Süddeutsche Zeitung

Bahnverkehr:Schlaflos im Rheintal

Viele Anwohner von Bahnstrecken klagen über unerträglichen Lärm. Weil der im Vergleich umweltfreundlichere Bahnverkehr aber gefördert werden soll, müssen Züge künftig leiser werden. Ein Schritt sind lärmabhängige Trassenpreise - laute Züge kosten mehr.

Von Daniela Kuhr, Berlin

Als Hans-Joachim Mehlhorn die Taste drückt, ertönt ein Rauschen. Es wird lauter und lauter - bis der Lärm die Ohren betäubt. Erst nach einer gefühlt ewig langen Zeit klingt er langsam wieder ab. "Das wurde am vergangenen Wochenende in der Nähe von Rüdesheim aufgenommen", sagt Mehlhorn. "Mit dem Handy, sieben Meter vom Gleis entfernt." Zu hören war ein Zug. So einer, wie täglich Hunderte durchs Rheintal fahren. Auch an Mehlhorns Haus vorbei, alle drei Minuten einer, selbst nachts. "Es ist menschenunwürdig, dort zu leben", sagt er. "Aber wenn Ihnen ein Haus gehört, haben Sie keine Wahl." Vermieten oder verkaufen sei zwecklos.

Mehlhorn ist Geschäftsführer der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm. In dieser Funktion ist er am Dienstag nach Berlin gekommen, wo der Lobbyverband Allianz pro Schiene das vom Umweltbundesamt geförderte Projekt "Plattform Leise Bahnen" vorstellt. Ziel des Projektes ist es, Eisenbahnen, Industrie, Waggonvermieter, Politiker und die betroffenen Anwohner zusammenzubringen, um nach Lösungen für ein immer drängenderes Problem zu suchen: den Schienenlärm.

Eine Umfrage des Umweltbundesamts habe gezeigt, dass sich 30 Prozent der Menschen von dem Lärm, den Züge verursachen, "subjektiv betroffen und belästigt" fühlten, sagt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Das seien zwar deutlich weniger als die 54 Prozent, die unter Straßenlärm litten, aber doch immer noch zu viele, um eines der ganz großen Ziele der Bundesregierung zu erreichen: mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Die Bahn sei der umweltfreundlichste Verkehrsträger, sagt Flasbarth. "Wir werden die Potenziale des Schienenverkehrs aber nicht ausnutzen können, wenn die Bahn nicht leiser wird. Das entscheidende Nadelöhr wird die Lärmfrage sein."

Es sind vor allem die Güterzüge, die den Bahnlärm verursachen. Die meisten von ihnen sind noch mit Graugussbremsen ausgestattet, die die Räder bei jedem Bremsvorgang ein bisschen weiter aufrauen. Das hat zur Folge, dass der Zug insgesamt laut wird, selbst wenn er nicht bremst. Neue Züge haben mittlerweile andere Bremsen. Eine Umrüstung ist jedoch kostspielig. Der Bund fördert sie mit gut 150 Millionen Euro. Zudem gelten seit 2012 lärmabhängige Trassenpreise, das heißt: Laute Güterzüge müssen für das Befahren der Schienen mehr Geld zahlen als leise. Die dadurch gewonnen Mehreinnahmen dienen ebenfalls dazu, die Umrüstung auf leise Züge zu fördern. Bis 2020 soll der Großteil der Züge mit leisen Bremsen ausgestattet sein. "Danach sollen keine lauten Wagen mehr fahren dürfen", sagt Jens Klocksin, der für Schienenlärm zuständige Referatsleiter im Verkehrsministerium. Nach der Sommerpause werde das Ministerium ein entsprechendes Gesetz vorlegen.

Mehlhorn vernimmt das gern. Er weiß: Kein Schallschutzfenster, keine Isolierung und keine Trennwand ist so wirkungsvoll, wie wenn man den Lärm gleich dort bekämpft, wo er entsteht - am Zug selbst. Er betreibt im Rheintal ein Hotel. Sechs Millionen Euro hat er bereits investiert, um den Lärm draußen zu halten und die Zimmer mit Klimaanlagen auszustatten. Und doch bemängeln seine Gäste im Internet: Alles sei positiv, alles bestens. Aber: "Der Zugverkehr war unerträglich."

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Quelle:
SZ vom 02.07.2014
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