Süddeutsche Zeitung

Blick in die Zukunft:Appetitanreger für den Automarkt

Mit spektakulären Designstudien zeigen Autobauer oft ihre Visionen für die Mobilität von morgen. Doch die futuristischen Fahrzeuge erfüllen noch ganz andere Zwecke.

Von Fabian Hoberg/dpa

Sie sehen aus wie aus einem Science-Fiction-Film, bewegen sich krebsartig seitwärts oder können sogar fliegen - spektakuläre Autostudien sind die Hingucker auf jeder Automesse. Sie lassen in die Zukunft der Mobilität blicken. Oder sind es nur Spielereien und Fingerübungen für Designer? "Autos haben eine Entwicklungszeit zwischen drei und vier Jahren", sagt Paolo Tumminelli, Designprofessor von der TH Köln. Ein knackiges Konzeptauto überbrücke oft die Wartezeit, baue Spannung auf und erzeuge Aufmerksamkeit.

Studien können dabei zeigen, "was technisch und optisch möglich ist", ergänzt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Außerdem testen Hersteller die Reaktion des Publikums - um daraus Schlüsse für die Serie zu ziehen. Studien zeigten dem Publikum Modelle, "die in ähnlicher Form später auf den Markt kommen, auch wenn einzelne Elemente nie serienreif werden".

Werden Kunden enttäuscht?

Doch "dummerweise sehen solche Studien meist viel besser aus als das spätere Serienfahrzeug", sagt Tumminelli. "Das ist schade, denn die Erwartungen des Publikums werden nicht ganz getroffen - obwohl allen klar ist, dass sich viele Designlösungen nicht für die Serie realisieren lassen." Manche Studien präsentieren eine neue Designlinie. Das passiere etwa dann, wenn ein neuer Chefdesigner berufen wird oder eine Marke ihr Design auffrischen will. Und letztlich gebe es Dreamcars: visionäre Fahrzeuge, die mitunter sogar schwimmen oder fliegen können. Diese sind zwar weit von der Realität weg, aber sie demonstrieren, was einmal möglich sein könnte.

Die Art der Autostudien hat sich über die Zeit geändert. In den Siebzigerjahren lag der Schwerpunkt auf Sicherheit, in den Achtzigern auf Aerodynamik, in den Neunzigern auf Tradition. Seit einigen Jahren drehen sich Konzeptfahrzeuge oft um Elektromobilität und um autonomes Fahren.

Wenn Studien zu spacig aussehen, Sitze und Rückhaltesysteme ebenso fehlen wie Türen, haben sie kaum Chance auf eine Serienproduktion. Dann sollen sie lediglich eine Vision wie beispielsweise Mobilität in der Stadt in der Zukunft sein. Zu solchen visionären Studien zählen etwa Audi AI:ME, Renault Trezor oder Toyota ME.WE.

Für Autobauer sind Studien Appetitanreger und Botschafter. "Diese Studien lehnen sich an spätere Serienfahrzeuge an und sollen Lust auf das neue Auto machen", sagt Daimler-Chefdesigner Gorden Wagener. Studien können eine Vision zeigen, um eine neue Botschaft zu transportieren. Mit der vor Kurzem vorgestellten Vision AVTR geht Mercedes in Richtung Nachhaltigkeit: ein Auto, das sich wie ein Organismus verhält, das sich mit allen Sinnen erfahren lässt, Technik und Nachhaltigkeit zusammenführen will und aus recycelbaren Materialien besteht. Die Botschaft: Bis 2039 möchte Daimler seine Autos CO₂-neutral produzieren. Ob das klappt?

"Showcars sind für uns Wow-Cars, irrationale Fahrzeuge, die designorientiert sind und keinen direkten Serienbezug haben, dafür aber viel Aufsehen erregen", sagt Wagener. "Außerdem erarbeiten wir Designer uns damit neue Inspirationen, denn wir blicken bis zu zehn Jahre in die Zukunft." Dadurch werde die Kreativität gefördert - was auch auf Serienfahrzeuge abstrahlt. Wagener sagt: "Expressive Wow-Cars überziehen zwar, aber auch hier müssen die Proportionen stimmen, das Fahrzeug muss schön und sexy aussehen."

Hohe Entwicklungkosten

So ein Projekt kostet viel Geld, je nach Modell zwischen einer halben und einer Milliarde Euro. Darin enthalten sind Entwicklungskosten, Konstruktion, Produktionsanpassung und das Design. "Der Designbereich ist zwar klein, aber immens wichtig", sagt VW-Chefdesigner Klaus Bischoff. Bei VW arbeiteten etwa 400 Designer mit mehr als 10 000 Ingenieuren und müssten zunächst intern und später die Kunden von einem neuen Design überzeugen. "Erlebbare Studien sind ein wichtiges Instrument für das Unternehmen, um alle Beteiligten vom künftigen Produkt zu überzeugen", sagt Bischoff. "Wir nehmen die Reaktionen auf und entwickeln die Studien bis zur Serie weiter."

Wurden früher vermehrt Design-Utopien gezeigt, besinnt sich VW nun auf bodenständiges Design mit einem konkreten Produkthintergrund. Jede Studie beziehe sich auf ein konkretes Projekt. "Unsere Showcars liegen dicht an Serienfahrzeugen. Sie sind wie ein Polarstern, der den Weg weist, wohin die Reise geht."

Bei Studien können Designer alles ausprobieren und hoffen, dass sie mit den Ideen das gesamte Team überzeugen können. "In Abstimmung mit den Ingenieuren und Anpassung an die gesetzlichen Bestimmungen bleiben ausgefallene Ideen dann oft den Studien vorbehalten", sagt Bischoff. Einzelne Themen können aber der Serie vorweggenommen werden. Die vor fast einem Jahrzehnt erstmals gezeigten digitalen Außenspiegel mit Kameratechnik beispielsweise gibt es jetzt im neuen Audi E-Tron. Und Fahrzeuge der elektrischen ID-Reihe kündigen seit 2016 verschiedene spätere Serienmodelle an. Das erste davon ist der ID3, der in diesem Herbst kommt.

Manchmal benötigt es etwas mehr Zeit, bis eine Studie als Serienfahrzeug umgesetzt wird. Die Arbeiten am ID Buzz etwa sind für Bischoff die Fortsetzung einer fast 20 Jahre langen Entwicklung. "Wir wollten den historischen Bulli aus den Fünfzigerjahren wieder aufleben lassen", sagt Bischoff. Mehrere Studien wie beispielsweise der Microbus von 2001 entstanden. "Doch gesetzliche Bestimmungen wie Fußgängerschutz ließen keine Serienfertigung zu." Erst jetzt, mit einer neuen Plattform, gelingt es. Von 2022 an soll der VW ID Buzz verkauft werden.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2020
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