Autotest:Für alle, die blind einparken können

Der Honda Civic ist an sich ein gutes Auto. Er hat nur ein Manko: Er ist zu unübersichtlich.

Von Felix Reek

Honda Civic  (honorarfreies PR Material)Foto: Honda

Der Honda Civic, seit 1972 gebaut, ist so etwas wie der VW Golf der Japaner. Gegen die Konkurrenz konnte er sich hierzulande nie durchsetzen.

(Foto: Honda)

Im Umland von München. Dort, wo Fahrräder nur Fortbewegungsmittel für Wochenendausflüge sind. Auf der Straße steht ein Ford Focus ST. Die Werkstuningvariante des Kompaktwagens. Spoiler vorne, Spoiler hinten, Spoiler seitlich. Knallorange, Auspuffrohre dick wie Oberschenkel. Daneben parkt der neue Honda Civic. Weiß und schwarz, Spoiler, zwei mittige Endrohre in ähnlichen Dimensionen. Es sieht aus wie ein Tuningtreffen in der Nachbarschaft. Die Begegnung zeigt: Der Honda Civic ist noch immer ein wenig anders.

Seit 1972 produziert ist er so etwas wie das Massenauto der Japaner. Die fernöstliche Variante des VW Golf. Bloß mit einem Unterschied: Gefällig war der Civic anders als anfangs in den vergangenen Jahren nicht mehr. Während sich das Design europäischer Hersteller immer mehr einander annäherte, sah der Kompakte von Honda immer schon, nun ja, anders aus. Die letzten beiden Generationen waren so futuristisch, dass sie sowohl innen als auch außen an ein Raumschiff erinnerten. Gegen die allmächtige Konkurrenz von VW Golf und Audi A3 konnte sich der Civic in Deutschland so allerdings nie durchsetzen.

Vollkommen zu Unrecht. Denn bei Qualität und Fahrdynamik kann auch die aktuell zehnte Generation mithalten. Typisch für japanische Autos mit einer umfangreichen Serienausstattung gesegnet, bremst und beschleunigt der Civic im Stau automatisch, erkennt Verkehrszeichen und Fußgänger, greift beim unabsichtlichen Verlassen der Spur ein und warnt vor Kollisionen. Andere Hersteller lassen sich das teuer bezahlen, Honda bietet es schon im Basismodell mit 129 PS an. Die Systeme funktionieren solide, lediglich der Stauassistent ist mit Vorsicht zu genießen: Wird auf der Autobahn das Fahrzeug vor dem Civic langsamer, bremst er unsanft und abrupt ab. Wechselt der Vorausfahrende die Spur, beschleunigt der Honda dafür umso rabiater. Das kann der Golf besser.

Wenn es um den Fahrspaß geht, macht dem Honda aber niemand etwas vor. Zwar gibt es bisher nur das erwähnte Basistriebwerk und als zweite Motorisierung einen 1,5-Liter-Vierzylinder mit 182 PS. Obwohl - oder gerade weil - im Civic jetzt Turbo- statt Saugmotoren arbeiten, beschleunigt der Kompakte mühelos. Fahrprogramme, wie heute bei vielen Herstellern üblich, gibt es nicht. Der Civic vertraut auf seinen normalen Modus und liegt damit richtig. Er ist schnell genug für die Autobahn und ausreichend brav für Innenstädte. Im Honda hat der Fahrer nie den Eindruck, nicht ausreichend motorisiert zu sein. Dazu passt die präzise Sechsgangschaltung, die den Civic zügig beschleunigt, und ein Fahrwerk, das zwar sportlich ausgelegt, aber nie zu hart ist. Es schluckt nahezu jede Bodenwelle, ohne dass man das Gefühl für die Straßenbeschaffenheit verliert.

So weit, so hervorragend. Doch in einigen Details patzt der Honda. So fehlen in der neuesten Generation des Kompaktwagens die Magic Seats, ein Alleinstellungsmerkmal des Japaners in den vergangenen Jahren. Wie Kinosessel ließen sich die hinteren Sitzflächen hochklappen. Sperrige Gegenstände wie etwa ein Fahrrad konnten so aufrecht hinter dem Fahrersitz verstaut werden. Der Tank des Civic liegt jetzt wie in der Kompaktklasse üblich unter der Rückbank, so dass diese Funktion nicht mehr möglich ist. Trotzdem ist der Honda mit einem Kofferraum von 420 bis maximal 1209 Litern eines der Autos in diesem Segment mit dem größten Stauraum.

Einige Zugeständnisse an die Moderne hätten sich die Japaner zudem auch sparen können. Unter dem Display des Infotainmentsystems befindet sich ein Fach mit einer Fläche, die Smartphones induktiv, also durch auflegen, laden kann - sofern das Handy kompatibel ist. Im Test fand sich jedoch kein passendes Gerät dafür. Gleiches gilt für die "Aha" genannte Funktion auf dem Display. Und ein bisschen Aha im Leben ist ja nie verkehrt, also drückt der Fahrer das grüne Appsymbol. Er wird mit der Forderung konfrontiert, sich mit E-Mail und Passwort anzumelden. Dummerweise besteht keine Verbindung zum Internet, die dazu nötig ist. Und dummerweise dauert es eine gefühlte Ewigkeit, wieder aus diesem Menü herauszukommen, um das Radio einzuschalten.

Die Rückfahrkamera, die sehr hilfreich wäre, gibt es nur gegen Aufpreis

Aber das sind vernachlässigbare Details. Größtes Manko ist noch immer das Design des Civic. Zwar sieht der Japaner jetzt gefälliger aus, die Keilform wurde abgeschwächt und die Raumschiffarmaturen durch herkömmliche Instrumente ersetzt. Doch die Tuningoptik führt dazu, dass es im Honda kaum Rundumsicht gibt. Das Ende der Motorhaube kann der Fahrer nicht erkennen, der Blick nach hinten ist miserabel: Der Spoiler zieht sich quer über die Heckscheibe, darüber liegt noch ein Scheibenwischer und die drei Kopfstützen in der Rückbank versperren den letzten Rest an Sicht. Glückwunsch an alle, die blind einparken können.

Eine Lösung für dieses Problem gibt es bei Honda bereits: die Rückfahrkamera. In der knapp 20 000 Euro teuren Basisversion mit 129 PS ist die aber nicht enthalten. Wer sie nutzen will, muss mindestens 5000 Euro mehr für die Elegance-Ausstattung zahlen. Alle anderen nehmen die 182-PS-Version für mindestens 27 960 Euro, dort ist die Kamera serienmäßig. Oder verlassen sich beim Einparken auf ihr Gefühl. Oder das Geräusch, wenn Stoßstange auf Stoßstange trifft.

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