Süddeutsche Zeitung

Oberlandesgericht Frankfurt:Polizei muss wieder selbst blitzen

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Tempomessungen durch private Dienstleister sind rechtswidrig, in Hessen erhält deshalb ein Raser zehn Euro Bußgeld zurück. Sind auch andere Knöllchen ungültig?

Von Thomas Hummel

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt veröffentlichte am Dienstag eine Mitteilung mit folgender Überschrift: "Keine Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister - Bußgeldbescheide rechtswidrig." Im Land der schnellen Autos führt so eine Meldung zu spontanen Glücksgefühlen. Beim unverbesserlichen Raser genauso wie bei Leuten, die im Baustellengebiet der Autobahn kurz nicht aufgepasst oder es nicht rechtzeitig über die dunkelgelbe Ampel geschafft haben. Die Bild-Zeitung titelte mit ganz großen Buchstaben: "Knaller-Knöllchen-Urteil." Geld zurück vom Staat? Ist die Anti-Strafzettel-Euphorie berechtigt?

Das hessische OLG beschäftigte sich mit einem Fall aus der Gemeinde Freigericht an der Grenze zu Bayern. Dort klagte ein Autofahrer gegen seinen Bußgeldbescheid über zehn Euro wegen zu hohem Tempo und bekam nun Recht. Grund: Der Mann, der die mobile Geschwindigkeitsmessung durchführte, war nicht bei den Ordnungsbehörden der Gemeinden Freigericht und Hasselroth angestellt, sondern bei einer privaten GmbH. Dies sei gesetzeswidrig. Das OLG stellt fest: "Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage." Der rasende Autofahrer erhält seine zehn Euro zurück.

Beim Internetportal geblitzt.de melden sich nach Angaben des Betreibers, der Firma Conduka, pro Tag 300 bis 500 Menschen, die sich erkundigen, ob sie gegen ihren Bußgeldbescheid vorgehen können. Nach dem Entscheid des OLG Frankfurts frohlockte Geschäftsführer Jan Ginhold: "Damit hat die zunehmende Praxis private Firmen zur Erbringung staatlicher Aufgaben, wie der Verkehrsüberwachung einzusetzen, einen Dämpfer erhalten." Da diese Auslagerung, neben Hessen auch in Bayern, Brandenburg, Sachsen, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen verfolgt werde, habe diese Einzelfallentscheidung bundesweiten Signalcharakter.

Signalcharakter hat es tatsächlich. Aber aktuell nur für die hessischen Kommunen. Aus dem Ordnungsamt in Freigericht heißt es, es habe den betroffenen Mitarbeiter längst tarifgebunden angestellt. Allerdings sei es auch in den umgebenden Gemeinden gängige Praxis, das Blitzer-Geschäft externen Mitarbeitern zu überlassen. Vermutlich um Kosten einzusparen. Diese Kommunen müssen nun allesamt eine dafür ausgebildete Person anstellen, um die Tempomessungen weiterhin durchzuführen. Es könnte also sein, dass in Hessen erst mal weniger geblitzt wird.

Und Geld zurück vom Staat? Das "Knaller-Knöllchen"-Urteil betrifft ohnehin nur Hessen, weil jedes Bundesland eigene Regeln aufstellt. Und selbst dort dürfen nur die ganz krassen Raser auf Erstattung ihres bereits bezahlten Bußgeldes hoffen. Die Wiederaufnahme ist erst ab einer Strafe von mehr als 250 Euro gestattet. Das bedeutet: außerorts mit dem Pkw mehr als 61 Kilometer pro Stunde zu schnell, innerorts mehr als 51. Ein Sprecher des ADAC betont: "Das betrifft vermutlich niemanden, oder nur eine Handvoll Leute."

Alles andere sind Bagatellfälle, diese wieder aufzurollen, sei äußerst schwierig, erklärt Gerhard Hillebrand, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein. Wer ein Fahrverbot aufgrund zu schnellen Fahrens absitzt, dem rate er, bei den Justizbehörden eine sogenannte Gnadenentscheidung zu beantragen.

Für die Gemeinden Freigericht, Hasselroth, Brachttal und Nidderau, wo der betreffende Mitarbeiter agierte, erklärte das OLG "sämtliche Verkehrsüberwachungen ... mindestens seit dem 23.03.2017" für unzulässig. Doch auch ist unsicher, ob ein Gericht den Bußgeldbescheid für nichtig erklärt. Bei laufenden Verfahren können sich Betroffene allerdings erkundigen, ob alles mit rechten Dingen zuging. Da ein ordnungsgemäßer Blitzer von einem privat betriebenen äußerlich nicht zu unterscheiden ist, müssen Betroffene einen Anwalt engagieren, der Akteneinsicht beantragt.

Das Oberlandesgericht verhandelt demnächst ein Verfahren zur Parkraumüberwachung. Die Stadt Frankfurt am Main setzt bei der Suche nach Falschparkern teilweise ebenfalls auf externe Dienstleister und bleibt das OLG bei seiner Linie, dürfte auch dies rechtswidrig sein. Die Dimension ist hier wesentlich größer: Allein im Jahr 2018 gab es hier 600 000 Parkverstöße. Das Urteil wird "in den nächsten Monaten" erwartet.

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