BMW M1:Die kühle Ikone

Autos, die das Herz bewegen: Vor 30 Jahren baute BMW den M1, den schnellsten Sportwagen im Land.

Jörg Reichle

Die Autos, die wir liebten, sahen anders aus. Bieder vielleicht, ja, kann sein, mehr Reihenhaus als Bungalow, ein bisschen Sitzecke und Kinderbett mit viel Platz für die Seele. Man erinnert sich an sie wie an Papa oder Onkel Edu. An ihr rissiges Lenkrad oder den aufgeklebten Christophorus am Armaturenbrett. Oder weil sie immer ein wenig nach dem ersten Parfüm der älteren Schwester rochen. Oder weil man als Pimpf auf der plüschigen Rückbank seine Süßigkeiten - Lollis, wollt ihr ewig kleben - in den Polstern versenkte. Autos waren das, die Käfer hießen oder Kapitän oder Rekord. Die waren wie wir.

Lodernd wie eine Rakete

Der BMW M1 war das nie. Nicht nur, weil er erst 1978 auf die deutschen Straßen losging. Da war die Kinderzeit der Generation 1950 plus ja längst vorüber. Die Käfer hießen inzwischen Golf, der Kapitän war von Bord gegangen und der Rekord hatte allen Glanz verloren. Und nicht bloß, weil Chrom aus der Mode gekommen war. Jedenfalls war dieser BMW fern und schön und so unerreichbar wie die Titelmädchen der Vogue oder zumindest wie die flachsblonde Kommilitonin zwei Semester über mir.

So änderten sich die Zeiten. Keine kuschelige Rückbank mehr. Dafür ein Design, dass uns allen die Luft wegblieb. Kühl, klar, kantig. Sachlich und trotzdem pfeilschnell schon im Stand. Und so was von flach! Sechs Jahre zuvor, 1972, hatte der BMW-Designer Paul Braq mit einer Studie dem M1 den Weg bereitet. Die hieß nicht nur Turbo, sondern hatte auch einen. Und Flügeltüren. Und vorn wie hinten hatte man den dunkelroten Lack übergehen lassen ins hell Lodernde wie eine Rakete beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Man erkannte später das Vorbild wieder, doch der Italiener Giorgio Giugiaro, unter anderem Vater des Golf, der den M1 schließlich zeichnen durfte, liebte es weniger rundlich.

Kühles Weiß

Als der neue Sportwagen im Herbst 1978 in kühlem Weiß auf dem Pariser Salon stand, war klar: Giugiaros Bekenntnis galt der Kante und den klaren Flächen. Dass er auch auf die Flügeltüren verzichtet hatte und gleich noch die Rücklichter des Sechser Coupés recycelte, werden ihm die strengen Controller in München vermutlich heute noch danken. Der M1 schlug dennoch ein, wie das seinerzeit hieß, vielleicht nicht wie eine Bombe, aber doch unerhört. Ein Porsche Carrera krebste damals ja noch bei 200 PS herum. Der BMW hatte 277 davon, hervorgebracht von einem famosen Reihensechszylinder mit 3,5 Liter Hubraum, längs vor der Hinterachse montiert. Er verdankte seine Existenz der schnöden Großserie, dankte dieser aber immerhin auch sein gutes Benehmen.

Die kühle Ikone

Der Rest war Detailarbeit. Der zweiteilige Vierventil-Zylinderkopf stammte aus den CSI-Rennmotoren, das Gemisch wurde durch je zwei Einlasskanäle in die Zylinder geführt, auch das vollelektronische digitale Zündsystem suchte seinesgleichen. Und die Trockensumpfschmierung, die das Öl auch verteilte, wenn dem Fahrer vor lauter Querbeschleunigung schon hören und sehen verging, hatten damals eigentlich nur Rennwagen. Im Grunde war der M1 das ja von Anfang an.

Mit Rennambitionen

Jedenfalls hätte es ihn ohne die Rennambitionen in München wohl nie gegeben. Der M1 sollte ja das erste eigenständige Auto der 1972 gegründeten BMW Motorsport GmbH werden, die sich bis dato mit den spektakulären 2002 und 3.0 CSI hervorgetan hatten. Nun sollte ein speziell aufgebautes Rennauto den Ruhm der Marke auch in höheren Klassen mehren. Dabei sah das Reglement der Gruppe 4 Fahrzeuge vor, von denen mindestens 400 Exemplare in 24 aufeinanderfolgenden Monaten gebaut sein mussten, die zwei Sitze hatten und äußerlich dem Serienauto ähneln sollten.

Damit war das Doppelleben vorgezeichnet - der M1 sollte nicht nur Rennauto sein, sondern auch seriöser Straßensportwagen. Um ersteres schnell auf die Piste zu bringen, schob der Chef der Motorsport GmbH, Jochen Neerpasch, zusammen mit Bernie Ecclestone die Procar-Serie an. So balgte sich 1979 und 1980 eine Horde von 470 PS starken, mit gewaltigen Flügeln versehene M1 im Rahmenprogramm europäischer Grands Prix, meist mit den trainingsschnellsten Formel-1-Piloten am Steuer mit todesmutigen Amateuren und M1-Spezialisten. Doch um die vielen Sportwagen zu bauen, reichte die Kapazität der Motorsport GmbH bei weitem nicht aus.

Massige Spalten

So entstand ein Puzzlespiel: Der Gitterrohrrahmen kam von Marchesi in Modena, die glasfaserverstärkte Kunststoffkarosse von T.I.R ebendort, Giugiaros Firma Italdesign baute beides zusammen und fügte die Innenausstattung hinzu. In Stuttgart, bei Baur, wurde schließlich die Mechanik montiert. Vielleicht liegt es an diesem Chaos, dass der M1 heutigen Qualitätsbegriffen höhnisch ins Gesicht lacht. Nicht nur, dass von Spaltmaßen bei der Kunststoffkarosse nicht wirklich die Rede sein kann, eher von massigen Spalten. Und drinnen wuchert das billige Plastik über die weite Landschaft des Innenraums wie düstere Farne im Regenwald. Es bietet dabei vagen Lebensraum für allerlei Instrumente, Kippschalter und Kontrollleuchten, die sich in den vorgesehenen Aussparungen mit sichtlicher Mühe leidlich lotrecht halten.

Die kühle Ikone

Wer sich damals für 100.000 Mark die Straßenversion des M1 leisten konnte, reiste dennoch nicht spartanisch. Es gab schon elektrische Fensterheber, die Sitze waren durchaus kommod. Nur Platz gab's wenig. Vor allem nach oben. Und die Lenkung brauchte ordentlich Kraft. Ganz abgesehen davon, dass ein Wendekreis von 13 Meter nicht unbedingt parkhaustauglich ist. Man verzeiht es dem M1 nicht weniger einfühlsam, als die Tatsache, dass man bisweilen gleich zwei der engstehenden Pedale auf einmal drückt, und ebenso, dass der Fahrer stets etwas seitlich versetzt hinterm Lederlenkrad sitzt. Doch einmal in Fahrt endet alles Hadern. Der Sechszylinder säuselt und brüllt und sirrt mechanisch, bei 5000 Umdrehungen beginnt das Gewitter. Um das zu genießen, kann man sich die 260 möglichen km/h getrost schenken.

Monströse Scheibenbremsen

Das letztlich kaum verharmloste Rennfahrwerk macht in Kurven jeden Spaß mit und die vier monströsen, innenbelüfteten Scheibenbremsen verhindern das Schlimmste. Manche der 445 gebauten M1 hat der harte Einsatz dahingerafft, wenige haben es bis in die geheizte Garage eines Sammlers geschafft. Kein Wunder, dass M1 hoch im Kurs stehen. 120.000 bis 150.000 Euro werden heute verlangt - für Exemplare mit nennenswerter Rennhistorie gehen bis zu einer halben Million über den Tisch.

Weitsichtige Markenpflege

Unverkäuflich ist aber wohl der M1, den seinerzeit Kunst-Legende Andy Warhol als eines der berühmten Art Cars von BMW mit viel Farbe in die Unvergänglichkeit beförderte. Dieses frühe Dokument weitsichtiger Markenpflege wird übrigens an diesem Wochenende im Rahmen des deutschen Grand Prix in Hockenheim zu sehen sein. Auch ein Gedächtnisrennen der Procars wird es dort geben. Mit den ganzen Verrückten von einst: Niki Lauda, Jacques Laffite und noch einige andere Bleifüße, die in die Jahre gekommen, aber nicht wirklich gealtert sind. Für ein paar Runden wird dann womöglich alles so sein wie früher.

Als der BMW M1 im Jahr 1981 eingestellt wurde, endete für den Münchner Autokonzern damit auch eine kurze Expedition in die dünne Höhenluft der Extrem-Sportwagen. Doch unter der Asche glüht die Hitze unvermindert, zumal man in der Formel 1 inzwischen selbstsicher unter den Besten agiert. Also setzte man dem M1 zum Geburtstag ein Denkmal: die Designstudie M1 Hommage, vorgestellt im April vor der Villa d'Este in Como. Die Studie zitiert das Vorbild und entwickelt die Idee weiter - vom Mittelmotorkonzept über die eigens entwickelte Farbe namens "Liquid Orange" bis hin zu den geschlitzten Scheibenrädern des Originals. Selbst das charakteristische Doppelemblem über den Rückleuchten findet sich wieder. Dass es ein BMW ist, erkennt man mühelos, nicht nur an der flachen Niere, mehr noch an den Proportionen. Eine Design-Idee mit Aussicht auf Zukunft? Vielleicht sind nur einfach die Zeiten nicht danach.

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