Blech der Woche (80): Standard Vanguard:Sportwagen im Zweireiher

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Der britische Standard Vanguard nahm einst sogar an der Rallye Monte Carlo teil. Thomas Detzner nennt eines der raren Exemplare sein Eigen.

In der Serie "Blech der Woche" stellt die Redaktion von sueddeutsche.de Old- und Youngtimer vor - frei nach den Motti: Alte Liebe rostet nicht, oder: Liebe geht durch den Wagen. Schließlich ist die Beziehung von Mensch und Maschine eine unendliche Geschichte voller Leidenschaften.

Sieht so harmlos aus, nahm aber erfolgreich an der Rallye Monte Carlo teil: Standard Vanguard (Foto: Foto: Carsablanca)

"Viele können einfach nicht verstehen, wie ich mit dem Auto umgehe", sagt Thomas Detzner mit einem leicht entschuldigenden Unterton. "Neulich, bei einer Rallye, haben die Leute wieder ganz schön blöd geguckt und immer, wenn ich im Rückspiegel aufgetaucht bin, wohl gedacht: Da kommt er wieder, der Verrückte..." Es klingt, als sei es die behutsame Vorbereitung auf einen mutwillig herbeigeführten Alptraum. Denn der Pfälzer ( Vanguard) fährt den einzigen Standard Vanguard III Deutschlands. Ein weiterer existiert noch in Schweden, einer in Australien, und im Herkunftsland Großbritannien gibt es wohl auch noch ein oder zwei Exemplare.

So ein seltenes Stück fasst man doch wohl mit Samthandschuhen an, oder? Was Detzner wirklich meint, zeigt sich schon nach wenigen Metern: Der Vanguard will nicht so bewegt werden wie er aussieht: vernünftig, lahm, bieder. Mittelklässlerisch eben. Nein, er ist vielmehr ein Wolf im Schafspelz, der seine unwissenden Dompteure zum Bauchkraulen verleitet, während er eigentlich die Zähne fletschen, böse knurren und sich mit heiserem Gebell freie Bahn schaffen möchte.

Sein Besitzer lässt ihm diesen Spaß - und sich selbst freilich auch. Die rote Nadel im nachgerüsteten Drehzahlmesser zeigt auf 5000 Touren, und mit einem Kopfnicken in Richtung der Anzeige stellt er nur trocken fest: "Den Motor kann man bedenkenlos so hoch drehen und mit den Dell'Ortos geht er ja auch einfach verdammt gut, also warum nicht?" Was er dann folgen lässt, ist ein sanfter Tritt aufs Gaspedal, begleitet von kernigem Gebrüll aus der Motorgegend und beeindruckendem Vorschub.

Blech der Woche (80): Standard Vanguard
:Sportwagen im Zweireiher

Der britische Standard Vanguard nahm einst sogar an der Rallye Monte Carlo teil. Thomas Detzner nennt eines der raren Exemplare sein Eigen.

Ein Sportwagen? Ein Blick auf Marken- und Modellgeschichte zeigt, warum der Gedanke gar nicht so abwegig ist: Seit 1903 tat sich die Marke Standard auf dem britischen Automarkt um. Ihr Gründer, Reginald Walter Maudslay, hatte keinen geringeren Anspruch als beispielhaft zuverlässige Fahrzeuge zu bauen - automobilen Standard eben.

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Nach überstandenem Zweiten Weltkrieg blieb der Firma mangels Alternativen zunächst nichts anderes übrig, als den Kleinwagen Eight und das größere Modell Twelve aus Vorkriegstagen wieder aufzulegen. Noch 1945 übernahm Standard die darbende Triumph Motor Company, was für mehr Produktionskapazität sorgte.

1948 ging es dann einen Schritt voran und zwei zurück, denn als nunmehr einziges Modell im Programm trat der Vanguard auf den Plan. Er besaß eine moderne, aber pummelige Stromlinienform, ganz nach amerikanischem Vorbild (dem russischen Pobeda übrigens nicht unähnlich). Dieser im Nachhinein "Phase I" genannte erste Vanguard besaß einen 2,1 Liter-Motor mit 69 PS und klopfte damit an die Tür zur oberen Mittelklasse. Sie stand ihm weit offen: Bis 1953 wurden knapp 175.000 Stück gebaut. In jenem Jahr wurde der Phase II eingeführt, der bereits mit zeittypischer Pontonform und einigen technischen Innovationen daherkam. Als erster britischer PKW mit serienmäßigem Dieselmotor ging er in die Geschichte ein.

Nach ungefähr 81.000 Exemplaren war 1955 auch seine Zeit vorüber und zur Londoner Automobilausstellung wurde schließlich der Standard Vaguard III vorgestellt. Die altmodische Rahmenbauweise hatte nun endgültig einer selbsttragenden Karosserie Platz gemacht, es gab Einzelradaufhängung rundum, vorne an Schrauben-, hinten an Halbelliptik-Blattfedern. Lockheed lieferte eine damals vorbildliche, hydraulische Bremsanlage, Laycock-de Normanville einen optionalen Overdrive.

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Der Wagen blieb dennoch hinter den Erwartungen zurück: Von jenem offiziell "20S-III" bezeichneten Typ verließen nur 22.586 Stück die Werkshallen in Coventry. Ab 1956 war dann neben einem Estate auch noch der Sportsman zu haben, der, bestückt mit zwei SU-Vergasern, aus dem bewährten Motor nunmehr 91 PS zu Tage förderte und eine geänderte Frontpartie aufwies. Nach einigen Retuschen lebten Name und Karosserieform noch 1961 bis 1964 im Vanguard Six weiter (2-Liter-Sechszylinder, 81 PS), bevor die Personenwagenfertigung endgültig an Triumph übergeben wurde und der Name Standard verschwand. Was bleibt, ist eine Fußnote der Automobilgeschichte.

Der Vanguard heute: Von "'Is des 'n Trabi?' über 'Opel Rekord' bis 'Fiat' hab' ich schon alles gehört", lacht Thomas Detzner. Und schüttelt trotzdem gleich darauf den Kopf: "Kein Mensch kennt das Auto hier, nicht mal die Triumph-Leute selbst. Die schauen mich mit großen Augen an, wenn ich erzähle, dass ich ja auch sowas ähnliches wie sie fahre und dann den Namen meines Autos erwähne..."

Vielleicht sieht er einfach zu vertraut aus, als dass sich ein Exot in ihm vermuten ließe. Schon gar keiner aus England, denn das Lenkrad hat er ja am rechten, Verzeihung, linken Fleck. 1956 an die Firma Nordisk Diesel S/A in Kopenhagen (heute einer der größten BMW-Händler Skandinaviens) ausgeliefert, ging der Wagen zunächst an einen Bauer, der ihn nach 30 Jahren und einiger Scheunen-Ruhezeit an einen Deutschen veräußerte. Der verkaufte ihn offenbar nach Holland weiter, von wo aus er irgendwann zurück nach Deutschland gelangte und schließlich mit einem Bremsenleiden bei einem Händler strandete.

Unser Pfälzer Oldtimerfreund hatte Glück: "Mir wurde das Auto 2007 zu einem sehr günstigen Preis angeboten. Der Haken war nur: Weder ich noch der Verkäufer wussten, ob das Bremsen-Problem zu lösen war. Ich habe trotzdem zugeschlagen, und hatte dank früherer Kontakte aus TR3-Zeiten schon nach zwei Wochen alles beisammen, um ihn wieder auf die Straße zu bringen", so Detzner. "Seit dieser Zeit fahre ich ihn in den Sommermonaten, übrigens pannenfrei, und die Winter nutze ich nun immer, um nach und nach Reparaturen durchzuführen. Als nächstes sind die Türdichtungen dran. Schon bei der ersten Ausfahrt mit einem Kumpel geriet das Auto in einen Platzregen, und wir haben uns nasse Füße geholt ... "

Generell ist die Teilesituation harmlos: Alles, was den Motor betrifft, teilt er sich sowieso mit den frühen Triumph TR und mit ein bisschen Sucharbeit lassen sich viele Gleichteile bei anderen Herstellern finden. "Was die erwähnten Dell'Ortos betrifft, so könnte ich sie problemlos wieder gegen SU-Vergaser tauschen. Der Wagen hat derzeit sicher mehr als 80 PS; da aber alles funktioniert und ich gerne Rallyes fahre, sehe ich keinen Grund, irgendetwas zu ändern. Verhätschelt wird das Auto bei mir eh nicht!"

Erstaunlicherweise tut Rallyepilot Detzner mit seinem bourgeoisen Boliden nichts anderes, als die Tradition "seiner" Marke weiter zu pflegen. 1956 nahmen ganze sechs Vanguard an der Rallye Monte Carlo teil, wovon nur zwei ausfielen. Rallye-Pilot Maurice Gatsonides (war 1953 Monte-Gesamtsieger) holte zwei Klassensiege und wurde Gesamt-Achter!

So formulierte ein Werbefilm pathetisch und doch wahr: "Any car which can finish the Monte Carlo Rallye is a car well designed, well made, well driven and well navigated." Automobiler Standard eben. Und wenn der nunmal so aussieht, dann seien Sie ganz beruhigt, Herr Detzner: Wir verstehen Sie voll und ganz.

Standard Vanguard Phase III: Bauzeit 1954 - 1958; Zylinder: 4; Hubraum: 2088 ccm; Leistung: 80 PS; Höchstgeschwindigkeit 130 km/h; Verbrauch: ca. 11 Liter / 100 km

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