Süddeutsche Zeitung

Blech der Woche (7): Lancia Gamma Coupé, 1976:Die Diva

Das Lancia Gamma Coupé ist von betörender Schönheit, kann seinen Besitzer aber mit zahlreichen Marotten schnell in die Verzweiflung treiben. Dietmar Frensemeyer hat sich auf die turbulente Affäre eingelassen.

Der Lancia Gamma ist bekannt dafür, dass er kracht und klappert, dass er sich selbst zerstört bei Motor, Blech und Interieur. Und dann diese zweifelhafte Verarbeitung - bei einem Auto, das bei seinem Start in Deutschland 1976 so viel kostete wie ein Achtzylinder-SL von Mercedes mit Spritgeld für 20.000 Kilometer im Handschuhfach ...

Das Problemkind

In Wahrheit aber steckt hinter all diesen Maleschen ein grandioses Auto, man muss nur lange genug suchen. Dietmar Frensemeyer hat genau das getan (alfalancia) und das tolle Fahrzeug im Lancia Gamma gefunden: "Neulich erst war ich in Apulien, das sind knapp 4000 Kilometer hin und zurück, die hat er so sanft und kraftvoll abgespult wie sich das gehört für einen Lancia. Und so zuverlässig. 180 km/h Dauertempo, ohne weiteres. Der Gamma ist das optimale Langstreckenauto."

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass der Gamma seinen katastrophalen Ruf natürlich nicht zu Unrecht trägt - er kann seine Besitzer in die Verzweiflung treiben. Vor Dietmar Frensemeyers Apulien-Trips lagen Jahre der liebevollen, geduldigen Zuwendung. Wie bei einem Problemkind.

Am Anfang stand die Begeisterung für ein schönes Auto. Frensemeyer entdeckte das Gamma-Coupé, formal völlig eigenständig neben der Gamma-Limousine: "Eine Pininfarina-Karosserie, ähnlich wie beim Ferrari 400, aber mit mehr Esprit, dazu der beste Vierzylinder meiner Kenntnis, ein geschmackvolles Interieur mit Conollylederpolstern - und nicht zuletzt der Markenname, klangvoll wie wenige andere der Automobilgeschichte."

Klangvoll, oh ja. Ungefähr 40 Jahre lang baute Lancia Autos wie niemand sonst, scherte sich nicht um Kosten oder Konventionen, und war Ende der Sechziger ausgeglüht. Nicht schöpferisch, keineswegs, nur finanziell. Also kam die große Tante Fiat, damals Europas vitalster Autokonzern, und nahm sich des glanzvoll verarmten Adelshauses an. So konnte Lancia weiterleben. Mit dem Schutzdach des Konzerns kamen jedoch Synergien und Strategien.

Gefangen im Fiat-Händlernetz

"Bis 1969 gab's bei Lancia nur allerfeinste Qualität, danach ging es los mit Clips statt Schrauben für Zierteile, der Dachhimmel wurde geklebt statt genäht, Türverkleidungen wurden billiger und fielen aus der Halterung. Außerdem waren alle Fiat-Werkstätten verpflichtet, Lancias zu reparieren. Der Lanciafahrer hatte jetzt zwar ein dichteres Werkstattnetz, aber gut war das nicht. Im Gegenteil. Die Fiat-Mechaniker hatten wenig Lust, sich mit der komplexen Lancia-Technik zu befassen. Kühler ausbauen für einen Zahnriemenwechsel! Viel zu anstrengend. Darum bauten die Mechaniker oft bei einer Routinewartung die nächsten schweren Schäden erst ein."

Der Zündschlüssel eines Lancia Gamma gehört nicht in unkundige Hände, und die Messlatte liegt bei diesem Auto ziemlich hoch . "Wenn man das Auto mit voll eingeschlagener Lenkung startet, springt der Zahnriemen über. Dann hat man mit einer einzigen, kleinen Unachtsamkeit einen kapitalen Motorschaden produziert" so Frensemeyer.

Der unglückliche Zahnriemen

Der Gamma hat einen Vierzylinder-Boxermotor unter der Haube, dessen Nockenwellen mit Zahnriemen gesteuert werden. Der rechte Zahnriemen jedoch treibt neben der Nockenwelle auch die Pumpe der Servolenkung an. Eine unglückliche Lösung: "Es ist eigentlich Stoff aus der zweiten Fahrschulstunde, dass man bei einem Auto mit Servolenkung das Lenkrad nie an den Anschlag drehen darf - der Druck im Hydrauliksystem wird einfach zu groß. Wenn der Gamma-Motor kalt ist, an einem Wintermorgen zum Beispiel, und das Öl noch richtig zäh, und die Servopumpe dann wegen voll eingeschlagener Lenkung maximalen Druck aufbaut, springt der Zahnriemen am Nockenwellenrad über oder reißt ganz. Das gibt dann schöne Scherben im Zylinder, wenn die Kolben auf die Ventile schlagen."

Das Zahnriemendilemma ist längst nicht die einzige Fehlkonstruktion beim Gamma, er ist eine wahre Wundertüte an vermeidbaren Pleiten: Die Nockenwellen wurden aus minderwertigem Stahl gegossen und neigen zum Einlaufen. Die Kolben laufen in nassen Laufbüchsen, die am inneren Ende, zum Kurbelgehäuse hin, mit Papierdichtungen versiegelt sind. Diese Dichtungen lösen sich gern auf, womit dann Kühlwasser ins Öl gerät.

Wenn's noch schlimmer kommt, wandern die Laufbüchsen in Richtung Kurbelgehäuse, was die Kopfdichtung zerstört. Streikende Zündverstellung, zickige Zündspule, dazu Spuren eines Ventilschadens in der rechten Zylinderbank, mit unpassenden Kolben repariert, und natürlich Rostfraß, mit all diesen Dingen hat sich Frensemeyer denn auch herumgeschlagen.

Jede Menge Werks-Murks

"Die Kofferklappen sind immer rostig, weil man Dichtungen aus Moosgummi verwendete, das jeden Tropfen Wasser aufsaugt". Dabei hat Frensemeyer hat ein Gamma Coupé von 1980, aus der zweiten Serie, bei der Lancia die schlimmsten Qualitätsmängel bereits in den Griff bekommen hatte. Trotzdem muss man ein bisschen was tun, damit das Auto wirklich zuverlässig wird.

Wer sich dem Gamm Coupé mit Leidenschaft widmet, wird dafür mit einer beinahe einzigartig schönen Karosserie, einem von subtilem Luxus geprägten Interieur und einem sportlichen Fahrwerk belohnt. Dietmar Frensemeyer hatte den überlegenen GT in der zickigen Diva entdeckt. Er schenkte seinem Auto die Geduld, für die Anfang der Siebziger im Fiat-Konzern kein Platz war. Er könnte auch Mercedes SL fahren. Das wäre einfacher, aber viel fader.

Lancia Gamma: Bauzeit: 1976-1979; Zylinder: 8; Hubraum: 2466 ccm; Leistung: 140 PS; Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h; Verbrauch: 9 Liter/100 km

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