Autoverladung vor dem Aus:Endstation für den Autozug

DB Autozug, 2008, Ostbahnhof München

Der Autozug soll nach Plänen der Bahn bis spätestens 2017 verschwinden.

(Foto: lok)

Bis 2017 zieht die Deutsche Bahn die Notbremse für eine unrentabel gewordene Sparte: den Autozug. Innerlich hat sich der Konzern schon lange von ihm verabschiedet. Nachruf auf ein Stück Reisegeschichte.

Von Steve Przybilla

Gegen Billigflieger und Mietwagenportale sehen Autozüge schon lange alt aus. Im wahrsten Wortsinne: Der Teppichboden ist fleckig, von den Plastiktischen blättert der Lack. Es riecht muffig und nach Gummi. Immerhin ist die Bettdecke in der Deluxe-Kabine zusammengeknüllt: ein gutes Zeichen. "Das zeigt, dass manche Leute diesen Service eben doch nutzen", sagt der Bahnmitarbeiter fast schon etwas trotzig, während er den verlassenen Schlafwagen im Bahnhof München-Ost abgeht. "Es ist einfach schade", schiebt er leise hinterher, denn selbst dem größten Autozug-Fan springt der schäbige Zustand der Waggons ins Auge. "Aber schauen Sie erst mal unter die Waggons", seufzt der Mitarbeiter, "da bekommen Sie Angst vor einem zweiten Eschede."

Eschede, der schwarze Fleck im Geschichtsbuch der Bahn. 101 Menschen kamen 1998 in der niedersächsischen Kleinstadt ums Leben, als der ICE Wilhelm Conrad Röntgen entgleiste. Der Vergleich mit einer solchen Tragödie ist bitter und gewiss übertrieben. Er zeigt aber, wie Insider schon lange über das einstige Prestigeobjekt Autoreisezug denken. Die aktuellen Waggons nutzt die Bahn seit 40 Jahren. Sie auszutauschen wäre schon lange überfällig. Doch der Konzern schreckt vor den Millioneninvestitionen zurück. Ein untergehendes Schiff wird nicht dadurch gerettet, dass man zwei neue Rettungsboote dranhängt. Nach langem Lavieren nun die Entscheidung: Bis 2017 wird das Angebot eingestampft, Endstation für den Autozug.

"Wir machen Strecke, Sie machen Urlaub"

Es war ein Abschied auf Raten. Noch heute bewirbt die Bahn ihre Autozüge mit dem Slogan: "Wir machen Strecke, Sie machen Urlaub." Wer weit reist, am Zielort aber trotzdem mobil sein möchte, kann Schiene und Straße verbinden. Doch schon die nackten Zahlen zeigen, dass das Angebot, das in seiner ursprünglichen Form 1930 eingeführt wurde, nicht mehr angenommen wird. Wirklich angenommen werden die Autozüge nur in der Urlaubssaison, das restliche Jahr stehen sie ungenutzt auf dem Abstellgleis. 1999 fuhren noch eine halbe Million Passagiere mit dem Autozug, 2013 waren es 200 000. Zum Vergleich: 360 000 Fahrgäste nutzen die normalen Züge der Bahn - pro Tag. Welcher Urlauber verlädt heute noch sein Auto, wenn Billigflieger und Mietwagenbörsen nur einen Klick entfernt sind?

Die Verkehrsunternehmen in Spanien, Portugal, Belgien, Großbritannien und den Niederlanden haben ihre Autozugverkehre aus Kostengründen schon vor Jahren eingestellt. Ein vergleichbares Angebot gibt es momentan nur noch in den USA, wo der sogenannte "Auto Train" zwischen Washington D.C. und Florida verkehrt. Dabei scheint der Autozug auch in Deutschland auf den ersten Blick durchaus beliebt zu sein. Möchte man im Juli noch einen Platz für die Strecke Düsseldorf - Alessandria ergattern, landet man unweigerlich auf einer Warteliste. Doch der Ansturm während der Ferienzeit täuscht: "80 Prozent aller Fahrgäste sind zwischen Mai und Oktober unterwegs", sagt ein Bahnsprecher. "Der Autozug ist für uns eine defizitäre Nische." Die Bahn spricht von "Verlusten in zweistelliger Millionenhöhe" und dünnt folglich den Fahrplan seit Jahren aus. Dass sich der Konzern innerlich schon lange von der missliebigen Sparte verabschiedet hat, merkt man, wenn man die Pressestelle anruft. Informationen zum Autozug? "Da steht ein guter Artikel auf Wikipedia", sagt die Sprecherin in vollem Ernst. Zur Historie gebe es ohnehin kaum Material, da die ersten Waggons noch zu Reichsbahnzeiten in Betrieb gegangen seien. Und im Archiv? "Da haben wir höchstens ein paar Bilder.

Wikipedia ist wirklich besser." In dem Internetlexikon ist von den glorreichen Zeiten des Autozugs zu lesen. 1988 hätten die damals noch topmodernen Transportwagen 26 innerdeutsche und 61 internationale Ziele angesteuert; in den 1990er-Jahren konnte man demnach sogar von Berlin nach Thessaloniki reisen (Fahrtzeit: 29h 30min). Heute, rund 25 Jahre später, betreibt die Bahn noch sechs Verladeterminals in Deutschland. Im Ausland werden nur noch die Stationen Alessandria, Narbonne, Villach und Innsbruck angefahren, wobei Letztere bereits nächstes Jahr wegfallen. Der Bahnexperte Siegfried Klausmann, Gründer des auf Bahnfahrten spezialisierten Reisebüros Gleisnost, bestätigt diese Angaben: "Von einem Netz kann keine Rede mehr sein. Das ist nur noch ein Randprodukt."

"Heute ist kaum noch was los"

Schon lange verkauft Klausmann seinen Kunden keine Autozug-Tickets mehr. Die einstigen Prestigewaggons seien zu "total heruntergewirtschafteten Rumpelkisten" verkommen, woran die Bahn jedoch nur bedingt Schuld trage: "Wir sollten eher die Politiker an den Pranger stellen, weil sie den Flugverkehr ohne Ende subventionieren. Ist doch klar, dass die Bahn da nicht konkurrenzfähig bleiben kann." Früher, als er mit seinem Motorrad im Gepäck nach Bordeaux fuhr, seien die Pritschen im Schlafwagen regelmäßig voll geworden. "Heute ist kaum noch was los", sagt Klausmann, "und das führt dann wiederum zu heftigen Preisen. Es ist wie mit dem Ei und der Henne."

Wie heftig die Preise sind, zeigt sich bei einer Buchungsanfrage auf der Bahn-Homepage. Zunächst eine Suche für die eingangs erwähnte "Deluxe-Kabine". Es handelt sich dabei um eine abschließbare Einzelkabine, die mit Bett, Tisch, zwei Stühlen und einem Kleiderschrank ausgestattet ist. Dazu gehört außerdem ein privates Badezimmer mit Dusche und WC, das stark an die Plastik-Waschräume in Flugzeugen erinnert. Eine Stunde vor der Ankunft klopft der Zugbegleiter an der Tür, um das Frühstück zu servieren. Wer so viel Privatsphäre wünscht, muss auf einer Fahrt von Hamburg nach München 636 Euro löhnen. Im Fünfer-Liegewagen, den man auch mit Fremden teilen kann, kostet das Ganze 305 Euro - inklusive Auto. Wenn überhaupt, rechnet sich eine solche Fahrt höchstens für Familien.

Neues Konzept aus Auto und Zug

Es verwundert also nicht, dass viele Reisende lieber tagsüber in einen regulären ICE steigen, statt nachts die Beine in einem Abteil einzuziehen, in dem vier Wildfremde um die Wette schnarchen. Und genau dieser Zielgruppe will die Bahn nun verstärkt entgegenkommen. Seit April testet das Unternehmen ein neues Betriebskonzept namens Auto+Zug. Innerhalb Deutschlands werden seither alle Autos per Lastwagen transportiert, während es den Passagieren freisteht, den klassischen Schlafwagen zu nehmen oder tagsüber in einen anderen Zug zu steigen. Um die neue Kombination zu fördern, verkauft die Bahn bereits Tickets ab 99 Euro.

Doch so gut sich die Idee im ersten Moment anhört, so offensichtlich sind ihre Schwächen. Wie gehabt werden die Fahrzeuge nämlich nachts transportiert, sodass sie erst am nächsten Morgen ankommen. Wer schon tagsüber fährt, muss wohl oder übel am Zielort übernachten. Auch aus ökologischer Sicht ist die neue Methode fragwürdig. Die Bahn bewirbt ihre Autozüge nach wie vor mit dem Slogan "Benzin sparen und Umwelt schonen", verlagert ihren Verkehr aber gleichzeitig von der Schiene auf die Straße. Das Internetportal "Klimalügendetektor" geht mit dem Konzern daher hart ins Gericht: "Das ist nichts anderes als Betrug."

Autoverladung vor dem Aus: Abgesang: Sechs Verladeterminals gibt es noch.

Abgesang: Sechs Verladeterminals gibt es noch.

(Foto: imago)

Die Lage ist nicht ganz aussichtslos

Ob das Konzept Auto+Zug langfristig aufgeht, vielleicht sogar nach dem endgültigen Aus der Autozüge, darüber ist sich auch die Bahn noch nicht im Klaren. Die Versuchsphase soll bis zum Herbst laufen, danach will der Vorstand über eine Fortsetzung entscheiden. Ganz aussichtslos ist die Lage offenbar nicht, denn das neue Betriebskonzept erntet nicht nur Kritik. "Immer noch besser, als wenn es gar keine Möglichkeit des Autotransports mehr gäbe", urteilt Winfried Karg vom Fahrgastverband ProBahn. Andere Länder hätten einen solchen Service längst abgeschafft. "Verglichen mit den bisherigen Autozügen sind die Lkw-Transporte sogar eine Verbesserung. Für Fahrgäste gibt es nun keinen Zwang mehr zum Schlafwagen."

Und dann wären da noch die Nostalgiker, die am liebsten alles so beließen, wie es ist. "Der klassische Autozug war toll", sagt Wolfgang Vohsels, ein 56-jähriger Urlauber, der zusammen mit seinem Sohn in die Alpen fährt. Um 7.10 Uhr ist ihr Nachtzug in München angekommen - im Gegensatz zu ihrem Auto. "Der Lkw stand im Stau, weshalb wir erst mal die Zeit totschlagen mussten", sagt Vohsels. Trotzdem möchte er den Autotransport auch in Zukunft nicht missen: "Vor ein paar Jahren bin ich die Strecke selbst gefahren und stand stundenlang im Stau. Natürlich ist der Zug teurer, aber um entspannt anzukommen, nehmen wir das gerne in Kauf." Schlecht für ihn: Nur noch ein Prozent aller Bahnfahrgäste sehen das so.

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