BMW: Mobilitätsprojekt "i":Jetzt geht's los

Ein neuer Werkstoff, ein neues Technik-Konzept, eine neue Formensprache: Mit zwei ersten Modellstudien zum grünen Mobilitätsprojekt "i" hat BMW die Ökokarten neu gemischt. 2013 beginnt die Serienfertigung.

Georg Kacher

BMW erfindet das Automobil in jenen Teilbereichen neu, in denen es um Gewichtsreduzierung, Antriebsalternativen und geändertes Benutzerverhalten geht. Auf der IAA stehen erste Studien, 2013 beginnt die Serienfertigung.

Mercedes hat Smart, aber der Name ist nur bedingt Programm, und ohne Renault als Partner wäre die Marke nach der Scheidung von Mitsubishi kaum überlebensfähig. Audi hat den A1, der nur langsam in die Gänge kommt, doch trotz guter Ansätze wie e-tron, Ultra und Connect fehlt den Bayern noch ein ganzheitliches Konzept. BMW hat Mini, aber das war den weiß-blauen Strategen nicht mutig und radikal genug. Deshalb haben sie mit BMW i ein noch spitzeres und schärferes Programm ins Leben gerufen, das von 2013 an als Submarke pro Jahr bis zu 100.000 Kunden binden soll.

Im Zuge der als Project i gestarteten Mobilitätsoffensive bleibt kein Stein auf dem anderen. Statt Metall ist Kohlefaser der dominierende Werkstoff, statt an der Zapfsäule holen sich das i3 Megacity Vehicle und das i8 Hybrid-Coupé ihre Energie aus dem Stromnetz, statt mit dem markentypischen Standardantrieb glänzt jedes i-Derivat mit einer maßgeschneiderten Antriebslösung, statt herkömmlicher Vertriebs- und Anwendungsmuster kommen innovative Konzepte wie Carsharing, Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln und Navi mit Parkraumanzeige zum Einsatz.

Mit viel Mut zum unternehmerischen Risiko hat BMW schon vor vier Jahren damit begonnen, das Rad neu zu erfinden. Das bedeutete zunächst einmal: Leichtbau. Die Alu-Schiene war bereits von Audi belegt, hochfeste Stähle brachten nicht den gewünschten Abspeck-Effekt, und der von Mercedes oder Porsche propagierte intelligente Materialmix war den Bayern nicht nachhaltig genug.

Deshalb gründete BMW 2009 ein Joint Venture mit SGL Carbon, einem damals wenig bekannten Zulieferer und Materialspezialisten. Mit einem Erstaufwand von 100 Millionen Euro entstand in der Folge ein Werk in Amerika, wo jenes schwarze Gold produziert wird, aus dem Karosseriestruktur und Anbauteile gebacken werden.

Weil in der Vergangenheit ein Monocoque aus Karbon nur für teure Sportwagen wie Bugatti, Ferrari oder McLaren als bezahlbar galt, wurde die Project-i-Rezeptur von der Konkurrenz anfangs als unrealistisch belächelt. Doch als 2010 die ersten Eckdaten bekannt wurden, schrillten nicht nur in Ingolstadt und Stuttgart die Alarmglocken.

Revolutionäres Modulkonzept

BMW hat aus dem Stand ein revolutionäres Modulkonzept geschaffen, das vom 3,50 Meter kurzen Stadtwagen bis zum 250 km/h schnellen Sportcoupé praktisch die gesamte Fahrzeugpalette abdeckt. Revolutionär deshalb, weil die i-Modelle nur zwischen 1250 (i3) und 1480 Kilo (i8) wiegen, weil mit der Heckmotormatrix der kleineren Varianten auch fahrdynamisches Neuland betreten wird, und weil mit dem LifeDrive-Konzept erstmals der Verbund aus Karbonkarosse (Life) und Alu-Chassis (Drive) gelungen ist.

Der bei BMW beschäftigte CFK-Spezialist Jochen Toepker fasst zusammen: "Karbon bietet Vorteile wie niedriges Gewicht, Top-Crashfestigkeit, tadellose Wertigkeit und hohes Leichtbau-Prestige. Gleichzeitig gilt es jedoch, Herausforderungen wie Kostendruck, Zyklenzeiten und Anlagentechnologie zu bewältigen. Ein Beispiel, das die Komplexität verdeutlich, betrifft die einsatzbedingt unterschiedliche Anzahl der Karbonfäden. Während man bei Komponenten ohne tragende Funktion mit rund 3000 Einzelfäden auskommt, sind für strukturrelevante Bauteile etwa 50 000 nötig."

Die Fertigung der i-Modelle funktioniert im Verbund zwischen Washington (SGL Carbon), Landshut/Wackersdorf (Verarbeitung) und Leipzig/München (Endmontage). Das als Gelege bezeichnete Kohlefaser-Werkstück durchläuft in der Entstehung sieben Arbeitsgänge: Zuschneiden des einfach strukturierten Vlieses oder des komplexeren Stacks, Vor- oder Umformen unter Zuhilfenahme von Wärme, Stanzen, Konfektionieren (unter Umständen in mehreren Schritten), Harzen, Härten, Beschneiden (meist mit Wasser aus Hochdruckdüsen).

Vier verschiedene Varianten bis 2017

Eine teure Tauchlackierung ist unnötig, denn Kohlefaser korrodiert nicht, und das Monocoque mit der matten, wenig ansehnlichen Oberflächenstruktur versteckt sich hinter der Beplankung mit Hochglanz-Finish. Die wenigen sichtbaren Teile - zum Beispiel die Türschweller - werden punktuell mit Klarlack überzogen. Der Project-i-Vordenker Ulrich Kranz fasst zusammen: "Durch die CFK-Bauweise kompensieren wir im Prinzip das Mehrgewicht des elektrischen Antriebsstrangs und die Lackierung ist durch den Entfall des Korrosionsschutzes erfreulich unaufwendig."

BMW konkretisiert Pläne für E-Stadtwagen i3 - IAA-Auftritt

Beim viersitzigen i3, einem reinen Elektroauto, spielt Leichtbau durch Carbon eine zentrale Rolle.

(Foto: dpa-tmn)

Jedes Project-i-Fahrzeug setzt sich aus einem Life-Modul (Aufbau) und einem Drive-Modul (Fahrwerk) zusammen, die miteinander verschraubt und verklebt werden. Die Mittelbahn des Autos mit Dach, Motorhaube und Heckklappe ist grundsätzlich in glänzendem Schwarz gehalten. Die Türen, Seitenteile und Stoßfänger werden über neu entwickelte Clips sicher mit der Karosserie verbunden. Bis 2017 will BMW vier verschiedene Varianten anbieten: i3 (das Megacity Vehicle) mit gegenläufig öffnenden Fondtüren und ohne störende B-Säulen, i8 (die Serienversion des Vision EfficientDynamics Showcars) mit 2+2-sitzigem Innenraum und vorne angeschlagenen Flügeltüren, i1 (ein als Stadtwagen konzipierter verkürzter i3, kommt 2015) mit neuartigem 2+1-Sitzlayout, i5 (verlängerter i3 mit höherem Dach, kommt 2017) mit deutlich größerem Platzangebot.

Der i3, von dem pro Jahr 30.000 Stück gebaut werden sollen, dürfte rund 45.000 Euro kosten - 20.000 Euro mehr als einst kolportiert. Für den auf 15.000 Einheiten ausgelegten i8 ist ein Preis von 100.000 Euro in Diskussion. Die angedachte 175.000 Euro teure M-Variante mit dem alten V10 ist übrigens ebenso vom Tisch wie der i8 Hybrid mit Turbo-Sechszylinder.

Der i3 startet als reines Elektroauto mit einem 170 PS starken E-Motor und einem Lithium-Ionen-Batteriekit vom Partner Bosch-Samsung. "Den Motor und die Leistungselektronik entwickeln wir selbst", verrät Ulrich Kranz. "Die Reichweite der E-Version soll im Alltag zwischen 130 und 160 km betragen. Wir werden außerdem eine Variante des BMW i3 mit Range Extender anbieten."

Als Gegengewicht zum Motor und dem stufenlosen Getriebe sitzen Batterie und Klimakompressor im Bug des Fahrzeugs, was zu einer absolut ausgeglichenen Achslastverteilung führt. Neben der unten liegenden Lenkung (Servo kostet Aufpeis) muss vorne auch ein Kühl- und Heizkreislauf untergebracht werden, der die Batterie bei Laune hält. Die Federbein-Vorderachse und die Mehrlenker-Hinterachse sind direkt an das Drive-Modul angebunden.

Das ungewohnte Heckmotor-Arrangement in Verbindung mit den schmalen 155/70R19-Reifen fahrdynamisch zu beherrschen ist "kein Problem", verspricht der Projektleiter. "Mit dem sehr niedrigen Schwerpunkt und der ausgeglichenen Gewichtsverteilung haben wir beste Voraussetzungen für ein gutmütiges und zugleich agiles Handling geschaffen. Dazu kommen klare Vorteile in Bezug auf Innenraumgröße, Wendekreis, Traktion, Längs- und Querdynamik sowie die Crash-Sicherheit."

In 7,9 Sekunden von null auf 100 km/h

Der 150 km/h schnelle i3 beschleunigt in 7,9 Sekunden von null auf 100 km/h. Obwohl der Motor aus dem Stand bis 12.000 Touren drehen kann, steht das maximale Drehmoment von 250 Nm fast ansatzlos zur Verfügung. Ab 60 km/h wird nicht mehr die volle Leistung abgerufen, um die Batterie zu schonen. Theoretisch ist eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h darstellbar, aber in der Praxis wäre das wenig sinnvoll, denn bei diesem Tempo wären die Akkus schon nach acht Minuten leer. Deswegen kommt der Rekuperation große Bedeutung zu.

Allein durch Gaswegnehmen verbessert sich die Energiebilanz um 25 Prozent. Vorausschauendes Verzögern verlängert ebenso die Reichweite wie der integrierte Freilauf, die reduzierte Reibung und der optimierte Rollwiderstand. Wenn er nicht beschleunigen oder das Tempo halten muss, mutiert der E-Motor zum Generator und lädt nach. Die aus Sicherheits- und Komfortgründen zwischen den Achsen weich gelagerten Akkus sind in Module zusammengefasst. Im Falle eines Defekts wird das schwächste Modul mit wenigen Handgriffen ausgetauscht.

Mit dem i8 will BMW beweisen, dass man Vernunft und Emotion, Ökologie und Fahrspaß sehr wohl auf einen Nenner bringen kann. Im Gegensatz zur Studie, die einen Diesel implantiert hatte, ist für das Serienauto ein Dreizylinder-Benziner vorgesehen. Das aufgeladene 1,5-Liter-Aggregat leistet stramme 223 PS. Ergänzt wird das Plug-in-Paket um einen 170 PS starken E-Motor an der Vorderachse, der aus dem i8 einen Allradsportwagen macht, mit allem was dazugehört: optimale Traktion, dynamische Drehmomentverteilung, agiles Handling.

Super-Coupé oder ultra-kompakter Stadtwagen

Die Systemleistung von 354 PS und 550 Nm bürgt für beachtliche Fahrleistungen. Der sehr knapp geschnittene 2+2-Sitzer spurtet in 4,6 Sekunden von null auf 100 km/h, muss bei 250 km/h elektronisch eingebremst werden und begnügt sich im Schnitt mit nur 2,7 l/ 100 km. Während der i8 ausschließlich als Plug-in-Hybrid mit einer Ladezeit von nur 1:45 Stunden angeboten wird, soll es den i3 später auch mit Range Extender geben. Dabei sitzt ein kleiner Benziner neben dem E-Motor an der Hinterachse. Er treibt nicht die Räder direkt an, sondern einen Generator, der seinerseits die Lithium-Ionen-Batterien bei Laune hält. Reservekanisterfunktion nennt BMW diese Hilfestellung.

Obwohl der Benzintank nur 25 Liter fasst, soll der i8 mit den Hingucker-Türen weiter als 200 km mit bis zu 250 km/h die Autobahn entlangdüsen können. Möglich macht's die ausgefuchste Connected-Drive-Elektronik, die automatisch die Lade- und Entladezyklen steuert, selbst bei hoher Leistungsabfrage jeden Boosteffekt mitnimmt und über das Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe immer wieder längere Segelphasen einstreut. Bis maximal 70 km/h fährt der Wagen rein elektrisch, bei höheren Geschwindigkeiten entweder verbrennungsmotorisch oder als Hybrid.

Wenn der Benziner schwächelt weil seine Drehmomentkurve abfällt, springt der E-Motor ein - zur Not sogar mit einem 30-Sekunden-Overboost. Was dieses Antriebskonzept nicht kann, ist Torque Vectoring, denn der Drehmomentfluss ist nur in Längsrichtung regelbar, aber nicht quer, vom linken Rad zum rechten und umgekehrt. Selbst der Torque Split in Längsrichtung ermöglicht eine dynamische Achslastverschiebung, mit der die schmalen 195/55er-Reifen im großen 21-Zoll-Format gut beschäftigt sein dürften.

Beide i-Modelle zeichnen sich durch ein klares, funktionsbetontes Design aus. Zu den bestimmenden Merkmalen gehört das markante Stream-Flow-Styling der mittig durchbrochenen C-Säulen, die durch kleine Abweiser geglättete Luftführung entlang der Räder und Schweller, der Kontrast aus glänzendem Schwarz und Wagenfarbe, die U-förmigen Leuchtkörper und das helle Blau an Niere und Logo, an dem man die i-Varianten auf den ersten Blick erkennen soll. Innen betonen drei verschiedene Farbwelten die optische Trennung zwischen Karosseriestruktur, Innenraum und technischen Oberflächen.

Der 4,66 Meter lange, 1,95 Meter breite und 1,28 Meter flache i8 will vor allem ein Statement des Fortschritts sein - wer vier Erwachsene und mehr als 150 Liter Gepäck unterbringen will, sollte sich anderswo umsehen. Auch der i3 ist mit 200 Liter kein Kofferraumwunder, aber der mit 2,01 Meter sehr breite, 3,84 Meter kurze und 1,54 Meter hohe Viersitzer bietet durch sein Tür- und Sitzkonzept hohe Variabilität, bequemen Ein- und Ausstieg, viel Kopf- und Beinfreiheit sowie eine wunderbar intuitive Bedienung, die sich selbst Elektronik-Muffeln auf Anhieb erschließt.

Egal ob Super-Coupé oder ultra-kompakter Stadtwagen: Mit der i-Philosophie hat BMW die Ökokarten neu gemischt und sich einen Konkurrenzvorsprung erarbeitet, dessen Auswirkungen sich heute noch nicht endgültig abschätzen lassen. Außerdem will man über die Risikokapital-Tochter iVentures nach dem Vorbild von DriveNow (Carsharing) zukunftsträchtige Mobilitätslösungen fördern.

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