Süddeutsche Zeitung

Blow-ups auf der Autobahn:Wenn Straßen zu Sprungschanzen werden

  • Bei heißem Wetter steigt die Gefahr von Blow-ups. Schon mehrfach sind die Fahrbahnen auf Fernstraßen in diesem Sommer aufgeplatzt.
  • 30 Prozent des deutschen Autobahnnetzes ist besonders anfällig. Das betrifft vor allem Straßen in Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
  • Obwohl es ein Warnsystem gibt, existiert eine Forschungslücke: Warum sich manche Betondecken unter starker Hitze wölben und andere nicht, kann bisher niemand mit Sicherheit sagen.

Von Steve Przybilla

Die Sprungschanze kommt mit Vorwarnung. Erst ein großes Baustellenschild, dann Tempolimits, die man sonst nur aus der Innenstadt kennt: 60 km/h, 40 km/h, am Ende weiter in Schrittgeschwindigkeit. Trotzdem ist der Aufprall beachtlich, als das Hindernis schließlich da ist. Es fühlt sich an, als fahre man ungebremst über eine Bordsteinkante. Die Stoßdämpfer ächzen, beim Herunterfahren setzt die Stoßstange auf. Gar nicht so leicht, einen Blow-up zu meistern.

Auf der A 9 zwischen Kreuz Rippachtal und Bad Dürrenberg war es am vergangenen Sonntag so weit. Bei Dauer-Sonnenschein und Temperaturen von bis zu 39 Grad kam es zu einer regelrechten Explosion der Betondecke. "Blow-up" nennt man das in der Fachsprache: ein plötzliches Aufplatzen der Fahrbahn. Seit im Juni 2013 ein Motorradfahrer dadurch ums Leben kam, ist die Öffentlichkeit sensibilisiert. Staus durch Hitzeschäden hat es im Sommer schließlich schon immer gegeben. Auf einmal war aber klar, dass eine kaputte Fahrbahn nicht nur ärgerlich sein kann, sondern mitunter tödlich.

Betonkrebs begünstigt Blow-ups

"Im jetzigen Fall waren wir vorbereitet", sagt Uwe Langkammer, Präsident der Straßenbaubehörde in Sachsen-Anhalt. Seit mehreren Jahren leiden die A 9 und die A 14 unter einer chemischen Reaktion, die landläufig als Betonkrebs bezeichnet wird. "Wenn die Fahrbahn vorgeschädigt ist, muss man bei Hitze besonders aufpassen", erklärt Langkammer. Also versetzte er Reparaturtrupps in Bereitschaft, verstärkte die Kontrollfahrten und ließ vorsorglich Temposchilder aufstellen. Zu Recht. Denn am vergangenen Sonntag hielt das Material der Belastung nicht mehr stand. Schlagartig wölbten sich die Betonfugen auf der A 9. "Am Ende mussten wir den Abschnitt voll sperren, weil die Leute sogar im Schritttempo aufgesetzt sind", sagt Langkammer.

So könnte es in diesem Sommer vielen Reisenden ergehen. Zwar bestehen rund 70 Prozent der deutschen Autobahnen aus unbedenklichem Asphalt. Doch bei einem Autobahnnetz, das knapp 13 000 Kilometer umfasst, können 30 Prozent eine ganze Menge sein. Besonders anfällig scheinen die Autobahnen in Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu sein. "Blow-ups sind gefährlich, weil sie so plötzlich auftreten", erklärt Bernhard Steinauer, emeritierter Professor und Verkehrsexperte an der RWTH Aachen. Im schlimmsten Fall könne es passieren, dass man urplötzlich "mit 100 km/h durch die Luft fliegt". Die vorerst einzige Möglichkeit sieht Steinauer darin: vorsichtig fahren.

Im August 2014 hat das Bundesverkehrministerium einen "Aktionsplan gegen Hitze-Blow-ups" aufgelegt. Die meisten Maßnahmen beschränken sich auf Tempolimits und zusätzliche Kontrollen. Außerdem sollen betroffene Stellen mithilfe von Beton-Fertigteilen repariert werden. Unterdessen testet die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) eine Software, die Spannungszustände von Betondecken erkennt. Ob das wirklich klappt, ist noch unklar, denn die Pilotprojekte laufen erst seit diesem Jahr. Immerhin: "Ein Demonstrator mit Sensorik zur Erfassung von Spannungszuständen wurde bereits im Dezember 2014 auf der A 92 (. . .) aufgebaut", heißt es in dem Aktionsplan. Die Daten würden gesammelt und ausgewertet.

Obwohl Blow-ups in aller Munde sind, existiert eine erstaunliche Forschungslücke. "In Wahrheit wissen wir vieles noch nicht", sagt Martin Radenberg, Professor für Verkehrswegesysteme an der Uni Bochum. So hätten sich Dübel und Anker von Fahrbahnen mit dünner Betondecke als besonders anfällig erwiesen. Doch warum sich manche unter starker Hitze wölben und andere nicht, könne bisher niemand mit Sicherheit sagen. Da sich das Klima - nicht zuletzt durch den Autoverkehr - wandelt, ist womöglich ein Umdenken im Straßenbau erforderlich. Könnten zusätzliche Dehnungsfugen im Unterbau helfen? Reicht eine dickere Betonschicht? Oder doch nur ein Zusatzbelag aus Asphalt? Alles Fragen, die noch offen sind.

So mancher Verkehrsteilnehmer wird da nervös. Ende Juni demonstrierten in Regensburg 70 Motorradfahrer für eine schnelle Sanierung der "lebensbedrohenden Straßen". Das wäre teuer. Wie hoch die Kosten genau sind, kann das Verkehrsministerium auf Nachfrage nicht beziffern. 2014 habe die Bast rund 640 Autobahnkilometer Strecke kontrolliert, die als Blow-up-gefährdet gelten. Passiert ist dann aber nur an wenigen Stellen etwas, zum Beispiel auf der A 92, wo Dehnungsfugen auf insgesamt 19 Kilometern eingesetzt wurden. Oder auf der A 3, wo zwischen Regensburg und Straubing die Betondecke erneuert werden musste.

Der Schwerlastverkehr hat enorm zugenommen

Andere Maßnahmen klingen eher nach Flickschusterei. Beispiel A 3: Die neu eingebauten Entspannungsbereiche werden dort "regelmäßig überprüft und bei möglichen Aufwölbungen geglättet", heißt es im Blow-up-Aktionsplan. Mit Pfusch am Bau habe das alles allerdings nichts zu tun, vermutet Straßenbau-Experte Radenberg. "Man darf nicht vergessen, dass die Belastung durch den Schwerlastverkehr enorm zugenommen hat." Auch das Argument, im heißen Südeuropa gebe es keine Blow-ups, lässt Radenberg nicht gelten: "Dort wird vor allem mit Asphalt gebaut, der aber andere Schwächen hat." Er weicht bei starker Hitze auf, wodurch sich Spurrillen bilden können.

Solange es kein Patentrezept gegen Blow-ups gibt, bleibt also ein Restrisiko, so wie überall im Straßenverkehr. Dabei hat das neuerliche Interesse an den Wölbungen durchaus etwas Gutes: Im ganzen Land sind die Fahrzeuge der Straßenbaubehörden unterwegs, um Blow-ups schnell zu entdecken. Dabei fällt mit Sicherheit auch so manch anderer Schaden auf - und wird hoffentlich schnell geflickt, bevor die Reisewelle losrollt.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2015/harl
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