Süddeutsche Zeitung

Bilanz des Genfer Autosalons 2014:PS, Prunk, Prestige

Auf dem Genfer Salon 2014 war die Branche verhalten optimistisch. Doch Machtverhältnisse, Modellpolitik und Marketingstrategien verändern sich schneller als bisher. Was sich bei Branchengrößen und Paradiesvögeln hinter den Kulissen abspielte.

Von Georg Kacher

Auf den ersten Blick war alles wie immer. Die Stände der Branchengrößen als souveräne Fixpunkte, dazwischen bunte Paradiesvögel: Gumpert, Mansory, Brabus, Zenvo, Roding, Koenigsegg - die Scheichs waren entzückt. Doch wo Großmotoren ihr kollektives Encore feiern, tun sich alternative Antriebe traditionell schwer. Vielleicht war dies auch ein Grund dafür, dass uns in Genf kein einziges wirklich neues Elektroauto begegnet ist. Aus der kleinen Gruppe der Brennstoffzellen-Verfechter gelang es ausgerechnet Hyundai, mit dem rundum clever gemachten Intrada ein Ausrufezeichen zu setzen.

Bei den meisten Premiumanbietern ist das Thema Elektromobilität noch längst nicht ausdiskutiert. Nur BMW hat sich früh festgelegt und geht schön langsam von der Schnappatmung zur Flachatmung über. Der i3 ist zwar in der Herstellung viel zu teuer, doch die ermutigende Anlaufkurve deutet darauf hin, dass mittelfristig die erhoffte Kammlinie von 27.500 Autos pro Jahr erreicht werden kann. Wie reagieren Audi und Mercedes? Nach langwierigen Wehen hat endlich auch die Marke mit den vier Ringen gekreißt. In der Wiege liegen zwei Elektrobabys: ein Golf E-Klon mit mehr Leistung und neuem Hut, und ein Q9 Top-Crossover vollgepackt mit Consumerzellen. Mercedes hat die B-Klasse früh elektrifiziert, bastelt aber noch an der Alternative zu i8 und Q9. Zur Debatte stehen ein S-Klasse-Derivat (zu schwer, zu spät) und ein bislang nur grob skizzierter Mittelklasse-Crossover.

Warum hat BMW in Genf die meisten Ausstellungsstücke in veredeltem Individual-Trim gezeigt? Weil die Interieur-Anmutung der Serienautos im Vergleich zu Audi und Mercedes immer stärker abfällt - die neue C-Klasse verdeutlicht das mit Nachdruck. Problem erkannt, Lösung leider auf die Nachfolgegenerationen verschoben. Auch die Sportwagen-Kooperation zwischen BMW und Toyota kommt zäher als erwartet in die Gänge. Inzwischen konzentrieren sich die Aktivitäten nur noch auf ein Projekt, nämlich die Nachfolger von Z4 und GT86. Wenn die Herren Toyoda und Reithofer nicht bis Ende Mai Vollzug melden, rechnen Pessimisten mit dem Schlimmsten.

Audi und Porsche liegen ebenfalls im Clinch. Diesmal wird nicht um Sportwagen oder SUV gerangelt, sondern um die Nachfolger von A8 (PL65, Systemführerschaft Audi) und Panamera (MSB, Systemführerschaft Porsche). In diesem Drei-Milliarden-Roulette sollte es nur einen Sieger geben, doch weil der Point of no Return längst überschritten ist, werden beide Marken am Ende wohl doch ihr eigenes Süppchen kochen dürfen.

Lamborghini lässt aufhorchen

Lamborghini hat mit dem aufregend gestylten Huracan in Genf aufhorchen lassen. Die Halbwertzeit des Zweisitzers könnte allerdings kürzer sein als erwünscht, denn zum einen präsentiert Audi 2015 auf gleicher Basis den kaum schwächeren R8-Nachfolger und zum anderem droht bereits der modellgepflegte Ferrari 458 mit seinem rund 650 PS starken Biturbo-V8. Der bildhübsche Urus Crossover soll demnächst offiziell bestätigt werden, doch was Lamborghini mindestens genauso dringend bräuchte, sind aufgeladene Motoren und eine eigenständige Kohlefasermatrix für künftige Sportwagen.

Anders als die notorisch klammen Italiener verdient Bentley mit durchschnittlich 15.000 Euro pro Auto richtig Geld. Als Belohnung dafür erscheint 2015 der erste Geländewagen im Zeichen des geflügelten B. Die in die Jahre gekommene Continental-Baureihe muss dagegen noch bis 2017 durchhalten - ob da die Prioritäten korrekt gewichtet wurden?

Auch bei Rolls-Royce ist ein großer SUV mit V12-Power und Verwöhnausstattung wohl nur noch Formsache. Es stimmt schon: Der Markt bekommt, was er verlangt, und seien es Geländewagen von Lambo, Bentley und Rolls. In den Chefetagen wird man erst aufwachen, wenn die High-End-Crossover nicht mehr in die Marke einzahlen, sondern diese beschädigen, zum Beispiel durch Zuwiderhandlung gegen das Gebot der sozialen Akzeptanz.

Eine Marke, die uns momentan viel Spaß macht, ist Maserati. Die Alfieri-Studie sieht nicht nur wunderschön aus, sie hat auch Zukunft - als für Anfang 2017 ziemlich fix eingeplantes neues Sportwagen-Einstiegsmodell in der Preisklasse des Porsche 911. Auf der gleichen Alu-intensiven Front-Mittelmotor-Plattform entstehen die vermutlich schon Ende 2016 serienreifen Nachfolger von GranSport und GranCabrio. Wer weiß: vielleicht setzt Maserati bei den Zweitürern sogar grundsätzlich auf Allradantrieb. 2015 debütiert der Levante SUV - allerdings nicht als Italo-Jeep, sondern als Derivat der neuen Pkw-Architektur. Der Crossover soll in Mirafiori vom gleichen Band laufen wie die Sportwagen.

Parallelen zur Alfa-DNA, die im Mai näher vorgestellt werden soll, liegen auf der Hand. Alfa Romeo ist dabei, sich neu aufzustellen, und entwickelt einen Baukasten für Fahrzeuge mit Hinterrad- und Allradantrieb, der sich an der BMW-Matrix 35up (Dreier, Fünfer und größer) orientiert. Ein einziges skalierbares Modulkonzept für alle Alfa, Maserati und großen Dodge/Chrysler? Das ist nicht nur spannend, sondern bei hochgerechnet über 500.000 Einheiten pro Jahr auch rentabel.

Für die Volumenhersteller war Genf 2014 die große Messe der kleinen Autos: neuer Twingo mit Heckmotor, neue Aygo/C1/108-Drillinge mit stärkerer Differenzierung, neuer Mazda2 als viel versprechende Studie, Citroën Cactus als pfiffiges Gesamtkunstwerk mit 2CV-Charme, Jeep Renegade als gelungener Westentaschen-Crossover und Fiat-500X-Schwestermodell, der karge Suzuki Celerio als angeblich billigstes Auto in Deutschland.

Mini hat mit der Clubman-Studie zwar die grobe Richtung, aber noch nicht die endgültige Form verraten. Die Marke steht am Anfang eines Umdenkprozesses. Grell und vordergründig, aufgebrezelt mit prolligen Anbauteilen und fetten Aufklebern, diese Strategie soll passé sein. Stattdessen ist Understatement angesagt, Architektur statt Ornamentalik, ein klares Weniger-ist-Mehr. Noch vor sechs Monaten wurden 13 verschiedene Mini-Modelle diskutiert, darunter neue Derivate wie Mini Metro, Mini Limousine und Mini Van. Inzwischen wird wieder reduziert - Roadster, Coupé und Paceman heißen die Wackelkandidaten. Dafür ist zusätzlich zum Countryman ein weiterer Crossover mit mehr Platz angedacht.

Bei PSA ist jetzt Chinesisch lernen angesagt - eine Sprache, vor der auch Volvo-Mitarbeiter die Scheu verlieren sollten. Die Franzosen haben sich nach Affären mit BMW (Motoren) und Opel (Plattformen) zu Dongfeng ins Bett gelegt, die Schweden gehören zu Geely. In Genf bewies der Volvo-Chefdesigner Thomas Ingenlath wieder einmal, dass VW ihn nicht hätte gehen lassen sollen. Nach Coupé und Crossover markiert sein Shootingbrake den stilistischen Höhepunkt der Concept-Car-Trilogie. Neben dem Alfieri verdient der Vorgriff auf den Volvo V90 ein Sonderlob.

Erschreckend banal und trotz E-Antrieb auch handwerklich nicht überzeugend: der Clipper von Ital Design, dessen unpraktische Kraken-ähnliche Flügeltüren neue Impulse vermissen lassen. Auch vom VW T-ROC SUV hatten wir uns mehr erwartet als eine beiläufige Mischung aus Targa-Dach, seltsamen Kotflügelverbreiterungen, einer markenfremden Front und dem zerklüfteten Heck. Im Gegensatz dazu setzt das neue TT Coupé auf betont evolutionäre Stilelemente und minimalistische Sportlichkeit. Vielleicht ist die Form zu reduziert, zu klassisch? Das könnte ein Grund sein, dass sich Audi mit dem extrovertierten, rundum verspoilerten TT 420 Quattro Concept beinahe selbst die Show gestohlen hat.

GM war vor Genf eigentlich auf einem guten Weg, doch dann schlug die US-Rückrufaktion ein wie der Blitz, und die alten Sünden waren wieder präsent, ebenso wie die Panik nach dem missglückten Marktstart der in Amerika so wichtigen großen Pick-ups. Opel macht momentan eher durch seine Imagekampagne "Umparken im Kopf" von sich reden als durch neue Modelle oder durch Antworten auf die Elektro-Hybrid-Offensive von VW. Im Herbst startet der Nachfolger des Corsa, 2015 debütiert der nächste Astra - alles nach Plan und von langer Hand vorbereitet.

Erste eigene Akzente will der oberste Opelaner Karl-Thomas Neumann ab 2016 setzen, und zwar in Form eines erschwinglichen Kleinwagens (Ablöse für Agila, Chevrolet Spark) und eines neuen Topmodells, das noch über dem Insignia rangiert. Dabei handelt es sich - wen wundert's - um einen Crossover, für den zwischen Rüsselsheim und Detroit ein spezieller Gen-Transfer etabliert wird. Vielleicht gelingt es auf diesem Weg, auch die kompakte Heckantriebs-DNA des Cadillac ATS nach Europa zu beamen, wo Opel eine moderne Reinkarnation des Manta gut gebrauchen könnte.

Produktion in Brasilien, Indien, Kanada

One World heißt die Devise von One Ford, die dabei helfen soll, den nachhaltigen Kostendruck auf möglichst viele Märkte zu verteilen. Weil das in der alten Welt eher schlecht als recht funktioniert, haben die Amerikaner diverse Umdenkprozesse in Gang gesetzt. So wird der Nachfolger des Ka (erstmals auch als Viertürer) nicht mehr in Europa, sondern in Brasilien produziert. Der kleine EcoSport Crossover kommt aus Indien, der große Edge SUV läuft in Kanada vom Band, den B-Max fertigt Ford in Rumänien. Auf die Frage, ob Köln auch für die Neuauflage des Fiesta (kommt 2016) als Standort gesetzt ist, ernteten wir in Genf beredtes Schweigen.

Mit EcoSport, Kuga und Edge ist die Marke im Crossover-Segment gut aufgestellt, und auch bei den Minivans wie B-Max, C-Max (Facelift 2015) und S-Max (Nachfolger 2015) besteht kaum Handlungsbedarf. Was im Ford-Programm fehlt, sind Autos für Kunden mit Benzin im Blut - ein Coupé, ein Cabrio, zusätzlich zum Focus ST wieder ein RS, vielleicht sogar ein Capri-Nachfolger. Stattdessen will man uns die nächste Mustang-Generation unterjubeln, speziell für Europa mit schaumgebremstem Vierzylinder: Da dürften zumindest die Puristen dankend abwinken. Wenn schon US-Autos, dann bitte die Corvette, einen Jeep oder, besser noch, das Model S von Tesla. Die Meinung zur kalifornischen Kultmarke war in Genf übrigens konsequent dreigeteilt: ignorieren, kopieren oder akquirieren.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2014/kat
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