus ist auch der nochmals einen Tick niedrigere Verbrauch von durchschnittlich knapp sechs Litern (Minimum 5,1, Maximum 7,2 Litern) in Verbindung mit dem geregelten Kat. Auf Getriebeseite herrscht nahezu Gleichstand auf hohem Niveau, dasselbe gilt für die Bremsen. Beide Modelle besitzen hervorragend regelnde ABS-Anlagen, die der Honda ist mit zusätzlichem Integralbremssystem ausgestattet, was sich speziell beim Tritt auf das Fußbremspedal in Form extrem kurzer Bremswege bemerkbar macht: Während die BMW hier die Note eins einfährt, erreicht die Honda eine "eins plus".

Auf der Ausstattungsseite schlägt die große Stunde der BMW: Sowohl die serienmäßige Ausstattung mit Sitzhöhenverstellung, elektrisch verstellbarem Windschild, großem und stabilem Gepäckträger, Ganganzeige und vielem mehr ist außergewöhnlich gut, dazu kommen praktische, jedoch aufpreispflichtige Details wie heizbare Griffe. Die Verkleidung ist in Sachen Wind- und Wetterschutz wegweisend, der Sitzkomfort für Fahrer wie Beifahrer unerreicht, das Aufbocken fällt dank perfekter Kinematik des Ständers leicht. Größtes Manko ist die umständliche Bedienung der Koffer, sonst sind untergeordnete Punkte zu registrieren: keine zweite Rücklichtbirne, nicht narrensichere Hupenbetätigung, zu tief angebrachte Kontrolleuchten. Der Tankrucksack gefällt durch sinnvolle Details.

Die Honda-Ausstattung fällt dagegen leicht ab, ohne deshalb gravierende Schwächen aufzuweisen: Gegenüber der sehr guten BMW beläßt sie es bei der Note gut. Die Pluspunkte der Honda liegenim untergeordneten Bereich: Vorzügliche Kontrolleuchten, sinnvollere Schalter, gute Gepäckbefestigungshaken. Ein Gepäckträger ist aufpreispflichtig, eine Griffheizung nicht lieferbar, der aufpreispflichtige Tankrucksack weist Schwächen auf (zu kleines Kartenfach, Regenschutz undicht).

Die Entscheidung fällt demnach zwangsläufig auf dem Fahrwerkssektor: Hier gefällt die Honda durch sehr leichtes Einlenken in Kurven, leichte Beherrschbarkeit und in allen (Schräg-)Lagen sicheres Fahrverhalten. Der Kardanantrieb macht seine Sache perfekt. Die Federung gleicht leichte wie harte Stöße wirkungsvoll aus und macht selbt lange Strecken zum Vergnügen. Das BMW-Fahrwerk beherrscht sämtliche dieser Tugenden ebenfalls, fällt allerdings durch drei Besonderheiten auf: Die Federung spricht noch feiner an, doch wirken sich Lastwechsel auf die sonst vorzügliche Telelever-Vorderradführung aus, und in sehr engen Kurven will das beladene Motorrad tendenziell weiter in die Kurve hineinfallen als es dem Fahrer lieb ist; man muß ein wenig gegenhalten. Geht es um sehr schnelle Richtungsänderungen, ist die BMW jedoch im Vorteil, so daß die Partie wiederum unentschieden steht.

Plötzlicher Bodenkontakt

Dies kann auch als Fazit stehenbleiben - allerdings nur, wenn man als BMWFahrer ausschließen kann, mit nennenswerter Schräglage auf Bodenwellen zu treffen. In solchen Situationen neigt die BMW trotz kräftig vorgespannter Feder dazu, urplötzlich mit dem Hauptständer aufzusetzen, was je nach Intensität des Bodenkontakts mit einem Adrenalinausstoß abgehen, theoretisch jedoch auch gefährlich werden kann - in heftigen Fällen droht Sturzgefahr. Wobei unsere "Aufsetzer" auf Passagen stattfanden, die mit der Honda wie mit der Triumph ohne jegliche Anstände wie auf Schienen absolviert werden. Hier sollte BMW im Interesse der Fahrsicherheit wie des Fahrvergnügens optimierend tätig werden.

Schlußendlich demonstrieren sowohl die BMW R 1100 RT wie die Honda Pan European technologische Spitzenleistungen: Sie bieten sehr hohen Komfort und hohe Fahrsicherheit gepaart mit hoher Motorleistung und geringem Verbrauch. Wer rund 26 000 Mark ausgeben kann, hat die Qual der Wahl. Ob V4-Honda oder Boxer-BMW - der persönliche Geschmack entscheidet.

Von Ulf Böhringer

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