Süddeutsche Zeitung

Autozulieferer:Bosch will den Diesel retten

  • Autozulieferer Bosch hat eine Technik entwickelt, mit der sich der Stickoxidausstoß von Dieselmotoren angeblich auf ein Minimum reduzieren lässt.
  • Experten sehen in der Technik zwar einen Fortschritt, aber keineswegs eine "Revolution".
  • Es sei fraglich, ob die Autoindustrie das verlorengegangene Vertrauen der Autokäufer wiedererlangen könne.

Von Stefan Mayr, Renningen

Volkmar Denner lässt die ihm typische Zurückhaltung fast völlig fallen. Vor lauter Begeisterung rutscht der Chef des Technologie-Konzerns Bosch kurzzeitig in den schwäbischen Dialekt. "Setzen Sie sich rein und fahren Sie doch einfach!", ruft der promovierte Physiker einem Journalisten zu, der Denners frohe Botschaft kritisch hinterfragt hat. Denner spricht von einem "Durchbruch", sogar von einer "Revolution".

Seine Ingenieure hätten eine neue Technik entwickelt, die den Stickoxid-Ausstoß von Diesel-Motoren weit unter die künftigen strengen Grenzwerte senke. Denner gibt am Mittwoch auf der Bilanzpressekonferenz in Renningen bei Stuttgart Vollgas und tönt: "Der Diesel kann wieder durchstarten - ökologisch rehabilitiert."

Im Foyer des konzerneigenen Innovationszentrums steht ein schwarzer VW Golf GTD, auf dessen Kühlerhaube zwei große weiße Ziffern prangen: 13. Lediglich 13 Milligramm Stickoxid pro Kilometer stoße der Mittelklasse-Wagen bei einer Normfahrt nach dem RDE-Standard (Real Driving Emission) aus. Das ist nur noch ein Zehntel des von 2020 an in Europa geltenden Grenzwertes von 120 Milligramm. Der Ausstoß bleibe selbst bei niedrigen Außentemperaturen, aggressivem Fahrstil und starken Steigungen unter 50 Milligramm, betont Denner.

Diese Technologie ändere alles, sagt der 61-Jährige, auch und vor allem die Diskussion um Diesel-Fahrverbote in abgas-belasteten Innenstädten: "Nicht der Verbrennungsantrieb ist überholt, sondern die Debatte über sein baldiges Ende", sagt Denner. Niemand werde einem derart ausgerüsteten Diesel die Einfahrt in die Städte verbieten können, prophezeit Denner. Sehr ähnliches hatte Daimler-Boss Dieter Zetsche Anfang April verkündet: "Die neuesten Dieselmotoren sind im Antriebsmix der Zukunft nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung."

Revolution und Durchbruch? Eher nicht

Da ziehen zwei Top-Manager aus Stuttgart unübersehbar an einem Strang. Das ist der verständliche Versuch, eine in Verruf geratene Technologie zu retten, in die beide Unternehmen sehr viel Geld investiert haben und mit der sie sehr viel Umsatz machen. Bei Bosch alleine arbeiten immerhin 50 000 Mitarbeiter im Diesel-Bereich.

Ist die neue Bosch-Technik nun wirklich der große Durchbruch oder eher nur lautes PR-Getrommel? "Die Begriffe Revolution und Durchbruch würde ich nicht verwenden", sagt Auto-Experte Stefan Bratzel, "für mich ist es eher eine Evolution." Die neue Entwicklung sei zwar "durchaus eine Innovation", die auch dabei helfen könne, die Dieseltechnologie in Europa "für eine Übergangszeit weiter interessant" zu halten. Ob dies aber das verlorene Vertrauen der Verbraucher in Diesel-Pkw zurückbringen werde, sei noch offen, sagt der Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach.

Mit seiner selbstbewussten Ankündigung setzt Bosch jedenfalls sowohl die Autoindustrie als auch die Politik unter Druck; Wenn sich die Werte auch auf andere Motoren und größere Fahrzeuge einigermaßen übertragen lassen, und davon geht Volkmar Denner nach eigenen Angaben aus, dann wären die derzeit geltenden und für die nächsten Jahre festgeschriebenen Grenzwerte viel zu hoch. Warum sollten Hersteller und Gesetzgeber noch an jenen 120 Milligramm Stickoxid pro Kilometer festhalten, wenn die Technik einen winzigen Bruchteil dessen möglich macht?

Bislang hatten Lobbyisten der Autobauer stets gefordert, die Grenzwerte sollten doch bitteschön realistisch und technisch machbar sein. Nun hat Bosch eine Marke gesetzt, die jeden dreistelligen Grenzwert künftig zur Farce verkommen lässt.

In diesem Zusammenhang begrüßt auch die Deutsche Umwelthilfe die Ansage von Volkmar Denner. "Das ist klasse", sagt DUH-Hauptgeschäftsführer Jürgen Resch. Denn Denner bestätige, "dass es technisch kein Problem ist, die künftigen Grenzwerte weit zu unterschreiten". Nun sei die Politik gefordert, die Grenzwerte streng zu kontrollieren.

Die Bosch-Ingenieure haben bei ihrer Entwicklung an vielen Stellschrauben gedreht. Die wichtigsten Änderungen: Erstens ein Temperatur-Management, das die Abgase stetig warm hält und somit eine effiziente Reinigung ermöglicht. Zweitens ein Luftsystem, das auch einen dynamischen Fahrstil ausgleicht. "Sportlich unterwegs und zu kalt?", fragt Volkmar Denner stolz lächelnd, "beides ist nach unseren Messungen kein Thema mehr." Obendrein verbrauche die neue Technik kaum zusätzlichen Kraftstoff und verteuere ein Fahrzeug allenfalls um einen mittleren dreistelligen Betrag. Das neue System stehe den Herstellern für die Serienentwicklung "ab sofort" zur Verfügung. "Erste Gespräche mit Kunden laufen", sagt Denner.

Auch Bosch steht unter Schummelverdacht

Für die Zukunft kündigt Denner noch geringere Schadstoffwerte an - dank künstlicher Intelligenz. Er gehe davon aus, dass die Verkaufszahlen von Diesel-Autos wieder steigen: "An den Fakten kommt man nicht vorbei."

Doch die Zahlen sind das eine, das Vertrauen ist das andere. Denn im Zuge des Diesel-Skandals von Volkswagen ist auch Bosch unter Verdacht geraten, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen neun Mitarbeiter wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Betrug. Zudem berichtet der Spiegel von weiteren Verdachtsmomenten, wonach Bosch-Leute mit Herstellern bei Abgas-Manipulationen eng zusammengearbeitet haben könnten. Andererseits gab es bei Bosch noch keine Durchsuchungen - im Gegensatz zu all den Kunden: Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW.

Dennoch hat Bosch seine Rückstellungen von 1,1 auf 1,2 Milliarden Euro erhöht, um für juristische Angriffe gewappnet zu sein. Bei einem Jahresumsatz von zuletzt 78,1 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis von 5,3 Milliarden tut das kaum weh. Da bleibt genügend Geld für weitere Innovationen. Oder Revolutionen.

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SZ vom 26.04.2018/harl
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