Süddeutsche Zeitung

Automessen:Lieber noch warten

Nach der Absage des Genfer Autosalons wurden nicht alle Neuheiten im Netz präsentiert - aber einige Konzeptfahrzeuge beflügeln die Fantasie.

Von Georg Kacher

Chance vertan. Die digitale Nachbereitung des abgesagten Genfer Salons am vergangenen Dienstag war über weite Strecken eine langweilige PR-Veranstaltung mit inszenierten Frage-und-Antwort-Sequenzen und Werbefilmchen aus der Marketing-Retorte. Fast alle Hersteller erneuerten ihre CO₂-Versprechen und das Bekenntnis zur Elektromobilität, doch kein einziger Vorstandschef traute sich, den Rahmen zu sprengen und eine Geschichte zu erzählen, die geeignet gewesen wäre, die Fantasie von Kunden und Analysten zu beflügeln.

Dabei hätten so manche Konzeptfahrzeuge das Zeug dazu gehabt, die Tür in eine spannende Zukunft weit aufzustoßen und Interessenten ein Stück weit mit auf die Reise zu nehmen - so wie das Hyundai mit seiner Prophecy-Studie gelungen ist. Der windschnittige (Cw-Wert unter 0,20) Stromliniensportler basiert auf einer neuen modularen Elektro-Plattform, die schon 2021 auf den Markt kommen soll - dann jedoch noch mit klassischem Lenkrad statt, wie das Konzeptfahrzeug, mit Joysticks auf beiden Seiten des Fahrersitzes (siehe oben).

Die deutschen Hersteller wären mit unterschiedlichen Prämissen in die Schweiz gereist. BMW hatte den seriennahen i 4 im Gepäck, der als elektrifizierter 3er im Gran-Coupé-Kleid nun doch erst Ende 2021 in Serie geht. Vor allem der lichte und großzügige Innenraum mit dem leicht gekrümmten Display macht Lust auf die erste, gut 600 Kilometer weite Fahrt, die mit einer Akkukapazität von 80 kWh und maximal 530 PS wie im Flug vergehen dürfte. Wenn Preis und Qualität stimmen, bekommen Polestar 2 und das Tesla Model 3 demnächst einen ernst zu nehmenden Konkurrenten. BMW-Chef Oliver Zipse beschwor in seiner kurzen Rede zum i 4 die markentypische Symbiose aus Fahrspaß und Nachhaltigkeit, die mit verschiedenen Soundtracks unterlegt werden kann. Sein Gegenpart von Mercedes, der Schwede Ola Källenius, schwärmte im Livestream vom Automobil mit dem Stern als dem ultimativen Smartphone auf Rädern in Form der modellgepflegten E-Klasse und diverser Plug-in-Derivate.

Wo war Herbert Diess, der mit seiner ID-Offensive schon bald in Hochvolt-Vorleistung geht? Der VW-Chef überließ die Bühne den Marken und ihren Vertretern. Volkswagen zeigte mit GTE, GTD und GTI drei weitere Golf-Varianten, versprach Interessenten des erst 2021 verfügbaren ID 4 Crossover eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern und vertröstete die Besteller des ID 3 vom Frühjahr auf den Spätsommer. Audi war im Netz mit dem neuen A 3 Sportback und mit der S-Version des E-tron Sportback unterwegs, dessen Produktion mangels Batterie-Nachschub immer wieder ins Stocken gerät. Cupra lancierte mit dem Formentor, einem coupéartigen Crossover, sein erstes eigenständiges Modell ohne Seat-Gegenstück, das ab Herbst auch als 245 PS starker Plug-in-Hybrid (PHEV) angeboten wird. Der Internet-Auftritt von Porsche drehte sich um den neuen 911 Turbo mit bis zu 650 PS, Bentley präsentierte die ausverkaufte Sonderserie der zweisitzigen Bacalar Barchetta (zwölf Stück für je 1,5 Millionen Euro netto), Skoda bediente die Fangemeinde mit ersten Infos zu künftigen PHEV-Varianten.

Mag sein, dass Automessen keine Zukunft haben. Aber mit jeder Schau stirbt ein wichtiges Forum

Das klingt nach vollem Programm, ist aber nur die halbe Wahrheit, denn nach der Absage machte so mancher Hersteller in letzter Minute einen Rückzieher. Bugatti verschob die Präsentation des Chiron Pur Sport auf die zweite Märzwoche, Skoda musste sein Pendant zum VW ID 4 aus konzernpolitischen Überlegungen unter Verschluss halten, Lamborghini hatte sich schon im Vorfeld verabschiedet, Toyota vertagte die Premiere seines kleinen SUV um mehrere Wochen oder gar Monate. Alfa Romeo verhängte eine Ad-hoc-Informationssperre über die Serienversion des kompakten Tonale Crossover, lüftete dafür aber das Tuch über dem 533 PS starken Giulia GTA-Flügelmonster.

Ein richtig großer Aufschlag gelang Dacia, das mit dem Spring seinen fiktiven Stand um ein kleines Elektroauto bereicherte, das als Renault City in China bereits für umgerechnet 8500 Euro zu haben ist. Deutlich teurer dürfte die Serienversion des elektrisch angetriebenen Renault Morphoz werden, denn das 4,4-Meter-Schrägheck schafft per Radstandsverlängerung 20 Zentimeter mehr Platz für weitere Akkus, die eine Reichweite von 700 Kilometern ermöglichen sollen.

Mag sein, dass Automessen keine Zukunft haben - sei es, weil jeder große Hersteller künftig sein eigenes Ding durchziehen will, weil das immer stärker nachgefragte Show-Element in den mit Exponaten zugeparkten Hallen zu kurz kommt oder weil Fachmessen mittelfristig Publikumsmessen den Rang ablaufen werden. Doch mit jeder internationalen Autoschau stirbt ein wichtiges Forum, auf dem man sich austauschen und miteinander diskutieren kann, wo das Automobil in all seinen Facetten noch mehr sein darf als nur ein schnödes Fortbewegungsmittel und wo einem 800 Volt und 800 PS gleichermaßen das Herz aufgehen lassen.

Genf war bislang Trendbarometer der Branche und Verkaufsmesse vor allem für exklusive Kleinserienhersteller, aber vielleicht reicht das nicht, um die breiter gesteckte Mobilität der Zukunft abzubilden. Vielleicht braucht es mutigere Ideen und Formate - Stichwort nächste IAA -, die Fans und Fachleuten eine zeitgemäßere Plattform bieten und zum Dialog anregen.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2020
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